Ihr Fachkräfte kommet
Seit dem 1. März ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Es soll die Einwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern erleichtern und helfen, den Personalmangel zu beheben. Wird das gelingen? Viele Mittelständler sind skeptisch.
Kathrin von Soden ist eine geduldige Frau. Die Geschäftsführerin kümmert sich in ihrer Firma Bornemann Gewindetechnik um alle Personalfragen. 2018 war aber auch sie mit ihrem Latein am Ende und kurz davor, zu explodieren: Acht Monate vergingen vom ersten Gespräch mit José Ventura, einem jungen Produktionstechnikingenieur aus Venezuela, bis zu seiner Ankunft in Delligsen bei Hildesheim. „Niemals hätte ich gedacht, dass es so schwer ist, eine Fachkraft aus einem Nicht-EU-Land nach Deutschland zu holen“, klagt von Soden. „Der existierende Administrations-Dschungel ist für mittelständische Betriebe unzumutbar.“
Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) suchen deutsche Unternehmen aktuell rund 700.000 Fachkräfte, allein der Branchenverband Bitkom spricht von 124.000 fehlenden IT-Fachleuten. Das Dilemma betrifft alle Branchen, die Industrie, das Handwerk, die Bauwirtschaft, den Gesundheits- und Pflegebereich. Besonders schwer am Arbeitsmarkt haben es kleine und mittelständische Betriebe. Abhilfe soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schaffen. Am 1. März ist es in Kraft getreten. Die Bundesregierung hofft, dass dadurch jährlich mindestens 25.000 zusätzliche IT-Experten und Ingenieure, Köche und Pfleger aus Nicht-EU-Ländern ins Land kommen werden. Kritiker behaupten, das neue Gesetz verbessere kaum etwas. Auch die Bertelsmann Stiftung ist skeptisch: Laut einer Studie aus ihrem Haus liegt Deutschland bei der Attraktivität für Akademiker unter 30 OECD-Industrieländern auf Platz zwölf. Größtes Defizit seien die schlechten beruflichen Chancen hierzulande.
Hoher Aufwand für Anerkennung
Experten wie Herbert Brücker, Professor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, beklagen zudem den hohen bürokratischen Aufwand bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Auch viele Mittelständler, die nach Befragungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages mehrheitlich gerne Fachkräfte aus fernen Ländern haben wollen, ärgern sich über den lästigen Papierkrieg. Kathrin von Soden: „Es fehlt ein einfacher Leitfaden mit den wichtigsten Punkten und Anlaufstellen. Eine Behörde zeigt auf die andere. Keiner kennt das gesamte vorgeschriebene Procedere.“
José Ventura hatte bei von Soden und ihrem Mann Moritz, der mit ihr zusammen das 63-Mitarbeiter-Unternehmen führt, 2017 durch die Vermittlung der internationalen Studentenorganisation AIESEC ein neunmonatiges Praktikum absolviert. Dabei hatte die Chefin festgestellt, dass er „hochqualifiziert und motiviert ist und gut in unser Team passt“. Nach Abschluss seines Studiums sollte der Ingenieur bei Bornemann anfangen, weil der auf die Fertigung von Gewindespindeln für Hebeanlagen und Anwendungen in der Offshore-Industrie spezialisierte Mittelständler dringend Fachleute für die Vermarktung seiner Produkte in Südamerika braucht. Der Arbeitsvertrag wurde unterschrieben und Ventura beantragte bei der Botschaft in Caracas ein Visum. Die wollte eine Arbeitserlaubnis der Bundesagentur für Arbeit sehen, deren Zweigstelle in Holzminden widerum wollte zuerst eine Zusage der Ausländerbehörde. Doch die hat mit der Visumserteilung gar nichts zu tun. Stattdessen musste von Soden nun auf die Bundesagentur warten, die zunächst die gelieferte Stellenbeschreibung prüfen musste.
Mehrere Wochen, Mails und Telefonate später kam das Okay. Weitere Zeit ging für die Anerkennung des venezolanischen Hochschulabschlusses ins Land. Schließlich musste die Bornemann-Chefin auch noch erklären, dass es für die Position Venturas in Deutschland keinen adäquaten Kandidaten gibt. Mitte Oktober 2018 stand er endlich vor der Firmentür in Delligsen. Mittlerweile arbeitet er bei Bornemann im internationalen Vertrieb. „Er ist ein sehr guter Mitarbeiter“, sagt von Soden.
Großer Wurf oder erst der Anfang?
Welche Erleichterungen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bringt und wo noch Handlungsbedarf besteht:
Was besser wird:
- einheitlicher Fachkräftebegriff, der Hochschulabsolventen und Beschäftigte mit qualifizierter Berufsausbildung umfasst
- Vorrangprüfung bei anerkannter Qualifikation und Arbeitsvertrag entfällt
- Begrenzung auf Mangelberufe bei qualifizierter Berufsausbildung fällt weg
- Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung dürfen entsprechend der bestehenden Regelung für Hochschulabsolventen für eine befristete Zeit
- zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen (Voraussetzung: deutsche Sprachkenntnisse und Lebensunterhaltssicherung).
Liegt ein geprüfter ausländischer Abschluss vor, gibt es verbesserte Möglichkeiten zum Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland.
Was schwierig bleibt:
- der Prozess der Anerkennung ausländischer Qualifikationen und Abschlüsse
- die zum Teil langwierige Visumausstellung
- die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht klar erkennbaren Zuständigkeiten von Behörden
Pflegemitarbeiter fehlen
Ebenso groß wie im produzierenden Gewerbe ist der Mangel in der Pflege. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft werden etwa in der stationären Versorgung bis 2035 rund 300.000 Pflegemitarbeiter fehlen. Insgesamt gebe es in der Branche eine Versorgungslücke von 500.000 Fachkräften. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat 13.000 neue Stellen in der stationären Altenpflege versprochen. Selbst die aber lassen sich nicht allein mit deutschem Personal besetzen.
Deswegen hat Wilfried Bogner, Leiter des Alten- und Pflegeheims Ebenhausen, zur Selbsthilfe gegriffen: Er hat zehn Auszubildende eingestellt, zwei Deutsche und acht aus Bosnien, Kosovo, Nepal, Madagaskar und Tadschikistan. Eine von ihnen ist Dilrabo Pulotova: „Ich kann zwar nicht mit Computern arbeiten, aber gut mit Senioren und Kindern“, sagt die Tadschikin. Um das in der Bundesrepublik Deutschland zu dürfen, muss sie gut deutsch sprechen können. Den geforderten Telc-Abschluss (The European Language Certificates) können Kandidaten nach Schulungskursen bei Vermittlungsunternehmen wie Berlitz und Dekra in ihren Heimatländern erlangen. Die Kosten tragen die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung.
Auch das Jobmatching- und Karriereberatungsunternehmen Medwing ist im Gesundheitssektor unterwegs. Chef Johannes Roggendorf ärgert sich über bis zu 18-monatige Wartezeiten für die Anerkennung der Berufsqualifikation und die Visumerteilung: „Das ist völlig absurd.“ Schließlich habe sich Medwing davor oft schon monatelang um die Rekrutierung von Pflegefachkräften oder Ärzten beispielsweise von den Philippinen bemüht. Die Berliner Berater, bei denen derzeit rund 120.000 Kandidaten registriert sind, erstellen entsprechend dem Bedarf eines Krankenhauses oder einer Alten- oder Pflegeeinrichtung Suchprofile, stellen alle verlangten Dokumente zusammen – oft zehn bis zwölf, von der Geburtsurkunde bis zum polizeilichen Führungszeugnis – und fliegen mit dem künftigen Arbeitgeber zum persönlichen Interview in das ferne Land. „Es ist für alle Beteiligten wichtig, sich einmal in die Augen zu schauen“, erläutert Roggendorf. „Schließlich muss es auch menschlich passen, wenn die Integration in ein bestehendes Team klappen soll.“ Er hat von vielen Fällen gehört, in denen die angeworbene ausländische Fachkraft nach vier oder sechs Monaten wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt ist. Sein Tipp: „Arbeitgeber und Kollegen müssen den Neuankömmlingen helfen, sich in den Arbeits- und Lebensalltag integrieren zu können. Dazu gehören auch scheinbar banale Dinge wie Bankkontoeröffnung, Wohnungssuche oder Abschluss eines Handyvertrages.“
Geringe Erwartungen ans Gesetz
Hohe Erwartungen an das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat der Medwing-Chef nicht: „Zu begrüßen ist die Vereinfachung des Rekrutierungsverfahrens von Nicht-EU-Kandidaten; der Anerkennungsprozess und die Visumausstellung werden aber durch das Gesetz nicht beschleunigt.“ Ähnliche Stimmen kommen aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier bedroht der Personalmangel so manche Existenz. „Daran haben wir auch selber schuld“, konstatiert Alexander Aisenbrey, Vorsitzender der Initiative Fair Job Hotels. „Wir haben uns jahrelang zu wenig um den Branchennachwuchs gekümmert.“ Gerne würde Aisenbrey Köche und Kellner aus China oder Thailand in sein Hotel Öschberghof in Donaueschingen holen: „Das sind hochqualifizierte Leute, die meist aber keinen in Europa anerkannten beruflichen Abschluss haben.“ Dieses Ausschlusskriterium bleibt auch nach dem 1. März bestehen. Der Hoteldirektor will sein Problem anders lösen: Er bildet zusammen mit der IST-Hochschule Düsseldorf nun 14 chinesische Studenten aus. Das dauert bis zum Bachelor dreieinhalb Jahre. Monatsvergütung: 800 Euro. „Eine Investition in Menschen, die wir brauchen“, stellt Aisenbrey klar.
Quelle: Magazin „Creditreform“
Text: Jürgen Hoffmann
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