Zwischen Hoffen und Bangen
Geschäfte geschlossen, Veranstaltungen abgesagt, Lieferketten unterbrochen. Die Corona-Krise hat Spuren im Mittelstand hinterlassen. Wie Unternehmer versuchen, ihre Mitarbeiter dennoch zu halten – und wie sie sich auf unvermeidbare Kündigungen vorbereiten können.
Als Tim-Alexander Karußeit klar wurde, was die Krise für seine Branche bedeutet, wurde er still. Gelähmt von Besorgnis und Fassungslosigkeit, sah er zu, wie Veranstaltungen im Minutentakt storniert wurden. „Ich konnte es nicht glauben“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter von Hoffmann Messebau Hannover, der das Unternehmen zu Jahresbeginn übernommen hatte. „Sechs Wochen nach der Übernahme bricht die größte Krise der Messegeschichte los. Im Februar hatten wir 50 Prozent weniger Umsatz, im März dann gar keinen mehr.“ Karußeits Schockstarre dauerte nur eine Woche. Am 9. März ging dann seine komplette Belegschaft von 35 Beschäftigten mit bis zu 100 Prozent in Kurzarbeit. „Manche Mitarbeiter, denen ich meine Entscheidung mitteilen musste, kannte ich bis dahin gerade einmal vom ersten Kennenlernen“, erinnert sich der 42-Jährige.
Vanessa Weber hatte das Marktgeschehen im ersten Quartal 2020 wie immer gut beobachtet. Deshalb war auch die Geschäftsführerin von Werkzeug Weber – einem mittelständischen Fachhändler für Werkzeuge und Betriebseinrichtungen – früh dran: „Als bekannt wurde, dass die Bedingungen für Kurzarbeit gelockert werden, habe ich den Antrag gleich bei unserer zuständigen Arbeitsagentur gestellt“, sagt sie. „Ich wollte nicht der hundertste Antrag auf einem riesigen Stapel sein.“ Die Mitarbeiter des Familienbetriebs, den Weber in vierter Generation führt, betraf ihr Vorgehen unterschiedlich stark: Diejenigen, die in ihrem Ladengeschäft arbeiteten, setzte sie zu 100 Prozent auf Kurzarbeit, den Außendienst zu 70 und den Innendienst zu 50 Prozent.
Aktuell (Stand 26. April 2020) ist in Deutschland für 10,1 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet – ein historischer Höchststand. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im April um 308.000 Menschen auf 2,6 Millionen. Auch das ist ungewöhnlich, denn normalerweise erholt sich der Arbeitsmarkt saisonbedingt im Frühjahr. Der Anstieg liege nicht nur an krisenbedingten Kündigungen, erklärt Holger Schäfer, Senior Economist im Kompetenzfeld Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Die aktuellen Unsicherheiten führen dazu, dass Unternehmen ihre Einstellungen reduzieren. Deshalb finden beispielsweise junge Menschen, die dem Arbeitsmarkt zum ersten Mal zur Verfügung stehen, nur schwer einen Job und diejenigen, die selbst gekündigt haben, auch. Darüber hinaus ist eine Rückkehr aus dem ALG-I- und ALG-II-Bezug auf den Arbeitsmarkt momentan seltener der Fall als vor der Corona-Krise.“
Krise auf dem Arbeitsmarkt
Schäfer geht nicht davon aus, dass der Lockdown so umfassend und dauerhaft aufgehoben werden kann, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt noch in diesem Jahr vollständig überwunden wird. Sein negativstes Szenario: „Wenn wir über Monate mit dem Lockdown leben müssen, werden die Kosten astronomisch, das können die Unternehmen nicht auf Dauer durchhalten.“ Dann würde sich die Arbeitsmarktkrise bis weit ins nächste Jahr hineinziehen.
Fest steht: Es hat bereits Kündigungen als Folge der Corona-Krise gegeben und es wird sie auch künftig verstärkt geben. Aus diesem Grund hat Claudia Michalski gerade mehr zu tun als sonst. Die 54-Jährige ist Geschäftsführerin der OMC Open Mind Management Consulting GmbH, sie berät Führungskräfte in Trennungsprozessen. Eine schwierige Aufgabe, gibt sie zu bedenken, vor allem jetzt: „Wer eine Kündigung ausspricht, dem sollte bewusst sein, dass er jemandem zumindest zeitweise die Existenzgrundlage entzieht. In der Corona-Krise ist die Situation besonders heikel, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind schlechter als sonst.“
Aus Erfahrung weiß sie: Häufig denken Führungskräfte, sie müssten im Gespräch hart sein. Ein Fehler, stellt sie in ihrer Beratung klar: „Ein Kündigungsgespräch ist auch eine Möglichkeit, jemandem seine Wertschätzung zu zeigen und klar zu machen, dass die Trennung zwar überlebensnotwendig ist für das Unternehmen, aber man sie persönlich sehr bedauert.“ Als praktische Tipps gibt sie folgende Empfehlungen mit auf den Weg:
- Einen Fahrplan für die Trennung entwickeln.
- Das Trennungsgespräch eins zu eins oder eins zu zwei (mit HR-Unterstützung) in einer ruhigen Umgebung führen.
- Es kurz und sachlich halten.
- Keine ausführlicheren Begründungen.
- Keine „Sünden“ aus der Vergangenheit aufzählen.
- Sich im Vorfeld überlegen, wie man mit Emotionen umgeht.
- Getränke anbieten, Taschentücher bereitstellen.
Kündigungen als Folge der Coronakrise
Die Coronakrise an sich ist kein Kündigungsgrund, eine Kündigung als Folge der Krise ist bei Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern eine betriebsbedingte Kündigung. Damit sie rechtwirksam ist, darf dem Unternehmen kein milderes Mittel Verfügung stehen – etwa Kurzarbeitergeld oder eine Änderungskündigung mit einer geringeren Arbeitszeit. „Eine Auftragsdelle reicht nicht aus“, warnt Ulrike Barkow, Fachanwältin für Arbeitsrecht. „Bei der Kurzarbeit genügt ein vorübergehender Arbeitsmangel als Begründung, bei der betriebsbedingten Kündigung muss die Arbeit dauerhaft wegfallen. Ein Grund, der einer Kündigungsschutzklage standhält, wäre etwa, wenn ich eine Abteilung schließe.“ Während der Kündigungsfrist erhalten Mitarbeiter kein Kurzarbeitergeld, sondern ihre vollen Bezüge. Das gilt auch, bis ein Arbeitsgericht über eine etwaige Kündigungsschutzklage entscheidet. Soll im großen Stil gekündigt werden, müssen Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern vorher eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit stellen.
Hohe psychische Belastung
„Ab der Kündigungsbotschaft befindet sich ein Mitarbeiter in einer Schocksituation. Er kann danach nicht mehr richtig zuhören“, sagt Michalski. Deshalb sollte er an dem Tag auf keinen Fall mehr arbeiten müssen. Auch die genauen Konditionen der Trennung müssten auf später verschoben werden: „Mögliche Abfindungen, Freistellungen, Rückgabe von Laptop und Firmenwagen – all das wird in späteren Gesprächen mit der Personalabteilung festgelegt.“
Auch die Zeit nach dem Trennungsgespräch muss gut vorbereitet sein. Kai Anderson ist Gründungspartner und Vorstand von Promerit, einer HR-Beratung, die zur Mercer AG gehört. Er weiß: Die Situation ist für Führungskräfte auch im Nachgang eine Herausforderung: „Die psychische Belastung ist hoch.“ Der Berater rät zum Erfahrungsaustauch mit anderen Führungskräften, zu Coachings und Mentorenprogrammen mit erfahrenen Geschäftsführern. „Wir dürfen nicht vergessen: Die Finanzkrise ist zehn Jahre her. Manche Führungskräfte sind so jung, dass sie noch nie eine Krise gesehen haben. Sie kündigen jetzt zum ersten Mal.“
Darüber hinaus muss der Blick auf die verbleibende Belegschaft geschärft sein. „Sowohl in Trennungsgesprächen als auch in der Kommunikation mit den verbleibenden Mitarbeitern ist ein konsistentes Narrativ entscheidend“, sagt Anderson. Kursierten im Betrieb unterschiedliche Geschichten, wer wann aus welchen Gründen gehen muss, führe das schnell zu Unsicherheit. „Führungskräfte müssen nah dran sein, um Ängste aufzunehmen und um einen positiven Ausblick zu geben: Wir haben eine Zukunft, wir haben eine Strategie und wir haben die Chance aus der Krise zu kommen und diejenigen, die dabei sind, können sich mit uns weiterentwickeln. Eine solche Botschaft kann eine Menge positiver Energie freisetzen.“
Neue Produkte und Projekte
Werkzeug-Weber-Geschäftsführerin Vanessa Weber hofft, ohne Kündigungen durch die Krise zu kommen. „Wir haben eine gute Substanz und in den letzten Jahren gut gewirtschaftet“, sagt sie. Um liquide zu bleiben hat sie ihre Fixkosten so weit wie möglich heruntergefahren. Weber setzt auf Steuerstundungen, zahlt sich selbst kaum Gehalt, hat ihr Forderungsmanagementverschärft und das Zahlungsziel, im Einverständnis mit den Kunden, verkürzt. Neue Produkte wie Abholboxen für den Handel und eine Plattform für 3D Druck hat sie auch schon im Angebot. Die Zeit des Auftragsmangels nutzt sie, um Digitalisierungsmaßnahmen voranzutreiben. Die Folge: „Wir werden ab Mai die Kurzarbeit lockern. Wir merken, dass einiges zu tun ist. Glücklicherweise kann ich das tageweise steuern – man muss der Bundesagentur für Arbeit erst Ende des Monats mitteilen, wie viel Kurzarbeit man gemacht hat.“
Auch Tim Karußeit will Kündigungen vermeiden. Um Gehaltsausfälle seiner Mitarbeiter zu verringern, holt er sie so oft es geht aus der Kurzarbeit zurück und verleiht sie an andere Unternehmen. Außerdem setzt er auf die Innovationskraft seiner Firma. „Wir haben unser Geschäftsmodell in kürzester Zeit umgebaut. Dabei haben wir uns die Frage gestellt, wie unsere mobilen Messewände aktuell von Nutzen sein können.“ Erst baute sein Team mobile Corona-Ambulanzen und Krankenhäuser, dann Wände in Schulen und Kitas. Seine neueste Idee, Besuchszimmer für Senioren- und Pflegeheime, geht in die Umsetzung. Doch die Unsicherheit bleibt: „Leider macht das nur einen Teil des verlorengegangenen Umsatzes wieder wett. Momentan zehren wir von einem Polster, das mein Vorgänger in guten Jahren erwirtschaftet hat. Auch bemühen wir uns um einen KfW-Kredit. Nichtsdestotrotz sind wir darauf angewiesen, dass das Messegeschäft spätestens Anfang nächsten Jahres wieder anzieht.“
Kurzarbeit verlängern und unterbrechen
- Wer das Kurzarbeitergeld für weniger als die maximale Bezugsdauer von einem Jahr beantragt hat, kann den Bezug verlängern. Dazu muss der Unternehmer eine entsprechende Anzeige stellen und das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für den zu verlängernden Zeitraum nachweisen. Wird für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens einem Monat kein Kurzarbeitergeld gezahlt, weil Mitarbeiter in den Betrieb zurückgeholt werden, darf das Unternehmen die Zeit hinten dranhängen.
- Wer in den Betrieb zurückgeholt wird und in welchem Umfang, sollten Unternehmer genau abwägen. „Wenn ich einen Mitarbeiter zurückhole und den anderen weniger oder gar nicht, brauche ich dafür gute Gründe“, sagt Ulrike Barkow, Fachanwältin für Arbeitsrecht. „Das wäre zum Beispiel bei besonderen Qualifikationen eines Mitarbeiters gegeben. Andernfalls könnte der Mitarbeiter, der weiterhin weniger oder gar nicht arbeitet, mit einer Klage auf Beschäftigung unter Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Erfolg haben.“
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
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