Das Frühwarnsystem fürs Zahlungsverhalten
#2 Wie Unternehmen erkennen, ob Kunden noch zuverlässig ihre Rechnungen begleichen – damit sie am Ende nicht auf offenen Forderungen sitzen bleiben.
Frank Firneisen (Vertriebsleitung und Kundenberatung bei Creditreform Oldenburg Bolte KG) und Reyno Thormählen (Geschäftsführer bei Hans Thormählen GmbH & Co. KG) beleuchten im Gespräch mit Jessica Springfeld (Handelsblatt Media Group) den Nutzen des Zahlungserfahrungspools "Debitorenregister Deutschland" in der Praxis.
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Jessica Springfeld [00:00:00] (Moderatorin): Es könnte ja alles so einfach sein. Ein Unternehmen wird beauftragt, erbringt die Leistung, schreibt eine Rechnung und wird bezahlt. So weit, so gut. Aber leider nicht immer der Fall. Rechnungen werden oft erst verzögert gezahlt oder eben gar nicht. Das kann ein Unternehmen schnell unverschuldet in Schieflage bringen. Erst recht in Zeiten von Corona. Wie wäre es also, wenn ein System das Unternehmen vorher warnt? Nach dem Motto: Überleg es dir gut mit XY ein Geschäft zu machen, denn sein Zahlungsverhalten war in letzter Zeit, tja, wie formuliert man das nett? Schwierig. Oder aber: Diesem Kunden kannst du trauen. Er zahlt meist nach circa zehn Tagen. Was sich nach einem Blick in die Glaskugel anhört, ist längst möglich dank des Debitorenregister Deutschland. Was es damit auf sich hat und wie es im Alltag funktioniert, erzählen uns heute unsere zwei Gäste.
Jingle [00:00:59] Gute Geschäfte. Business Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.
Jessica Springfeld [00:01:08] Mein Name ist Jessica Springfield und ich begrüße Frank Firneisen. Er kennt das Tool als Abteilungsleiter der Kundenbetreuung bei Creditreform Oldenburg aus dem Effeff. Und ich begrüße seinen Kunden Reyno Thormälen, Geschäftsführer bei Hans Thormälen GmbH und Co.KG. Denn er nutzt das Debitorenregister. Herzlich willkommen, die beiden Herren.
Frank Firneisen [00:01:30] Frank Firneisen: Schönen guten Tag. Hallo.
Reyno Thormälen [00:01:31] Reino Thormälen: Guten Tag.
Jessica Springfeld [00:01:33] Fangen wir doch erst mal am besten mit Ihrem Alltag an, Herr Thormälen! Wie wichtig ist es für Sie wirklich, über die Bonität von Kunden Bescheid zu wissen?
Reyno Thormälen [00:01:43] Für mich ist das sehr wichtig. Wir sind in der Branche Baugewerbe tätig und im Baugewerbe ist ein hohes Tempo gefragt. Wir gehen als Dienstleister zunächst in Vorleistung und haben zum Teil recht hohe Forderungssummen. Und die Vielzahl von Forderungen erfordert es natürlich, dass man den Überblick behält.
Jessica Springfeld [00:02:05] Wie erleben Sie das in den letzten Wochen und Monaten? Macht man sich da schon mal eher Gedanken als, sagen wir mal, vor zwei Jahren.
Reyno Thormälen [00:02:12] Doch, man macht sich Gedanken. Und zwar ist uns unklar, wie sich die Zahlungsfähigkeit im Kundenstamm verändert. Ich möchte den Begriff der Zombies da vielleicht mal anführen. Das heißt also, durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht befürchten wir, dass schlagartig Insolvenzen auftreten werden. Insofern ist es noch wichtiger zu wissen: Wer hat welche Bonität, wer ist wie zahlungsfähig?
Jessica Springfeld [00:02:38] Herr Firneisen, wie beobachten Sie das von Ihrer Seite aus? Haben Sie auch das Gefühl, dass die Leute jetzt umso mehr gerne wissen würden, auf wen sie sich da geschäftlich einlassen?
Frank Firneisen [00:02:48] Ja, absolut. Weil die Gesamtlage ist noch viel unklarer, als sie es eigentlich vor Corona war. Und wir haben natürlich einen Bereich von Betrieben und Unternehmen, das sind wirklich Krisengewinner. Die haben wirklich viel zu tun und eine hervorragende Auftragslage. Und wir haben natürlich auch den Bereich der Unternehmen, die sehr große Probleme haben. Und wie erkenne ich jetzt, welches Unternehmen liegt eigentlich mit welchen Problemen bei mir im Kundenstamm?
Jessica Springfeld [00:03:17] Das "Wie", das können Sie im besten Fall beantworten. Wie würde ich das denn erkennen, wenn ich das Debitorenregister nutze?
Frank Firneisen [00:03:23] Also das Debitorenregister ist ja quasi der Offene-Posten-Bestand der Unternehmenslandschaft in Deutschland. Das heißt ich sehe natürlich, wie mein Kunde bei anderen Lieferanten bezahlt. Und ich kann mit diesem Debitorenregister sehr gut sehen, wie die anderen Lieferanten bezahlt werden. Und als Frühwarnindikation ist es ja so: Ein Unternehmen muss ja immer genügend Cash, Liquidität da haben, um seinen Verbindlichkeiten auf den Punkt nachzukommen. Und wenn irgendwo Zahlungsstockungen auftreten, möchte ich als Lieferant das gerne wissen, um frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Im Sinne von Lieferstopp oder gegebenenfalls ein Gespräch suchen oder Sicherungsleistungen einzubauen.
Jessica Springfeld [00:04:09] Mich interessiert noch mal, wie diese ganzen Daten zusammengetragen werden. Angenommen, ich entscheide mich jetzt, genau wie Herr Thormälen das gemacht hat, dafür, dieses Debitorenregister zu nutzen. Woher stammen die Daten die ich da sehe?
Frank Firneisen [00:04:23] Das ist so ein bisschen aufgebaut auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Das heißt, wenn Sie sich als Unternehmen entschließen, die Daten zu nutzen, dann möchten wir die Daten aus Ihrem Unternehmen haben, also die Offenen-Posten-Bestände und Sie kriegen die Daten aus dem Pool des Debitorenregisters über Ihre Kunden zurückgeliefert. Das ist also ein Austausch der gleichen Zahlungsinformation dahinter. Und da sind einige große Firmen, also ich meine, es sind im letzten Schnitt über 1500 gewesen, die dort ihre offenen Posten und Belege reingeben. Und daraus sehen wir halt sehr genau, wer wann wie wo bezahlen kann.
Jessica Springfeld [00:05:02] Herr Thormälen, würden Sie das so unterstreichen? Sie benutzen an das Debitorenregister. Wo hat Ihnen das schon geholfen.
Reyno Thormälen [00:05:08] Bei der Bewertung meiner Kunden. Manches Mal habe ich mich gefragt: Habe ich richtig mit dem Kunden verhandelt? Warum zahlt der Kunde bei mir so zögerlich? Und diese Informationen bekomme ich natürlich verdichtet zurück. Ich sehe, wie der Kunde auch bei anderen Lieferanten bezahlt. Insofern kann ich auch mein ganzes Mahnwesen im Prinzip strategisch ausrichten. Wenn ich also merke, der Kunde zahlt bei anderen auch schlecht, fasse ich ihn auch vom Wesen her etwas härter an.
Jessica Springfeld [00:05:36] Wäre das für Sie auch ganz klar ein Grund, wenn Sie das vorher eingeben und sehen: Ah, okay, das ist jemand, der tendenziell sehr gerne sehr, sehr spät zahlt, dass Sie sich auch wirklich vorab überlegen, mache ich mit diesem Kunden überhaupt Geschäfte?
Reyno Thormälen [00:05:50] Ja, das haben wir schon so praktiziert. Wenn wir also gemerkt haben, dass Kunden bei uns schlecht bezahlen und ich das bestätigt bekomme über die Auswertung vom Debitorenregister, dann haben wir auch schon in seltenen Fällen gesagt, wir arbeiten nicht mehr für dich.
Jessica Springfeld [00:06:05] Jetzt hat Herr Thormälen zwischendurch was angesprochen, nämlich diese Zombie-Kunden. Und es ist ja traurigerweise so, dass nicht jeder Kunde schon vor einem Jahr schlecht bezahlt hat, sondern eben gerade jetzt erst in Schieflage gerät. Wie ist das Herr Firneisen? Wie schnell reagiert das System auf solche Änderungen?
Frank Firneisen [00:06:25] Erst mal möchte ich nochmal differenzieren zwischen den Zombie-Unternehmen, die vor der Krise da waren. Das sind nämlich die Unternehmen, die eigentlich schon ihre Fremdkapitaldienste nicht mehr bedienen können. Die waren vor der Krise da, wurden aber womöglich mit frischem Geld noch wieder künstlich am Leben gehalten. Deswegen waren sie eigentlich tot, sind jetzt im schwebenden Verfahren untot. Also das sind die Zombies dahinter. Und wie schnell das reagiert, ist natürlich abhängig von der Einlieferung der Daten. Üblicherweise werden die Offenen-Posten-Bestände monatlich genannt, also eingeliefert. Wir haben aber Unternehmen, die machen das im 14 tägigen Turnus. Also könnte man sagen, dass diese Zahlungserfahrungen im Idealfall nicht älter als 14 Tage sind, im Maximalfall nicht älter als ein Monat.
Jessica Springfeld [00:07:14] Und beobachten Sie das in den letzten Wochen, dass generell bei vielen Unternehmen das Zahlungsverhalten ändert?
Frank Firneisen [00:07:27] Das ist sehr spannend aktuell. Also auch, wie das Insolvenzgeschehen zum Beispiel stark rückläufig ist. Aktuell ist die Zahlungsweise in einigen Bereichen auch wirklich immer noch sehr gut, weil gerade auch so ein Zombie-Unternehmen, was per se vielleicht im Vorfeld schlecht bezahlt hat, nun mit frischem Geld über Coronahilfen, über Kurzarbeit, seinen Verbindlichkeiten wieder schneller nachkommen kann. Das heißt die Zahlungsbereitschaft mit dem frischen Geld ist aktuell aus meiner Sicht besser geworden. Die Frage ist, wie lange noch?
Jessica Springfeld [00:08:01] Würden Sie das so unterstreichen, Herr Thormälen? Ist es besser geworden? Warten Sie noch auf den großen Knall?
Reyno Thormälen [00:08:08] Das muss man wirklich differenzieren. Deswegen gebe ich Herrn Firneisen da Recht. Wenn ich meinen Offenen-Posten-Bestand ansehe - ich habe eben noch mal nachgeguckt, ich habe derzeit 320 offene Posten - dann ist es nicht so, dass der Balken sich nach rechts verschiebt, dass man also sieht, dass alle schlechter zahlen. Das stimmt nicht. Es reißen bloß Einzelne aus und ich bin mittlerweile dazu übergegangen, mir eine Übersicht geben zu lassen aus dem Debitorenregister, eine Risikoanalyse, wo ich sieben Risikoklassen sehe. Und die Risikoklassen ab vier betrachte ich als kritisch. Und die schaue ich mir an und da sind einzelne, ich sage mal zwei Handvoll, die sich dort bewegen, die sich auch gegebenenfalls verschlechtern von Monat zu Monat. Und die picke ich mir raus.
Jessica Springfeld [00:08:55] Dann lassen Sie uns mal zu dritt einen Blick in die Zukunft werfen. Vielleicht zuerst mal Sie Herr Firneisen. Wie ist das mit diesem Debitorenregister? Glauben Sie, das ist etwas, wo man in Zukunft kaum mehr drauf verzichten kann, oder mag?
Frank Firneisen [00:09:08] Also für mich war es vor der Krise ein wichtiges Tool und in dieser Krise ist es eigentlich das Tool der Stunde. Das heißt, alles was vor Corona Bilanz Analysen usw. Ergeben haben, ist komplett über den Haufen geworfen wurden durch Corona. Und welche Information habe ich denn aktuell, die mir eigentlich die Situation am besten da spiegeln über meine Kunden oder um meine Umsätze auch wirklich zu sichern? Und da ist das Debitorenregister State of the Art im Moment und das wird voraussichtlich auch die nächsten 4 bis 5 Jahre auf einem ganz hohen Level so bleiben. Wenn ich solche Themen wie Insolvenzanfechtung mit anführe, dann ist diese Frist von vier Jahren schnell dabei. Und wir wissen alle nicht, wie lange sich diese Auswirkungen, die wir durch Corona haben, wirtschaftlich sich noch manifestieren werden.
Reyno Thormälen [00:09:52] Es ist ein sehr mächtiges Tool. Dieses Tool unterstützt mich in der Betrachtung, also wenn ich merke, dass ein Kunde mal fünf oder zehn Tage später bezahlt. Deswegen werden wir ihn nicht gleich bestrafen. Aber wenn ich das sehe, dass das allgemein beispielsweise auch in den Auswertungen auftaucht, dann machen wir uns schon Gedanken und da steuern wir unser Mahnwesen darüber.
Jessica Springfeld [00:10:11] Trotzdem hört es sich so an, als sei es auf jeden Fall eine gute Idee, ein Debitorenregister zur Hand oder in dem Fall auf dem PC zu haben. Vielen lieben Dank ihnen beide für die Insights. Bis bald.
Jingle [00:10:27] Gute Geschäfte. Business Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.