Creditreform Magazin

Dann eben so

Die Corona-Pandemie trifft kleine und mittlere Unternehmen hart. Um Stillstand zu verhindern, setzen manche auf Kreativität und ändern kurzerhand ihr Geschäftsmodell.

Der erste Post heißt „Anflug auf Saint-Denis“. Das zugehörige Bild zeigt die französische Insel La Réunion aus der Flugzeugperspektive. Entstanden ist es im August 2018, gut anderthalb Jahre vor Corona und den weltweiten Reisebeschränkungen.

Die Plattform Wegtraeumen.de, auf der dieses Bild hochgeladen wurde, hätte es ohne Corona nicht gegeben. Entwickelt wurde sie vom Saarburger Unternehmen Euresa, einem Online-Reisebüro, das auf die Vermittlung von Kreuzfahrten spezialisiert ist. „Wir wollen unseren Kunden Lust auf Urlaubsorte machen, die sie wieder bereisen können, sobald das wieder möglich ist“, sagt Patrick Hausen, Leiter Marketing und Kommunikation bei Euresa.

Im Prinzip funktioniert Wegtraeumen.de wie jedes andere soziale Netzwerk: Foto hochladen, Beschreibung hinzufügen, teilen. „Mit dem Unterschied, dass ganze Reiserouten bebildert werden können“, sagt Hausen. Kunden bekommen zu Hause einen Vorgeschmack darauf, was sie etwa auf der nächsten 14-tägigen Ostsee-Rundreise mit der Aida Cara erleben werden. Die „echten“ Schiffsreisen hat Aida bis mindestens Mitte August abgesagt, Konkurrent TUI Cruises hat Mitte Juli erstmals wieder abgelegt. 

Umsatz generiert das Online-Reisebüro mit der neuen Plattform nicht. Rücklagen und Kurzarbeit ermöglichen, dass Euresa bisher keinen der rund 30 Mitarbeiter entlassen musste und alle Kosten bis zum Jahresende gedeckt sind. „Die Plattform ist in erster Linie ein Marketinginstrument und dient der Kundenbindung“, sagt Hausen. Diese sei in diesen Zeiten fast wichtiger als die Akquise. „Wir erwarten, dass die Kreuzfahrt-Wiederholungstäter diejenigen sind, die uns helfen werden, aus der Krise herauszukommen.“

 Eine Umfrage des Deutschen Reiseverbands (DRV) zeigt, dass sich zwei von drei Unternehmen aus dem Tourismussektor von der Insolvenz bedroht sehen. „Und diejenigen, die es durch die Krise schaffen, müssen sich auf eine Rabattschlacht gefasst machen“, sagt Patrick Hausen. „Da kann es von Vorteil sein, einen festen Kundenstamm zu haben, der sich per se für eine Reiseform interessiert.“  Schon deshalb lohne sich in diesen Zeiten der Aufwand für Werbung in eigener Sache.

Online-Wahl statt Live-Event

Wie sehr Corona auch sein Geschäft beeinträchtigen würde, realisierte Marcel Schettler, als die Tourismus-Messe ITB Anfang März abgesagt wurde. Sein Unternehmen Guest-One aus Wuppertal, das er gemeinsam mit seinen Partnern Oliver Maitre und Thomas Küfner führt, vertreibt Software und Lösungen für Teilnehmermanagement und Gästeorganisation auf Messen, Roadshows oder Galaveranstaltungen. Events, die infolge der Pandemie größtenteils nicht mehr stattfinden können. Bis mindestens zum 31. August sind Großveranstaltungen bundesweit verboten. „Als klar war, dass die ITB nicht stattfinden würde, dauerte es keine drei Wochen, bis alle Kunden ihre Aufträge storniert hatten“, berichtet Schettler. Die 22 Mitarbeiter von Guest-One wurden daraufhin zu 100 Prozent in Kurzarbeit geschickt.

Eine Chance, den Betrieb trotz Krise wiederzubeleben, ergab sich plötzlich durch die Anfrage einer Agentur, mit der Guest-One kooperiert. „Sie fragte, ob wir in der Lage sind, bei virtuellen Versammlungen Wahlen durchzuführen.“ Hintergrund war eine Gesetzesänderung infolge der Corona-Pandemie, die es Genossenschaften, Verbänden und Aktiengesellschaften ermöglicht, Hauptversammlungen samt Wahlen online stattfinden zu lassen. „Daraufhin haben wir in Zusammenarbeit mit der Agentur innerhalb von drei Wochen eine Gesamtlösung entwickelt, die wir dieser Zielgruppe anbieten können.“ Sie besteht aus Einladungs- und Teilnehmermanagement, Live-Streaming sowie der rechtssicheren Durchführung von Online-Wahlen. Veröffentlicht wurde das fertige Produkt im April. Anfragen dafür kommen täglich. „Einen Teil unserer Mitarbeiter konnten wir schon aus der Kurzarbeit zurückholen, die anderen sollen möglichst bald ins Büro zurückkehren können.“


„Der Trend, Events online abzuhalten, hält auch nach der Corona-Krise an.“
Marcel Schettler, Guest-One


Das Projekt, das Guest-One durch die Krise hilft, sei nicht als Übergangslösung gedacht, sagt Schettler. „Vielmehr gehen wir davon aus, dass der Trend, Events online abzuhalten, auch nach der Corona-Krise anhält.“ Den Start der Live-Veranstaltungen sehnt er dennoch herbei: „Große Veranstaltungen werden ohne Gästeakkreditierung und -zählung lange nicht möglich sein. Was für uns dann hoffentlich mehr Aufträge bedeutet.“

Auto statt Großraum

Nils Bösch betreibt im niedersächsischen Schüttorf eine der größten Diskotheken Deutschlands, das Index. Zusammen mit seinen Onkeln Klaus und Holger Bösch, die das Index im Jahr 1988 eröffnet haben. Vor Corona empfingen sie bis zu 5.000 Besucher pro Abend. Mitte März mussten die Böschs auf unbestimmte Zeit schließen, wie rund 2.000 weitere Diskotheken, Clubs und Tanzlokale in Deutschland.

Von April bis Juli ging die Party jedoch weiter, wenn auch anders als zuvor: Das Index durfte als Autodisco auf dem hauseigenen Parkplatz wiedereröffnen. Die erste Veranstaltung war binnen weniger Stunden ausverkauft. „Das Konzept ist vergleichbar mit dem der Autokinos“, sagt Nils Bösch. Natürlich galten auch hier strenge Hygiene- und Sicherheitsauflagen. So war der Besuch der Autodisco ausschließlich im Pkw gestattet, im Cabrio nur mit geschlossenem Verdeck. Pro Fahrzeug durften zunächst nur zwei Personen die Veranstaltungen besuchen, seit den ersten Lockerungen bis zu vier aus zwei Haushalten. „Macht, gerechnet auf die Kapazitäten des Parkplatzes, zwischen 500 und 1.000 Besucher pro Veranstaltung.“

Die Musik, aufgelegt von hauseigenen oder geladenen DJs, wurde per WLAN über die Anlagen der Autos abgespielt. Aussteigen war nur im Notfall und zum Toilettenbesuch erlaubt. Getränke und Snacks mussten selbst mitgebracht werden, ein Verkauf auf dem Parkplatz war nicht gestattet. „Das sind Einnahmen, die weggefallen sind und die wir in dieser Zeit gut hätten gebrauchen können“, sagt Bösch.

Dennoch begann die Autodisco nach einem Monat, schwarze Zahlen zu schreiben. Mit dem Geld lässt sich sogar ein Viertel der Kosten decken, die anfallen, bis die Großraumdiskothek wieder öffnen kann. Eine zusätzliche Einnahmequelle waren private Events. „Drei Schulen aus der Gegend haben ihren Abschluss bei uns gefeiert“, sagt Bösch. Am 11. Juli musste die Autodisco wegen Lärmbeschwerden schließen, doch Bösch und sein Team suchen schon wieder nach Alternativen.

Masken statt Kaffeefilter

Auch die Melitta Group aus Minden hat ihr Portfolio der Krise angepasst. Sie produziert neuerdings Atemmasken, die in ihrer Form dem Signaturprodukt der Firma nachempfunden sind: der Melitta-Filtertüte. Die Melitta-Masken werden aus weißem, dreilagigem Meltblown-Vlies gefertigt, das den europäischen OP-Masken-Standard mit einer Bakterien-Filtrations-Effizienz von 98 Prozent erfüllt. „Wir bedienen momentan ausschließlich den B2B-Markt und setzen hier unseren Schwerpunkt auf Systemrelevanz“, sagt Tanja Wucherpfennig, zuständig für den Bereich interne und externe Kommunikation bei der Melitta Group. Das Unternehmen prüft aktuell, ob weitere Absatzmärkte bedient werden können. Auch seien Herstellung und Verkauf von FFP2- und FFP3-Masken geplant, so Wucherpfennig.


„Mit unseren Masken bedienen wir momentan ausschließlich den B2B-Markt.“
Tanja Wucherpfennig, Melitta Group


Bis zu einer Million Atemschutzmasken kann die Melitta-Group täglich fertigen. Um das zu ermöglichen, musste das Unternehmen Teile seiner Produktionsanlagen verändern. Ein Schritt, den immer mehr Firmen in Deutschland gehen. Laut einer Studie von KfW Research haben derzeit 43 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland ihr Geschäftskonzept auf andere Produkte und Kundengruppen umgestellt. Oder sie fokussieren neue Absatzmärkte und -wege, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu lindern. Zählt man auch die Unternehmen hinzu, die dies noch planen, beträgt der Wert sogar 57 Prozent.

Zwar verzeichnete Melitta anfangs sogar einen steigenden Absatz von Kaffee und Filtertüten. Diese zusätzlichen Umsätze seien jedoch eher auf Vorratskäufe zurückzuführen, sagt Wucherpfennig. Einbußen habe die Melitta Group bei den Vollautomaten. „Unser B2B-Geschäft, besonders in der Gastronomie und Hotellerie, ist von der Krise betroffen.“ Aber auch privat wurden weniger Kaffeemaschinen gekauft.

Diesen Eindruck bestätigt eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK zur Konsumentenstimmung in Deutschland. Ein Drittel der Studienteilnehmer gibt an, aufgrund der aktuellen Situation weniger Geld für den Kauf langlebiger Produkte ausgeben zu wollen. Dagegen ist die weltweite Nachfrage nach Atemschutzmasken so hoch wie nie zuvor. „Unsere Stückzahlen könnten wir noch deutlich ausbauen. Sofern die Vormaterialien ausreichend zur Verfügung stehen“, sagt Wucherpfennig.

Desinfektions-Säulen statt Treppengeländer

Der Hygiene-Markt war auch die Chance für Metallbaumeister Carsten Jäger. Er musste mit Beginn der Corona-Krise zusehen, wie die Aufträge weniger und weniger wurden. Bis zuerst die Feuerwehr und dann die Stadt Düsseldorf Hunderte Ständer für Desinfektionsmittelspender bei ihm anfragten. „Da realisierte ich erst, wie hoch die Nachfrage dafür aktuell ist“, sagt Carsten Jäger.

Ohne zu wissen, wie schwierig es sich gestalten würde, sagte er auch die Lieferung der Desinfektionsspender selbst zu, als die Vorräte seiner Kunden aufgebraucht waren. „Ich war natürlich nicht der Einzige, der diese Spender brauchte. Es dauerte entsprechend, bis ich Zulieferer gefunden hatte, deren Spender ich zu einem vernünftigen Preis weiterverkaufen konnte“, erinnert sich der Metallbaumeister. 

Über 2.000 Ständer für Desinfektionsmittel haben Jäger und sein Team seit Ende Februar produziert – in fünf verschiedenen Ausführungen. „Zum Glück hatte ich vor zwei Jahren, als es dem Betrieb sehr gut ging, in eine Plasmaschneidemaschine investiert.“ Nur das ermöglicht ihm heute, die Ständer in so hoher Stückzahl zu produzieren. „Unabhängig davon, ob ich eins oder 100 Bleche zuschneide – jedes Teil bleibt gleich und muss nicht händisch nachbearbeitet werden“, sagt Jäger. 

Sein Unternehmen beliefert mittlerweile nicht mehr nur die Stadt, sondern auch Privatleute, Firmen, Ämter, Schulen und Kindergärten. Fast täglich kommen neue Kunden hinzu. „Die schlechte Auftragslage für große Balkonanlagen und Treppentürme können wir mit der Herstellung der Ständer kompensieren. Ohne hätten wir einen Umsatzeinbruch von mindestens 40 Prozent.“ Seine acht Mitarbeiter hat Jäger vollständig aus der Kurzarbeit zurückgeholt. Mit der Übernahme eines Praktikanten kommt jetzt sogar ein weiterer Mitarbeiter ins Team.

„Obwohl es uns gerade verhältnismäßig gut geht, hoffen wir natürlich, ab Herbst wieder normal arbeiten zu können“, sagt Jäger. Was ihm Unwohlsein bereitet, sei der Umstand, dass sich die wahren Folgeerscheinungen der Pandemie erst in den kommenden Monaten herauskristallisieren würden. „Bis dahin, werden weder Unternehmen noch Privatpersonen größere Ausgaben tätigen.“


Kreativ trotz Krise

Lorenz Illing ist Geschäftsführer der TAM Akademie und hilft Entscheidern bei der Optimierung ihres Führungsstils. Seine Tipps, wie sich Kreativität trotz Krise befeuern lässt:

  • Positiv denken. Ungeachtet der Umstände: Jammern ist ansteckend und blockiert kreative Prozesse. Führungskräfte sollten in Krisenzeiten umso stärker darauf achten, die Stimmung ihrer Mitarbeiter oben zu halten.
     
  • Ausmisten. Regelmäßig den Status quo eines Unternehmens zu prüfen und zu hinterfragen, kann helfen, Schwachstellen offenzulegen. Projekte, die das Team verwerfen würde, wenn es nicht schon Zeit in sie investiert hätte, gehören aussortiert.
     
  • Unperfekt sein. Teams, die Fehler zulassen, sind innovativer. Statt auf Anhieb perfekt sein zu müssen, sollten Ideen mit der Zeit reifen und erst dann ihr volles Potenzial entfalten dürfen. „Leistbare Verluste“ festzulegen, ermutigt Mitarbeiter, kreativer zu arbeiten.
     

Mehr zur TAM Akademie unter: www.trainer-akademie.de


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jana Samsonova



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