Was kommt nach dem Lockdown?
Der erste Corona-Schock scheint überwunden. Mit den beginnenden Lockerungen besteht auch die Chance auf eine Erholung der Wirtschaft. Welche Gefahren dennoch drohen und welche Rolle das Konjunkturpaket der Bundesregierung spielen kann, kommentiert der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther.
Die Corona-Pandemie hat zu einem beispiellosen konjunkturellen Einbruch geführt. Der weltweite Lockdown traf die Weltwirtschaft als symmetrischer Schock, hatte jedoch in den einzelnen Volkswirtschaften und ihren jeweiligen Branchen unterschiedliche Auswirkungen.
Die deutsche Wirtschaft wurde in den vergangenen Monaten von zwei Seiten in die Zange genommen. Angebotsseitig erwartete zu Beginn der Krise Mitte März mehr als jedes dritte Unternehmen starke Auswirkungen durch den Ausfall importierter Vorleistungen, ähnlich stark waren die Einschränkungen durch fehlende Mitarbeiter. Seit dem Eintreten der Lockerungen haben sich diese Einschränkungen spürbar gebessert, wie unsere regelmäßigen Unternehmensbefragungen zeigen. Keine Verbesserung hingehen stellte sich bei den Nachfrageerwartungen ein. Unverändert gibt mehr als die Hälfte der Unternehmen an, stark vom Einbruch der Nachfrage betroffen zu sein.
Dies spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen der Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe: Sie sanken im März kalender- und saisonbereinigt um 15 Prozent zum Vormonat, im April nochmals um 25,8 Prozent. Dabei befand sich die Industrie schon länger in einer Rezession: Im Vergleich zum Höhepunkt der Auftragseingänge Ende 2017 lagen sie im April 2020 real um 43 Prozent niedriger. Anders als in der Finanzkrise sind nun auch Dienstleistungsunternehmen unmittelbar betroffen, lediglich das Baugewerbe zeigt sich einigermaßen unbeeindruckt. Angesichts dieser massiven Betroffenheit deutscher Unternehmen rechnen wir momentan mit einem realen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von neun Prozent. Glücklicherweise scheint aber nun eine konjunkturelle Bodenbildung einzusetzen, jedenfalls deuten dies aktuelle Umfragen und Echtzeitindikatoren an. Die Erholung dürfte allerdings nicht allzu rasch einsetzen: Mit einem Erreichen des Vorkrisenniveaus ist erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres bei einem jährlichen Realwachstum von acht Prozent zu rechnen.
Erholung in Gefahr
Gefahr droht dieser Erholung jedoch von mehreren Seiten. Am verheerendsten wäre erstens sicherlich eine weitere Infektionswelle, die einen erneuten Lockdown zur Folge hätte. Zweitens ist noch nicht ausgemacht, ob es bei der bisher relativ glimpflichen Entwicklung der Arbeitslosigkeit bleibt. Zumindest aber dürften bis Krisenende noch starke Einkommensunsicherheiten und damit mangelndes Konsumentenvertrauen herrschen. Drittens ist die Entwicklung in den Vereinigten Staaten noch unvorhersehbar. Selbst nach einer möglichen Eindämmung der Infektionen wäre fraglich, ob sich angesichts der massiven Arbeitslosigkeit und politischen Unruhen schnell eine Erholung der Nachfrage ergibt. Viertens stehen uns viele mögliche Insolvenzen noch bevor. Die durchschnittlichen Eigenkapitalquoten deutscher Mittelständler haben sich zwar seit der Finanzkrise stark erhöht. Ob dies für den Großteil der Unternehmen ausreicht, bleibt abzuwarten. Zudem haben viele Kleinstunternehmen eine noch sehr geringe Eigenkapitalquote, die sich in den letzten Jahren kaum erhöht hat. Sollte es zu einer größeren Insolvenzwelle kommen, drohen strukturelle Verschiebungen des Wettbewerbsumfelds. US-Digitalfirmen und chinesische Investoren warten nur darauf, diese Lücken zu füllen. Fünftens droht bei anhaltendem gesamtwirtschaftlichen Pessimismus eine längerfristige Investitionszurückhaltung, die sich erst bei höherer Kapazitätsauslastung wieder aufhellen dürfte.
Gutes Krisenmanagement
Im Angesicht dieser wirtschaftlichen Risiken gibt die Politik im Krisenmanagement ein überraschend gutes Bild ab – auch wenn zunächst der Mittelstand nicht ausreichend mitbedacht wurde. Sowohl die Komposition der Maßnahmen, angebots- wie nachfrageseitig, als auch das Timing ist grundsätzlich angemessen. Neben kurzfristigen nachfragewirksamen Maßnahmen des Konjunkturpakets – beispielsweise die Mehrwertsteuersenkungen oder der Familienbonus – wird auch ein hoher Anteil der Ausgaben für Investitionen verwendet, auch wenn es dem öffentlichen Investitionsbedarf von über 450 Milliarden Euro nicht gerecht wird.
Ebenfalls zu würdigen ist das Ausmaß der EU-Maßnahmen. Es besteht die Hoffnung, dass dadurch zumindest auf europäischer Ebene ein Gegengewicht zur zunehmenden Re-Nationalisierung und Erschöpfung der Globalisierung gebildet werden kann. Ebenfalls besteht die Hoffnung, dass sich nun vermehrt digitale Technologien durchsetzen können und es damit zu gesteigerten technologiegetriebenen Innovationen kommt. Die Corona-Krise hat unternehmerisch wie auch politisch verdeutlicht, dass auf diesem Gebiet Handlungs- und Aufholbedarf besteht.
Prof. Dr. Michael Hüther studierte von 1982 bis 1987 in Gießen Wirtschaftswissenschaften sowie Mittlere und Neue Geschichte. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit Juli 2004 leitet er als Direktor und Mitglied des Präsidiums das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Michael Hüther
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