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Patrik-Ludwig Hantzsch
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Die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen wurden bereits vor der Wahl im Hinblick auf das unterschiedliche Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland diskutiert.
Dabei war schon bei der Europawahl deutlich geworden, wie unterschiedlich die Präferenzen in den alten und neuen Bundesländern waren. Bei der Entscheidung für die eine oder andere Partei spielen Bewertungen der aktuellen und vermuteten zukünftigen wirtschaftlichen Lage eine große Rolle. Sind die Gegebenheiten im Osten und im Westen tatsächlich so unterschiedlich wie das Wahlverhalten?
Grundlegend für eine Bewertung der Wirtschaftslage ist zunächst die Bevölkerungssituation. Vorauszuschicken bleibt dabei, dass die Wirtschaft in Ost und West gleichermaßen unter der demografischen Entwicklung leidet. Die Überalterung in Deutschland führt zu einem Mangel an Arbeitskräften, an Konsumkraft und Innovationswillen, aber auch zu einer Überlastung des Gesundheitssystems, der Kosten für Arbeit durch die Erhöhung der Nebenkosten und auf längere Sicht eben zu einem Schrumpfen der Gesamtbevölkerung. Erwerbstätige im Alter zwischen 18 und 64 Jahre werden vor allem in den ostdeutschen Ländern seltener. Berechnungen des Statistischen Bundesamtes gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren die Zahl erwerbstätiger Personen zwischen 8 und 16 Prozent abnimmt. In Westdeutschland beträgt dieses Minus nur 2 Prozent. Dabei geht man allerdings von einer Zuwanderung auf weiterhin hohem Niveau aus und käme sonst ebenfalls auf ein deutliches Minus von 11 Prozent. „Die gegenwärtige Altersstruktur in Ostdeutschland ist noch immer durch den Geburteneinbruch nach der deutschen Vereinigung und die verhältnismäßig starke Abwanderung der letzten Jahrzehnte geprägt,“ führt Destatis aus. Dabei ist anzumerken, dass seit 2017 mehr Bürger von Westen nach Osten gezogen sind als umgekehrt. Bei diesen Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung und der Erwerbstätigkeit im Allgemeinen ist allerdings noch der Unterschied zwischen Stadt und Land wichtig. Zunächst einmal sind die ostdeutschen Länder immer schon ländlich geprägt gewesen. Während im Osten die Bevölkerung insgesamt rückläufig war, stieg sie im Westen leicht an. Doch in den ostdeutschen Großstädten wuchs die Einwohnerzahl zwischen 2017 und 2022 um 2,6 Prozent, in den westdeutschen Großstädten nur um 1,8 Prozent. Insgesamt ist das Durchschnittsalter in Ostdeutschland aber mit 47,2 Jahren höher als in Westdeutschland mit 44,2 Jahren.
Überalterung und schrumpfende Bevölkerung führen vor allem in ostdeutschen Landkreisen zu einer Abwärtsspirale. Neue Unternehmen siedeln sich nicht an, weil es keine Arbeitskräfte gibt, die Infrastruktur leidet und der Handel zieht weg. Eine aktuelle Untersuchung des IW zeigt, dass der Pessimismus im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation gerade in den ländlichen Regionen im Osten besonders ausgeprägt ist. In Ostdeutschland waren 2022 knapp sechs Millionen Bürger in Beschäftigung, in Westdeutschland waren es 37,4 Millionen Das BIP pro Einwohner betrug in Ostdeutschland 34.600 Euro, im Westen knapp 48.000 Euro. Es ist aber nicht allein die Tatsache, dass ostdeutsche Arbeitnehmer immer noch weniger verdienen als ihre Kollegen im Westen – in der Wahrnehmung spielt wohl vor allem das Vermögen eine Rolle. Gerade aktuell in den Zeiten hoher Inflation kann im Osten wenig abgefedert werden. Ausweis für diesen unterschiedlichen Vermögensbestand ist die Erbschaftssteuer – der Osten ist nur mit zwei Prozent am gesamtdeutschen Aufkommen der Erbschaftssteuer beteiligt. Die Gründe dafür liegen vor dem Hintergrund einer sozialistischen Gesellschaft auf der Hand – in der DDR gab es kein Vermögen.
Der unterschiedliche Blick in Ost- und Westdeutschland auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten ist auch durch die hohen Transferzahlungen aus dem Westen bestimmt. Die Transferzeit ist vorbei und die Zahlungen werden nicht mehr systematisch erfasst. Die gigantische Summe von 3,4 Bill. Euro, der allerdings im Osten Steuern in Höhe von 1,8 Bill. Euro gegenüberstanden, schaffte einen Nettotransfer von 1,6 Bill. Euro. Das führte zu einer Verschuldung, wie es sie in den Jahrzehnten vor der Wiedervereinigung noch nicht gegeben hatte. Tatsächlich steht dem ostdeutschen „Groll“ eine westdeutsche „Pikiertheit“ gegenüber, mit der auf die hohen Transferzahlungen verwiesen wird. Das IW beschreibt die Ergebnisse seiner Untersuchung: „So ist der ökonomische Pessimismus in schrumpfenden Regionen besonders ausgeprägt: 80 Prozent der Befragten unterschätzen dort die wirtschaftliche Entwicklung der Wohnregion, im Westen sind es 51 Prozent.“ Und weiter heißt es, dass weniger als ein Drittel der ostdeutschen Befragten mit der Entwicklung auf dem heimischen Arbeitsmarkt zufrieden sei – ein Viertel ist sogar eindeutig unzufrieden. Und es kommt zu einer weiteren falschen Einschätzung, wenn jeder Zweite aus einer „Aufsteigerregion“ angibt, er lebe in der Stagnation. Jeder Fünfte der Befragten spricht davon, regional abgehängt zu sein.
Tatsache ist, dass Ostdeutschland gegenüber dem Westen wirtschaftlich aufgeholt hat. In vielen Bereichen herrscht aber noch ein wirtschaftliches Ungleichgewicht. Der immer noch laufende, wenn auch langsame, Prozess ökonomischer Konvergenz könnte allerdings durch die demografische Entwicklung und das Fehlen eines Ausgleichs durch Zuwanderung gefährdet werden. Dann könnte man angesichts des Pessimismus in weiten Teilen der Bevölkerung von einer „Self-fulfilling prophecy“ sprechen.
Quellen: Destatis, Ifo, IW
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