Creditreform Magazin

„Das Sicherheitsbedürfnis ist deutlich gewachsen“

Erst die Corona-Pandemie, nun Inflation, instabile Lieferketten und große wirtschaftliche Unsicherheit – seit zweieinhalb Jahren ist Creditreform gefordert wie lange nicht mehr. Im Interview sprechen die Geschäftsführer Bernd Bütow, Frank Vollmar und Roland Wedding über die besonderen Herausforderungen dieser Zeit – und wie Creditreform ihnen begegnet.

Herr Bütow, Creditreform ist inzwischen 143 Jahre alt, aber der Grundgedanke ist noch immer der gleiche. Warum ist es heute aktueller denn je, Vertrauen zwischen Geschäftspartnern herzustellen? 

Bernd Bütow: Wir stellen fest, dass das Sicherheitsbedürfnis in der Wirtschaft in den vergangenen Jahren noch einmal deutlich gewachsen ist. Für viele kleine und mittlere Unternehmen sind wir eine Art Rückversicherung, bevor sie Geschäftsbeziehungen eingehen. Sie sind vorsichtiger geworden und wollen wissen, wie die Bonität eines Kunden ist, welche Zahlungsmöglichkeiten sie anbieten sollten. Auch im Forderungsmanagement trauen sie uns eher zu, dass wir fällige Zahlungen noch realisieren, weil wir das seit vielen Jahren sehr professionell machen. Im Gegensatz zu anderen Anbietern, die mit vermeintlich neuen Konzepten werben, aber nicht das gleiche Know-how über die Märkte haben wie wir. 

Lässt sich dieses Sicherheitsbedürfnis auch an steigenden Mitgliederzahlen bei Creditreform ablesen? 

Roland Wedding: Die Zahl wächst langsam. Aber wir sehen vor allem, dass sich die Art und Weise verändert, in der Mitglieder mit uns interagieren. Statt ein oder zwei einfache Bonitätsauskünfte pro Jahr nutzen sie unsere Leistungen über unser Portal „Meine Creditreform“ viel dynamischer. Sie können zum Beispiel Firmen, mit denen sie eine Kunden- oder Lieferbeziehung haben, auf eine Watchlist setzen und werden informiert, wenn sich bei denen etwas ändert. Das sind vermeintlich kleine Services, aber sie steigern nachweislich die Nutzungsintensität unserer Produkte. 

Bernd Bütow: Auf der anderen Seite sind wir 2020 und 2021 auch stark mit großen Kunden gewachsen. Die haben andere Bedürfnisse, benötigen nicht nur die Auskunft, sondern für ihre eigenen Analysen noch weitere Daten in einer ganz bestimmten Zusammensetzung – am besten direkt per Schnittstelle in ihr System. Hier konnten wir mit unserer Datenqualität und technischer Expertise punkten. 

Das können andere allerdings auch. Was unterscheidet Creditreform deutlich von Wettbewerbern? 

Bernd Bütow: Zum einen ist es die Breite der Leistungen, von der Bonitätsauskunft über Zahlungsinformationen, Mahnwesen, Inkasso und Factoring bis hin zur Wirtschaftsforschung. Dazu kommen die Angebote der Tochtergesellschaften Boniversum, microm, Creditreform Rating und Creditreform Compliance Services. Daraus entsteht ein Beratungsansatz, den sonst keiner in Deutschland bedienen kann. Wir bieten unseren Mitgliedsunternehmen sehr viel mehr als nur Standardprodukte. Bei speziellen Anforderungen sind schnell mal Experten von Creditreform Rating, vom Verein Creditreform und IT-Experten und Prozessspezialisten aus dem Verband der Vereine Creditreform mit am Tisch und können sehr individuelle Lösungen entwickeln. 

Herr Vollmar, Sie verantworten den technischen Bereich beim VVC. Wie sehr ist ­Creditreform inzwischen auch ein IT-Unternehmen? 

Frank Vollmar: Digitalisierung, oder früher EDV, gehört zu unserer DNA, seit es diese Möglichkeiten gibt. Aber sie ist kein Selbstzweck, sondern wir wollen Technologie mit Sinn und Verstand einsetzen. Wo das gegeben ist, arbeiten wir mit Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen oder der Blockchain-Technologie, wir nutzen Cloud-Services und bauen Plattformen wie „Meine Creditreform“ auf. Und natürlich führen wir unsere Rechenzentren professionell, sicher und allen Datenschutzan­forderungen entsprechend. Wir ­haben also nicht nur im Finance-Bereich etwas zu bieten, sondern machen auch spannende IT-Projekte. 

Das heißt, im Kern geht es vor allem darum, wie Sie mit Technologie die Mitgliedsunternehmen bestmöglich unterstützen können? 

Frank Vollmar: Genau. Die Herausforderung ist, das Unbekannte zu erkennen und darauf zu reagieren. Dass wir das können, haben wir in den vergangenen Jahren gezeigt. Durch die agilen Arbeitsweisen und Strukturen, die wir mehr und mehr etablieren, sind wir in der Entwicklung schneller geworden. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich – wie viele andere Unternehmen auch – um IT-Talente kämpfen. Aber ich bin überzeugt, dass wir viele spannende Technologien bearbeiten und mit unseren Daten auch für Mitarbeiter eine tolle Grundlage haben, um Innovationen zu entwickeln. 

Äußerlich steht auch der 2020 bezogene CrefoCampus für den Kulturwandel, mit offenen Büros und Koopera­tionsbereichen. Wie agil ist Creditreform heute schon? 

Roland Wedding: Alle unsere IT-Projekte sind agil. Im Gegensatz zur Vergangenheit, wo wir Jahrespläne gemacht haben, haben wir jetzt einen fortlaufenden Prozess, in den die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch ihre Ideen einbringen können. Das unterstützen wir mit Methodiken wie zum Beispiel OKR (Objectives and Key Results). Damit definieren wir die Strategie, lassen den Teams aber gleichzeitig sehr viel Gestaltungsspielraum. In anderen Bereichen, zum Beispiel den Bilanz­services oder im Auslandsinkasso, leben wir eine andere Art von Agilität. Dort geht es vor allem darum, Tätigkeiten und Prozesse immer wieder kritisch zu hinterfragen, um stetig besser zu werden. Mit der agilen Transformation unserer Organisation möchten wir ein lernendes Unternehmen werden und uns an eine Geschäftswelt anpassen können, die sich kontinuierlich verändert.

Wie sehr strahlen Kulturwandel und Agilität auch auf die 128 Vereine Creditreform aus?

Bernd Bütow: Sehr. Wir kommunizieren sehr transparent darüber, was wir im VVC tun, gerade im Bereich der IT. Denn dort ist es ähnlich wie mit einem Eisberg. Man sieht oft nur die Spitze, aber nicht, was eigentlich alles notwendig ist, damit ein neuer Service funktioniert. 

Frank Vollmar: Das hat die Wertschätzung dessen, was meine Mitarbeiter tun, enorm gesteigert. Es hilft uns aber auch bei der Entwicklung. Denn gerade bei kurzen Iterationen, in denen wir immer wieder reflektieren, ob wir auf dem richtigen Weg sind, ist das Feedback der Vereine Creditreform und deren Mitglieder sehr wertvoll. Denn das sind direkte Rückmeldungen derer, die später die Produkte vertreiben oder als Unternehmer nutzen. 

Sprechen wir über neue Entwicklungen. Was hatten oder haben Sie denn gerade auf dem Schreibtisch? 

Frank Vollmar: Ein sehr wichtiger Trend ist die digitale Identität. Denn bevor Sie die Bonität prüfen, müssen Sie im Onlinehandel und Plattformgeschäft erst mal wissen, ob Ihr Gegenüber wirklich der ist, für den er sich ausgibt. Und im B2B-Geschäft auch noch, ob er tatsächlich für das Unternehmen, für das er auftritt, vertretungsberechtigt ist. Für dieses Problem haben wir 2021 mit CrefoTrust ein einfaches und verlässliches Verifikationsverfahren entwickelt, das sehr gut angenommen wird.
 
Bernd Bütow: Ein anderes Thema ist ESG. Nachhaltigkeitsdaten werden zu einer neuen Dimension der Wirtschaftsinformation. Nur liegen sie für mittelständische Unternehmen noch nicht systematisch vor. Die großen Anbieter von ESG-Informationen haben Daten von weltweit maximal 15.000 Unternehmen. Das sind diejenigen, die auch zu einer nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind. Aber wenn sich eine regionale Bank ein Bild darüber machen möchte, wie grün ihr Kreditportfolio ist, helfen diese Daten nicht weiter. Denn der lokale unternehmerische Mittelstand ist darin nicht vertreten. Für dieses Problem entwickeln wir gerade – auch in Zusammenarbeit mit den Vereinen Creditreform – eine Systematik. Das ist im Wesentlichen eine Abfrage von ESG-Daten, aber so, dass auch ein Handwerksbetrieb sie beantworten kann, ohne extra einen Umweltingenieur beauftragen zu müssen. Creditreform Rating hat außerdem schon einen Score für Finanzdienstleister im Angebot, der Kreditportfolien nach Nachhaltigkeitsaspekten bewertet. 

Auch zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und zur EU-Whistleblowerrichtlinie entwickelt Creditreform passende Angebote. Verwässert das nicht den Markenkern?

Roland Wedding: Nein, denn bei allen Themen geht es darum, dass gegenseitiges Vertrauen entsteht. Oder dass Unternehmen Compliance-Vorgaben einhalten können. Die Frage ist ja: Wer prüft wen? Im Risikomanagement ist es so, dass der Lieferant die Bonität seines Kunden prüft. Im ESG-Bereich wird umgekehrt erwartet, dass der Kunde seinen Lieferanten prüft. Aber es geht immer um Vertrauen und wir sehen eine große Chance darin, beide Seiten eines Geschäfts mit Produkten und Informationen zu bedienen. Und weiterhin gilt, dass wir der Gesamtwirtschaft als Dienstleister beiseite stehen - als modernes, vertrauensvolles und engagiertes Unternehmen.


Zu den Personen

Bernd Bütow ist seit Januar 2022 Chief Executive Officer (CEO) des Verbands der Vereine Creditreform. Er arbeitet seit 1999 bei Creditreform. Seit 2002 prägt er den VVC als Mitglied der Geschäftsführung mit.

Frank Vollmar verantwortet als Chief Technical Officer (CTO) alles rund um IT und Datenmanagement beim VVC. Er ist seit 2018 Mitglied der Geschäftsleitung. Zuvor hat er acht Jahre lang die Softwareentwicklung des Verbands geleitet.

Roland Wedding ist Chief Operating Officer (COO) des VVC und seit dem Jahr 2000 im Unternehmen. Nach Stationen als Projektleiter, Abteilungsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung treibt er nun die agile Transformation und den kulturellen Wandel bei Creditreform voran.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke