Creditreform Magazin

Unternehmensporträt: Die Siedler von Jettingen-Scheppach

Schwäbisch bescheiden, aber international ganz groß: Der Spiele­hersteller Ludo Fact bringt nicht nur Spaß in Kinder- und Wohnzimmer, ein Tochterunternehmen erzeugt auch in großem Maßstab Öko-Energie. Sehr viel Wert legt die Eigentümerfamilie Walz auf nachhaltige Lieferketten.

Fabian Walz hat in seinem Büroregal immer ein paar Brettspiele und Puzzles griffbereit. Dienstlich, versteht sich – als Anschauungsmaterial. Wie stabil ist der Stülpkarton, wie sind die Holzfiguren gearbeitet, haben die Spielkarten einen guten Grip? „Kreativität in Kartonagen“ ist der Claim des Unternehmens Ludo Fact in Jettingen-Scheppach, das in Millionenauflagen Brettspiel-Klassiker wie „Die Siedler von Catan“, „Codenames“ oder „Zug um Zug“ herstellt. „Beim preisgekrönten ‚Spiel des Jahres‘ waren wir in über der Hälfte der Fälle die Produzenten“, sagt Walz. Nur Insider können anhand kleiner technischer Merkmale oder Ziffern an der Karton-Umschlagkante sehen, dass Ludo Fact am Werk war. Außen sichtbar prangen die Namen der Spieleverlage wie Kosmos, Amigo oder Schmidt auf den Kartons. In deren Auftrag setzt Ludo Fact mit seinen rund 900 Mitarbeitern so gut wie jede Idee in die Tat um. So sitzt in einem Nest zwischen Augsburg und Ulm einer der größten Spiele­hersteller weltweit – und kaum jemand weiß es.

Für Fabian Walz und seinen Vater, den Unternehmensgründer Horst Walz, ist die Arbeit im Hintergrund zur Lebensaufgabe geworden. „Wir bringen seit mehr als 30 Jahren Vergnügen in die Welt – und kümmern uns für mehr als 200 Spieleverlage um Produktion, Konfektion, Verpackung und Versand“, sagt Fabian Walz. Eigene Spiele entwickelt man allerdings nicht. „Sonst wären wir Wettbewerber unserer Kunden.“ Ludo Fact, der an die lateinischen Begriffe „ludere“ und „facere“ angelehnte Firmenname ist Programm: Spiele machen. 500.000 Brettspiele und Puzzles verlassen pro Woche die Fabriken in Bayern, Tschechien, Rumänien und den USA. Neuerdings kommen auch Sammelkarten hinzu, gefertigt in einer 2017 übernommenen Druckerei in Gomaringen. „Wir wachsen in dieses lukrative Geschäft rein“, sagt Walz.

Auslandsgeschäft ist kein Selbstläufer

Fabian Walz könnte es sich leicht machen und locker von Meilensteinen und Erfolgen sprechen. Doch der 36-Jährige spielt mit offenen Karten. Gefragt zum US-Geschäft, das 2016 mit einer Übernahme der Kartonfabrik Jessup Paper Box in Lafayette startete, sagt Walz: „Ganz ehrlich: Die Fabrik in Indiana hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Eine Erfolgsstory? Bisher nicht, aber wir glauben daran, dass es eine wird.“ Es seien vor allem kulturelle Unterschiede gewesen, die man unterschätzt habe und die zu Managementproblemen geführt hätten. „Wenn man in den USA jemanden fragt, wie es läuft, dann ist alles mindestens great. Wenn die Antwort good lautet, ist es schlecht, und bei interesting ist eine Katastrophe im Gange“, sagt er lakonisch. „Wenn wir nach einer Planung fragten, konnte man vielleicht über die nächste Woche sprechen, aber was das nächste Quartal anging oder das nächste Jahr, war nichts zu holen.“

Weil sich nach dem Erwerb die Missverständnisse mit dem alten Mehrheitseigentümer und Geschäftsführer häuften, entschied sich Familie Walz 2018 zur Komplettübernahme der US-Tochtergesellschaft. „Erst wollten wir Ludo Fact USA von Deutschland aus führen, aber auch das klappte aufgrund der Distanz nicht“, erklärt Walz. „Nun haben wir wieder einen CEO vor Ort, einen Europäer. Der weiß: Ich will lieber Zahlen hören als Storys.“ Gleich hat er einen Videoanruf mit dem Geschäftsführer in Lafayette, inzwischen eine lieb gewonnene Routine. Weil aber auch für den Kontakt mit der Belegschaft das „Mindset“ stimmen müsse, ist als Werkschef ein Amerikaner tätig. „Das hat sich für die internen Ansprachen bewährt“, sagt Walz.

So habe man sieben Jahre nach dem „etwas blauäugigen“ Schritt über den großen Teich eine belastbare Struktur gefunden. „Lessons learned“, sagt Walz. „Auch mein Studium in Australien, Spanien und Kanada hat mich nicht vor der Falle bewahrt, die andersartige Managementkultur zu unterschätzen.“ Trotz aller Anlaufschwierigkeiten und eines nötigen Gesundschrumpfens gelang es, den Umsatz der US-Tochter gegenüber 2016 zu vervierfachen.

Vorteil durch gute Logistik

Doch es gab weitere Überraschungen: So strebt Ludo Fact eigentlich an, alle Bestandteile eines Spiels lokal zu beschaffen, um langwierige und teure Frachten zu vermeiden. „Doch in den USA ist es zu unserem Erstaunen fast unmöglich, selbst einfache Komponenten zu sourcen.“ Der Grund: Die Spielehersteller – und laut Walz „weite Teile der US-Industrie“ – haben eigene Fertigungskompetenzen eingebüßt, da sie sich weitgehend auf China als Werkbank verlassen. Und dies trotz des vordergründig ausgetragenen Handelsstreits. „Völlig irrational“, sagt Walz. „Ich kenne einen großen US-Verlag, der noch nicht ein Einziges seiner Spiele in den USA gesourct hat. Das sind Dinge, auf die kommt man erst im Laufe der Zeit.“ Erst langsam beginne eine Rückbesinnung auf „Made in USA“, auch weil große Handelshäuser wie Walmart aus patriotischen Gründen darauf bestehen. Selbst „so etwas Simples wie Drucken“ sei für Ludo Fact in den USA um 50 bis 100 Prozent teurer als hierzulande.

Aus der Not machte Ludo Fact eine Strategie: Wenn man nicht billiger sein kann als die US-Konkurrenz mit Fernost-Connection, dann eben schneller durch gute Logistik. Komplexere Spielfiguren aus Holz zum Beispiel lässt man im gruppeneigenen Werk in Rumänien anfertigen, verschifft sie in die USA und legt sie auf Lager. Rahmenverträge mit Verlagen geben die nötige Sicherheit, dass genügend Bestellungen das teure Procedere auch rechtfertigen. „So kann ein Verlag bei uns innerhalb von vier Wochen ein Spiel abrufen. So schnell schafft das kein Spielehersteller, der in China ordert. Und auch eine Belieferung aus Europa würde länger dauern. In unserer Branche sind Lieferzeiten ein wichtiges Argument“, erklärt Walz.

Und selbst in China bestellen? Für Fabian Walz kommt nach eigener Aussage eine China-Produktion nicht infrage. Zwar hat man 2008 ein Sourcing-Büro in China eröffnet, es aber 2018 wieder geschlossen. Grund: „Die Art und Weise gefiel uns nicht, vieles war undurchsichtig.“ Arbeitsschutz und Umweltverträglichkeit? Weit entfernt von seinen Vorstellungen. Ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz war damals noch nicht in Sicht, Walz zog aus eigenem Antrieb die Konsequenz. Das letzte Mal war er 2019 für vier Tage in China. Eine Erfahrung, die ihn in seiner Haltung bestätigt. „Man bekommt dort vor Augen geführt, wozu billiger Konsum der westlichen Welt führt. Das hat mich berührt.“

Differenzierung durch Nachhaltigkeit

Das Problem: Der Endkunde sieht nicht die schlechten Produktionsbedingungen, wenn er sich beim Spielenachmittag mit seinen Kindern vergnügt. „Im Produkt gibt es keinen spürbaren Unterschied, denn die Qualität stimmt auch bei der China-Ware. Also: Wie differenzieren wir uns?“, fragt Walz. Seine Antwort: Neben kurzer Lieferzeit kann nur Nachhaltigkeit ein Differenzierungsmerkmal sein. Das Bestreben, mit den natürlichen Ressourcen gut umzugehen, ist seit Jahrzehnten Teil der DNA des Unternehmens: Schon 1996 gründete Horst Walz die Vento Ludens als zweites Standbein. Die Tochterfirma für umweltfreundliche Energieerzeugung startete mit Windparks in Deutschland und setzte ihr Engagement bald darauf mit Wasserkraftwerken in Schottland fort. „Mein Vater hat sich früh für regenerative Energie interessiert und investiert.“

Stromgewinnung aus Wind, Sonne und Wasser: Als Planer, Investor und Betreiber von entsprechenden Anlagen ist Vento Ludens in Deutschland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Norwegen aktiv. Das Energiegeschäft, um das sich der Seniorchef kümmert, trägt mit mittleren zweistelligen Millionenbeträgen zum Gruppenumsatz bei. Auch eine große Photovoltaik-Freiflächenanlage neben dem Firmensitz in Jettingen erntet Sonnenstrom. „Inzwischen hat es jeder verstanden, wie wichtig esist, unabhängig zu werden von der Öl- und Gasindustrie“, sagt Fabian Walz.

Die Vision, künftig ohne fossile Brennstoffe und Kernenergie klarzukommen, treibt Vater und Sohn an. „Wir fertigen klimaneutral“, sagt Fabian Walz. Zuerst habe man einfache Energiesparmaßnahmen ergriffen. „Was wir beeinflussen können, wollen wir beeinflussen – unabhängig von einer vermeintlich langen Amortisationsdauer.“ Der Effekt war groß: Die Umstellung auf LED-Leuchten senkte den Strombedarf um 20 Prozent, hinzu kam Wärmerückgewinnung an Kompressoren. Einen Teil der CO2-Emissionen müsse man dennoch kompensieren über Aufforstungsprojekte. „Klar: Manche sprechen da von Ablasshandel. Aber meist sind das genau die, die selbst untätig bleiben“, sagt der zweifache Familienvater Fabian Walz. „Ich bin glücklich, dass wir es machen.“

Kater nach Corona

Ob er selber gerne spielt? Keine Frage – „auch wenn ich zuletzt selten dazu kam“, sagt Walz. Doch mit dem Alteren seiner Kinder könne er schon „erste Rahmenpuzzles“ legen, berichtet er begeistert. Er freut sich auf mehr. Dass das Jahr 2023 rein geschäftlich ein ungewöhnlich hartes war, liegt auch an der Corona-Pandemie. „In der Pandemie gab es einen solchen Run auf Spiele und Puzzles, gekoppelt mit Lieferkettenproblemen, sodass sich alle Kunden große Sicherheitsbestände hingelegt haben.“ Viele sogenannte Dauerläufer, also Klassiker-Spiele, seien in großen Stückzahlen nachproduziert worden. Was man nun – wie als Kater nach der großen Sause – eben an ausbleibender Nachfrage spüre, mithin ein Sondereffekt. „Bis einschließlich 2022 haben wir bei Ludo Fact noch nie Verlust gemacht“, sagt Walz.

Grundsätzlich ist ihm nicht bange. „Spielen wird bleiben.“ Auch die Sorge, dass Computerspiele die altmodischen Gesellschaftsspiele an den Rand drängen, habe sich zerschlagen. „Vor zehn Jahren hielt man das für denkbar, aber stattdessen erlebte die Branche ein Wachstum. Auch Studierende greifen zu Brettspielen. Spiele sind wieder sexy geworden.“ Nach seiner Theorie ist die Digitalisierung sogar indirekt ein Treiber seines Wachstums: „Die Leute sehnen sich abends nach Digital Detox – und können herrlich entspannen bei einem 1.000-Teile-Puzzle.“

Vom grauen Karton zum bunten Spiel

1992 gründete Horst Walz den Spielehersteller Ludo Fact im schwäbischen Jettingen. Mit 17 ­Millionen produzierten Einheiten, darunter Brettspiele, Puzzles und Kartenspiele, und einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr, ist Ludo Fact heute laut Walz „Europas größter verlagsunabhängiger Spielehersteller“ und für mehr als 200 Verlage tätig.

1995, als Walz über ein Management-Buyout zum Alleingesellschafter wurde, landete er mit der Produktion von „Die Siedler von Catan“ einen Blockbuster, der auch international bis heute für Aufträge sorgt. Schon 1996 diversifizierte Walz mit der international ausgerichteten Firma Vento Ludens ins Feld der erneuerbaren Energien, die als Planer, Projektierer und Betreiber von PV-Großanlagen, Windparks und Wasserkraftwerken tätig ist. Mit der Logistiktochter samt Hochregallager („Ludo Packt“) sorgt man seit dem Jahr 2000 auch für die Auslieferung.

Fabian Walz stieg nach einem internationalen Masterstudiengang 2013 ins elterliche Unternehmen ein – und sanierte zum Auftakt eine aufgekaufte Druckerei mit Spielkartengeschäft. Heute verantwortet der Junior das gesamte Spielegeschäft von Ludo Fact und somit auch die 2016 gegründete US-Tochterfirma in Lafayette/Indiana, Ludo Packt und die Digitaldruckerei Friedmann Print.

Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Merx



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