Chancen für grüne Pioniere
Klimafreundliche Produkte werden immer stärker nachgefragt. So stark, dass das Angebot bald knapp werden könnte, prognostiziert eine Studie der Boston Consulting Group. Patrick Herhold, Mitautor und Partner bei BCG erklärt, wie Unternehmen ihre Chancen auf entstehenden grünen Märkten nutzen.
Herr Herhold, klimaneutrale Produkte sind meist noch teurer als konventionell hergestellte. Sie dennoch auf den Markt zu bringen, ist eine Wette auf die Zukunft. Würden Sie sie eingehen?
Patrick Herhold: Ja, ich würde sie eingehen. Nicht blind, sondern gut kalkuliert. Als Unternehmer würde ich aus einer Intuition heraus vielleicht auch erst mal zögern, weil ich die Kosten und das Risiko scheue. Aber wenn ich mir Studien dazu ansehe, stelle ich fest: Es gibt wenige Beispiele von Unternehmen, die diese Wette schon eingegangen sind und nicht erfolgreich waren. Deshalb ist es für mich keine Frage ob, sondern nur, wie schnell und in welcher Reihenfolge grüne Märkte entstehen.
BCG hat dazu gemeinsam mit dem Weltwirtschaftsforum die Studie „Winning in Green Markets“ veröffentlicht. Wie definieren Sie darin grüne Märkte?
Wir haben uns in der Studie auf CO2-neutrale und emissionsreduzierte Produkte und Dienstleistungen konzentriert. Aber die Grenzen zu anderen Nachhaltigkeitsdimensionen sind fließend. Bei Konsumenten steigt die Bereitschaft, für emissionsarme Produkte etwas mehr zu bezahlen, wenn diese weitere Vorteile versprechen. Wenn ein Produkt nicht nur nachhaltig hergestellt, sondern auch gesünder, sicherer oder hochwertiger ist, zahlen Verbraucher dafür bis zu sieben Prozent mehr. Das ist ein Trend, den wir zum Beispiel bei Bio-Lebensmitteln schon lange beobachten.
Anders wird es im B2B-Geschäft sein, wo die Einkäufer auf jeden Prozentpunkt Mehrkosten schauen.
Dort zählen Argumente wie Gesundheit oder Sicherheit weniger. Aber der Bedarf an emissionsreduzierten oder klimaneutralen Produkten und Dienstleistungen ist genauso vorhanden. Einfach weil viele Konzerne und Industrieunternehmen sehr ambitionierte Dekarbonisierungsziele verfolgen. In der Folge unterliegen auch alle Rohstoffe und Vorprodukte, die diese Unternehmen einkaufen, einem großen Dekarbonisierungsdruck, der an die Lieferanten weitergegeben wird. Beim Stahl hat das schon zu einer Knappheit geführt. Die Nachfrage nach grünem Stahl ist deutlich größer als das Angebot. Das Gleiche werden wir bei Zement oder Kunststoffen erleben.
Auch wenn emissionsfrei hergestellte Güter im Einkauf noch teurer bleiben?
Ja, denn die Materialkosten machen nur einen Teil der Gesamtkosten aus, die zum Beispiel ein Automobilhersteller hat. Wir konnten in einer anderen Studie zeigen, dass der Einkauf von grünem Stahl die Gesamtkosten am Ende nur um zwei Prozent steigert. Ganz ähnlich ist das in allen acht Wertschöpfungsketten mit den höchsten Emissionen. Egal ob beim Stahl, im Transport, bei Lebensmitteln, Konsumgütern, Elektronik, Zement, Kunststoffen oder in der Chemie – überall liegen die Mehrkosten für Dekarbonisierung zwischen zwei und vier Prozent. Das ist sicher spürbar, spielt aber nicht die entscheidende Rolle, die man bisher immer vermutet hat.
Die Politik versucht, Kostenparität zu fördern, mit dem Emissionshandel und anderen ordnungspolitischen Vorgaben. Wird das für zusätzliche Dynamik sorgen?
Ergänzend könnte das helfen. Der CO2-Preis ist ein Mechanismus, mit dem man eine gewisse Kostenparität herstellen kann. Aber die Entwicklung, die wir jetzt beobachten, hat kaum etwas mit Regulierung zu tun, sondern ist durch die Klimaschutzverpflichtungen der Wirtschaft entstanden. Im November 2022 hatten sich 1.957 Großunternehmen weltweit wissenschaftlich basierte Emissionsziele gesetzt, weitere 2.013 hatten die Absicht, dies zu tun. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Privatwirtschaft einen deutlich größeren Hebel hat, die Klimakrise zu lösen, als es die Politik mit Regulierung schaffen kann.
Warum?
Weil Unternehmen ein gutes Gespür für ihre Märkte haben – und weil sie rechnen können. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere gesamte Wirtschaft im Jahr 2045 klimaneutral sein soll, dann stellt sich in 20 Jahren nicht mehr die Frage, ob graue Produkte noch günstiger sind. Dann wird es schlicht keinen Markt mehr für sie geben. Das heißt im Umkehrschluss, dass sich jetzt schon ein Zeitfenster öffnet, in dem Unternehmen als Vorreiter mit grünen Produkten Marktanteile gewinnen können. Das ist die anfangs angesprochene Wette. Gelingt ihnen das, sichern sie sich mittel- und langfristig ihre Existenzgrundlage.
Was raten Sie Unternehmern also zu tun?
Sie sollten sich fragen: Welche Rolle spielt ihr Produkt in der Dekarbonisierungsstrategie ihrer Kunden? Und wie können sie sich mit geringer emittierenden, nachhaltigeren Produkten einen Wettbewerbsvorteil sichern? Am Ende ist es nichts anderes als ein klassischer Business Case. Nur mit dem Wissen, dass Märkte entstehen, die – zumindest in den kommenden Jahren – von Knappheit geprägt sind. Sie müssen grüne Produkte also nicht allein über die Marge kalkulieren …
… und das besser heute als morgen?
Genau. Wir unterschätzen systematisch die Geschwindigkeit der Veränderung. Das haben wir in einer Studie im vorigen Jahr gezeigt. Darin haben wir Prognosen zur Entwicklung von Klimatechnologien verglichen: Die für das Jahr 2030 prognostizierte installierte Leistung an Solarenergie hat sich von 2002 bis 2020 um den Faktor 36 erhöht. Etwas Ähnliches lässt sich bei allen grünen Technologien zeigen. Sie wachsen schneller als angenommen. Und das wird auch bei grünem Wasserstoff und CO2-Speicherung so sein. Insofern sollte jeder gut abwägen, wie er die Transformation mit seinen Dienstleistungen und Produkten mitgehen kann.
Zur Person:
Patrick Herhold ist Managing Director und Partner bei der Boston Consulting Group und Co-Autor der Studie „Winning in Green Markets: Scaling Products for a Net Zero World“, die BCG im Januar 2023 gemeinsam mit dem Weltwirtschaftsforum veröffentlicht hat. In der Beratung konzentriert er sich derzeit auf Dekarbonisierungsprojekte und leitete unter anderem die Entwicklung einer langfristigen Null-Emissions-Strategie für die deutsche Industrie als Grundlage für die europäische und nationale Politik.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Interview: Christian Raschke