„Eine Wirtschaft bauen, die länger lebt“

Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht. Nicht so im neuen Creditreform Podcast. Christiane von Berg, Chefvolkswirtin bei Coface, und Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, machen in der aktuellen Folge klar: Es ist Zeit für mehr Optimismus!

Herr Hantzsch, wie ist die Stimmung bei den Unternehmen?  

Patrik-Ludwig Hantzsch: Schlecht. Unserer Mittelstandsstudie zufolge erwarten nur 21,9 Prozent der Befragten für die kommenden Monate ein Auftragsplus, 17,6 Prozent befürchten Rückgänge. Und die Investitionsneigung ist so niedrig wie seit der Finanzkrise nicht mehr – nur 43,9 Prozent der Unternehmen wollen investieren.  

Woran liegt das?  

Hantzsch: Es gibt viele Faktoren: Inflation, Rezession, wir haben Corona hinter uns, stecken fest im Ukrainekrieg, uns belasten die Themen Lieferkette und Energiepreise. All das trägt eben nicht dazu bei, dass Unternehmenslenker die Lage als besonders positiv einschätzen. Hinzu kommen ein unsicherer wirtschaftspolitischer Rahmen und eine überbordende Bürokratie. 75,6 Prozent der Befragten unserer Mittelstandsstudie haben eine Zunahme bürokratischer Auflagen festgestellt. Knapp zwei Drittel gaben an, ihnen bliebe weniger Zeit für Aufträge. 

Der Mittelstand hat also andere Sorgen, als sich um Nachhaltigkeit zu kümmern. Was sagen Sie als Volkswirtin dazu, Frau von Berg?  

Christiane von Berg: Das hängt vom Prognosehorizont ab. Ist es ein Jahr? Sind es fünf Jahre, 50 oder sogar 100 Jahre? Kurzfristig kostet Nachhaltigkeit mehr und bringt Probleme bei der Produktion. Für einen Horizont von einem Jahr und womöglich auch für die kommenden Jahre ist sie ein Minusgeschäft, zumal sich das Engagement auch nicht sofort in ein besseres Klima übersetzt.  

Das motiviert aber jetzt nicht besonders zu mehr Klimaschutz. 

von Berg: Naja, die Frage ist, was kommt nach diesen paar Jahren? Kümmern wir uns nicht ums Klima, müssen wir die Opportunitätskosten tragen, also die Kosten, die entstehen, wenn wir nichts machen. Wie hoch sie sein können, zeigt das Jahrhunderthochwasser in Nordrhein-Westfalen, für das 4,1 Milliarden Euro an Hilfen bewilligt wurden. Außerdem geht es um die Frage, welche Wirtschaft wir wollen. Wenn wir sagen: „Lasst uns eine Wirtschaft bauen, die länger lebt und länger nachhaltig wirksam ist als mein eigener Lebenszyklus“, dann können wir etwas schaffen, das auch für unsere Enkelkinder noch funktioniert.  

Könnte es also noch ein grünes Wirtschaftswunder geben?  

von Berg: Nein, das glaube ich nicht. Das Wirtschaftswunder geschah zu einer Zeit, in der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich komplett am Boden lag. Da hatte es noch ein ganz anderes Wachstumspotenzial. Damals hat man sich noch gefreut, wenn in Köln eine Brücke über den Rhein gebaut wurde. Heute ist Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wenn wir ein Wirtschaftswachstum wie zu Erhards Zeiten erleben wollen, dann müsste auch eine derart krasse Entwicklung stattfinden – und die sehe ich noch nicht einmal, wenn ich an KI denke. Nein, Nachhaltigkeit kostet und wir müssen investieren, um unsere Wirtschaft langfristig erhalten zu können.  

Dann können wir uns also nicht nur der aktuellen Krise widmen?  

Hantzsch: Wir müssen uns darum bemühen, aus der aktuellen Krise herauszukommen. Das bedeutet, dass wir die Lage erst mal so annehmen, wie sie ist, und damit möglichst gut umgehen. Das ist das Thema Mindset.  

Was können Unternehmer sonst noch tun?  

Hantzsch: Sie brauchen eine gute Finanzkommunikation – sprich, sie müssen mit ihren Kreditgebern, mit uns als Auskunftei, mit ihren Geschäftspartnern im Eigeninteresse gut und aktuell kommunizieren. Und sie brauchen ein gutes Risikomanagement und sollten alle Informationen, die sie bekommen können, nutzen, um zu wissen, wie es ihrer Branche, ihren Kunden, ihren Lieferanten und Geschäftspartnern geht. Es gibt heute mehr Informationen denn je. Unternehmen müssen es schaffen, aus dieser Fülle die richtigen Schlüsse zu ziehen. 

Und welche Rolle spielt da Nachhaltigkeit? 

Hantzsch: Es ist auch Teil der unternehmerischen Verantwortung, eine Vision fürs Unternehmen zu entwickeln. Wie komme ich nicht nur raus aus der Krise, sondern wo stehe ich in fünf, zehn oder 15 Jahren? Aus diesen Fragen leitet sich die Verantwortung ab, die Unternehmer für ihre Mitarbeiter haben – aber auch für die Umwelt, genau wie für ihre Stake- und Shareholder.  

Gute Geschäfte – die Streitfrage

Unterschiedlicher Meinung sein, über Widersprüche sprechen, respektvoll streiten? Das geht. In der neuen Podcast-Reihe von Creditreform „Gute Geschäfte – Die Streitfrage“ sprechen wir über die Zukunft des Mittelstands und diskutieren kontroverse Themen – freundlich, auf Augenhöhe und immer mit dem Anspruch, Unternehmern neue Perspektiven aufzuzeigen.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
Bildnachweis: intern



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