Betriebliche Altersvorsorge: Lohnt sich das noch?
Die anhaltende Niedrigzinsphase entwickelt sich zum wachsenden Problem für Betriebsrenten. Unternehmer geraten unter Druck, wenn sie Mitarbeitern eine attraktive Vorsorge bieten wollen. Was Experten empfehlen, um zu einer für alle guten Lösung zu kommen.
Unternehmer Benedikt Friedl weiß sein Team zu schätzen. Im vergangenen Jahr übernahm er die Sempt Apotheke im bayerischen Erding mit 15 Mitarbeitern. „Seitdem suchen wir verzweifelt qualifizierte Verstärkung. Aber es kommen keine Bewerbungen, infolge des Fachkräftemangels in unserer Branche und in unserer Region“, sagt Friedl.
Ein Grund, warum er jeden seiner Angestellten langfristig binden will. „Statt in Stellenanzeigen zu investieren, belohne ich meine Mitarbeiter lieber für ihre Leistung.“ Friedl entwickelte ein ausgeklügeltes Vorsorgesystem, für das er in diesem Jahr mit dem Deutschen bAV-Preis ausgezeichnet wurde. Dieser honoriert Unternehmen, die ihre Mitarbeiter bei der betrieblichen Altersversorgung (bAV) besonders unterstützen. Die Sempt Apotheke bietet neben der klassischen bAV in Form einer Direktversicherung eine betriebliche Krankenversicherung sowie eine betriebliche Unfallversicherung. Außerdem verdoppelt Friedl den im Tarifvertrag vereinbarten Arbeitgeberzuschuss. „Fast jeder Mitarbeiter, auch jene mit geringem Einkommen, sparen jetzt bei uns für ihre Rente an. Wir konnten nach ausführlichen Beratungsgesprächen alle überzeugen mitzumachen“, sagt der Apotheker. Er wählte für die Betriebsrente die Branchenlösung.
„Das passt, weil ich alles aus einer Hand bekomme und sich für mich auch der Verwaltungsaufwand in Grenzen hält.“ Seine einzige Vorgabe war, dass seine Zusatzleistungen maximal ein Prozent seiner Personalkosten betragen sollten.
Friedl gilt mit diesem Konzept in seiner Branche als ein Vorreiter. Laut Statistik der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung (aba) bietet in Deutschland insgesamt jedes zweite Unternehmen eine Lösung für die Betriebsrente an. Etwas detaillierter listet es der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung auf. Demnach haben in Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten 48 Prozent Anspruch auf eine Betriebsrente. In größeren Betrieben mit 250 bis 499 Beschäftigten sind es immerhin 58 Prozent und in Konzernen ab 1.000 Mitarbeitern 88 Prozent. Kleine und mittlere Unternehmen setzen demnach häufig wie Friedl auf die Direktversicherung als Durchführungsweg, gefolgt von der Pensionskasse. Der Grund sind Vorteile bei Steuern und Sozialversicherung. Außerdem können Mitarbeiter solche Verträge bei einem Arbeitgeberwechsel relativ unkompliziert zum neuen Arbeitgeber mitnehmen.
Betriebliche Altersvorsorge: Niedrigzinsphase mindert Leistung
Doch es gibt wachsende Probleme: Die bAV-Anbieter haben infolge der anhaltenden Niedrigzinsphase und der bestehenden rechtlichen Regularien Schwierigkeiten, die vorgeschriebene Bruttobeitragsgarantie zu erreichen. Das heißt, ihnen bleibt zu wenig von den Sparbeiträgen übrig, um ihre Kosten zu decken und gleichzeitig zu gewährleisten, dass bis zum Renteneintritt das angesparte Kapital vorhanden ist. Zum 1. Januar 2022 wird der Höchstrechnungszins von 0,9 auf 0,25 Prozent für Neuabschlüsse gesetzlich gesenkt. Die Allianz reagierte bereits zum Juli dieses Jahres. Sie bietet wohl nur noch beitragsorientierte Leistungszusagen mit einem Garantieniveau von 60 bis 90 Prozent an. Die Pensionskasse der Allianz nimmt nach Berichten ab dem kommenden Jahr keine neuen Verträge mehr an. Überdies verfolgen die Aufsichtsbehörden anscheinend die Entwicklung mehrerer Pensionskassen intensiver, weil sie langfristig möglicherweise ihre Versprechen nicht einlösen können.
„Vielen Unternehmern ist nicht klar, dass sie in derartigen Situationen und bei Kürzungen selbst erhöhte Risiken tragen. Gegenüber ihren Mitarbeitern haften sie für die zugesagte Höhe der Betriebsrente“, erklärt Andreas Brand, Geschäftsführer der Brandconsult GmbH in Rellingen im Kreis Pinneberg. Der bAV-Experte berät Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Betriebsrentenlösung und vermittelt Verträge.
Wenn ein Anbieter also die vertraglich avisierte Rentenleistung kürzt, was nicht ausgeschlossen werden kann, muss der Arbeitgeber bis zur zugesagten Leistung, häufig der garantierten Leistung des Versicherers, aus eigener Tasche aufstocken“, warnt Brand.
Auf seinem Tisch liegen bereits solche Fälle. „Bei mittelständischen Unternehmen wirkt sich dies sehr schnell existenzgefährdend aus. Möglicherweise müssen hohe Rückstellungen in Millionenhöhe gebildet werden, welche die Bilanz belasten. Die Rentenkürzungen dynamisieren sich“, sagt Brand. Er rät daher dazu, auch mit Blick auf die Netto-Solvenzquote den Anbieter auszuwählen. Sie offenbart, ob der Versicherer auch unter besonderen Rahmenbedingungen noch ausreichend Eigenmittel aufbringt, um seinen Leistungsversprechen nachzukommen. Nachzulesen ist das in den Geschäftsberichten.
„Soweit diese Zahl mit 200 Prozent oder mehr ausgewiesen wird, ist das gut“, kommentiert Brand. Daher orientieren sich Firmenchefs oft an den von den Tarifpartnern für die Betriebsrenten avisierten Lösungen – „was aber nicht immer die beste Variante für die Beteiligten sein muss“, so Brand. Viele Tarifverträge sind veraltet.
Kaum noch feste Zinsgarantien
„Moderne Modelle orientieren sich am Kapitalmarkt, selten werden bei Neugestaltungen noch feste Zinsgarantien vergeben“, erklärt Heiko Gradehandt, Senior Director Retirement der Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson in Frankfurt. Laut dem deutschen bAV-Index von diesem Jahr setzen gut 70 Prozent der aktuellen bAV-Zusagen auf kapitalmarktorientierte Zinsmodelle.
„Fondslösungen stehen im Fokus“, sagt Regina Stubel, Spezialistin für betriebliche Altersversorgung bei der Signal Iduna Gruppe in Hamburg. Sie weiß aber auch: „Die Deutschen lieben Garantien.“ Das ist ein wichtiger Grund, warum es das neue Sozialpartnermodell so schwer hat. Hier wird ganz auf Garantien verzichtet.
„Das Konstrukt wie auch die rechtlichen Vorgaben sind komplex und bei allen Beteiligten daher sehr erklärungsbedürftig. Es wäre notwendig, hier einiges zu vereinfachen. Sonst wird sich dieses von der Idee attraktive Modell nicht durchsetzen“, sagt Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung in Berlin. Nur die Gewerkschaft Verdi, die mit dem Versicherer HDI kooperiert, ist bisher im Boot.
„Die Prüfung durch die BaFin dauert an. Es ist eine besondere Verantwortung, die dieser erste Abschluss als Blaupause für die gesamte Branche mit sich bringt“, sagt Fabian von Löbbecke, bAV-Vorstand der HDI Lebensversicherung. Es werde sehr gewissenhaft miteinander gesprochen. „Das ist auch richtig und wichtig und wird unserer Vorreiterrolle an dieser Stelle nur gerecht“, so von Löbbecke. Wann das Modell komplett durch ist, bleibt offen.
Wie also können Unternehmer jetzt schon ihre bAV optimieren? Unter anderem mit diesen Expertentipps:
Eingerechnete Kosten berücksichtigen. Mehrere Angebote einholen, rät Fabian von Löbbecke. „Unternehmer sollten vergleichen und insbesondere auf Preis-Leistung sowie auf die Kostenquoten achten.“ Für kleine und mittlere Firmen bieten sich die versicherungsnahen Wege wie beispielsweise die Direktversicherung oder für Besserverdienende auch die Unterstützungskasse an. „Direktzusagen belasten die Bilanz, wenn sie vollständig im Unternehmen abgewickelt werden. Daher sind sie eher zweite Wahl für mittelständische Unternehmen. Mit einer Direktversicherung sind die Firmen gut gerüstet“, so der bAV-Vorstand.
Digitalisierung vorantreiben. Die Anbieter unterstützen bei der Administration, sie entlasten die Betriebe bei der Durchführung. Prozesse auf Papier werden digital ersetzt. Mitarbeiter können über eigene bAV-Portale ihre aktuellen Stände selbstständig abrufen. „Unternehmer sollten einen Anbieter wählen, der sich hier engagiert und ihnen Arbeit abnimmt“, sagt von Löbbecke.
Riester-Förderung integrieren. HDI bietet zum Beispiel an, bestehende wie neue Verträge mit einer Riester-Förderung zu kombinieren. „Die Zuschüsse steigern die Einzahlungen, womit sich die Betriebsrente für die Mitarbeiter zum Ruhestand deutlich erhöhen kann.“
Regelmäßig überprüfen. „Krisenfest ist eine Versorgungszusage, wenn sie professionell gestaltet wurde und regelmäßig überprüft wird“, sagt Heiko Gradehandt von Willis Towers Watson. „Professionell gestaltet“ definiert er so: „Arbeitgeber versprechen eine Altersversorgung, die sie langfristig gut einhalten können und die rechtlich ‚wasserdicht‘ ist.“
Zeitgemäße Garantien gewähren. Geht die Altersversorgung mit einer versicherungs- oder wertpapierbezogenen Finanzierung einher, sollte sich die Zusage immer an dem orientieren, was dort garantiert ist. Gradehandt empfiehlt: „Attraktiv und werthaltig lassen sich Versorgungszusagen im aktuellen Versicherungsumfeld nur mit anfangs niedrigen Garantien gestalten.“ Das ermögliche gute Wertentwicklungschancen. Durch künftige garantierte Überschüsse steigt das Niveau der Versorgung.
bAV absichern. „Bei der Auszahlung gewährleisten Kapitalzahlungen oder versicherungsförmig finanzierte Renten, dass ein langes Leben, das wir uns alle wünschen, für den Arbeitgeber nicht zur wirtschaftlichen Belastung wird“, sagt Gradehandt. Etwa wenn auf 30 aktive Dienstjahre mit Hinterbliebenenrenten noch 40 Jahre Rentenzahlungen folgen. Ein Risiko, mit dem ein Versicherungsunternehmen täglich umgeht. Für ein mittelständisches Unternehmen kann dies aber eine erhebliche Herausforderung darstellen.
Belegschaft gut beraten. Unternehmer sollten nicht abwarten, bis ein Mitarbeiter sie anspricht. Besser ist es, selbst zu agieren und eine Lösung anzubieten. So können sie am besten den Wunsch der Mitarbeiter nach einer möglichst hohen Betriebsrente erfüllen und außerdem einen Weg finden, die für die Firma mit einem niedrigen Verwaltungsaufwand verbunden ist. Helfen können dabei bAV-Experten einer Versicherung oder unabhängige Makler. „Größere Mittelständler wenden sich zum Beispiel auch an eine Unternehmensberatung, die sich intensiv mit Fragen rund um Betriebsrenten beschäftigt“, rät Stiefermann.
Investieren in Humankapital. Ab 2022 sind Unternehmen laut Betriebsrentenstärkungsgesetz verpflichtet, auch bei bestehenden Verträgen mit Entgeltumwandlung einen Zuschuss in Höhe von 15 Prozent des umgewandelten Betrags zu gewähren – maximal in Höhe der vom Unternehmen gesparten Sozialversicherungsbeiträge. Bis zum Jahresende also müssen sich die Betriebe umstellen, womit sich die Betriebsrente verteuern dürfte. „Das sollten die Firmen als Investition in Humankapital sehen, um Mitarbeiter zu binden und zu motivieren“, sagt Stiefermann.
Eigene Vorsorge einbeziehen. Der Experte weist darauf hin, dass Unternehmer aber auch an sich selbst denken sollten. „Insbesondere GmbH-Chefs können von einer Betriebsrente ebenso profitieren wie ihre Mitarbeiter. Deshalb sollten sie ihre eigene Vorsorge mit planen und ganzheitliche Lösungen wählen, um von Anfang an aus einem Guss zu starten“, so Stiefermann.
Die Durchführungswege der bAV
Direktversicherung
Der Arbeitgeber schließt bei einem Versicherer eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung für den Arbeitnehmer ab. Die vereinbarten Leistungen stehen dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen zu.
Pensions- oder Direktzusage
Der Arbeitgeber sichert dem Arbeitnehmer die Zahlung einer Rente aus betrieblichen Mitteln zu und bildet entsprechende Rückstellungen in der Bilanz. Die Alternative: Er deckt seine Zusage mit einer Rückdeckungsversicherung ab und erhält im Leistungsfall die Geldmittel, um seine Zusage erfüllen zu können.
Pensionskasse und Pensionsfonds
Der Arbeitgeber schließt mit einer Pensionskasse oder einem Pensionsfonds (beides eigenständige Versorgungseinrichtungen) eine Rentenversicherung beziehungsweise Pensionsfondsversorgung für den Arbeitnehmer ab. Der Arbeitnehmer hat gegenüber der Versorgungseinrichtung einen Rechtsanspruch auf die vereinbarten Leistungen.
Unterstützungskasse
Der Arbeitgeber sichert dem Arbeitnehmer Leistungen aus einer Unterstützungskasse zu. Dabei handelt es sich um eine mit Sondervermögen ausgestattete, eigenständige Versorgungseinrichtung, die meist von mehreren Firmen getragen wird. Die Unterstützungskasse hat mit einem Versicherer eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen. Der Arbeitgeber beteiligt sich an der Unterstützungskasse als Trägerunternehmen und zahlt die Beiträge.