Gefährliche Scheu
Steigende sowie stark schwankende Produktionskosten belasten den Mittelstand. Unternehmen müssen schnell handeln und ihr Pricing auf Vordermann bringen.
Als der Ukraine-Krieg begann, wünschte sich Guido Schumacher oft, in die Zukunft sehen zu können. „Die Preise von Normalstahl, Edelstahl und Aluminium stiegen erheblich“, sagt der Geschäftsführer Vertrieb Deutschland & Österreich bei 247TailorSteel Deutschland, einem Onlineshop für Blechbearbeitung. „Manche Einkaufspreise waren nur ein paar Stunden gültig.“ Eine Preisentwicklung zu antizipieren, war für ihn unmöglich – trotz ständigen Kontakts zu den Lieferanten. Klar war nur: Diese Preise müssen an den Kunden weitergegeben werden.
Nicht nur in Schumachers Branche spielten die Einkaufspreise verrückt. Angetrieben von den Energiepreisen (plus 84 Prozent im März 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat), stiegen laut dem Statistischen Bundesamt die Preise für Vorleistungsgüter wie Düngemittel (plus 87 Prozent), Verpackungsmittel aus Holz (69 Prozent) sowie Papier und Pappe (45 Prozent). Bereits zuvor belasteten der Chipmangel und der anhaltende Anstieg der Halbleiterpreise laut Goldman Sachs insgesamt 169 Branchen. Entsprechend hoch ist die Anspannung in den Unternehmen. 71,8 Prozent der für die Creditreform-Studie „Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand“ befragten Firmen halten die massiven Preissteigerungen für die größte Herausforderung für den Mittelstand in diesem Jahr.
Die Lage ist ernst, weiß auch Stefan Ortolf, Leiter des Firmenkundenzentralbereichs der DZ Bank. „Russlands Krieg gegen die Ukraine beeinträchtigt eine Vielzahl an mittelständischen Unternehmen. Viele von ihnen kämpfen bereits seit der Corona-Pandemie mit Lieferengpässen und hinken seitdem beim Abarbeiten von Aufträgen hinterher.“ Dass zusätzlich dazu die Produktion immer teurer werde, sei für einige Unternehmen existenzbedrohend. „Wenn sie die Absatzpreise nicht entsprechend erhöhen, kommt der Motor der deutschen Wirtschaft zum Erliegen.“ Entsprechend sehen sich der DZ Bank zufolge vier von fünf mittelständischen Unternehmen zu Preiserhöhungen gezwungen.
Vor die Kostenwelle kommen
Die Situation duldet keinen Aufschub. „Unternehmen müssen schnell handeln“, sagt Hermann Simon, emeritierter Betriebswirtschaftsprofessor und Gründer der Unternehmensberatung Simon-Kucher. Reagiere ein Unternehmen mit drei oder sechs Monaten Verzögerung auf die Kostensteigerungen, sei der Jahresgewinn Geschichte. „Steigen die Kosten in einem Industrieunternehmen um fünf Prozent, sinkt die Rendite um 4,5 Prozentpunkte. Wer die Kosten nicht weitergibt, landet bei null oder im Minus.“ Der Managementvordenker empfiehlt: Vor die Kostenwelle kommen, um das zu vermeiden.
„Wer die Kosten nicht weitergibt, landet bei null oder im Minus.“
Hermann Simon, Betriebswirtschaftsprofessor und Gründer der Unternehmensberatung Simon-Kucher
Das Problem: Die meisten Verantwortlichen haben Preissteigerungen wie diese noch nie gesehen. „Eine vergleichbare Situation gab es bislang nur während der Ölkrisen der 1970er Jahre“, sagt er. „Die Manager, die das noch kennen, sind heute alle pensioniert.“ Und selbst in den Krisenjahren 1974 und 1980 fielen die Preiserhöhungen geringer aus. Eine Analyse des Statistischen Bundesamts ergab, dass der Anstieg der Kraftstoffpreise im Vorjahresvergleich in keiner dieser Krisen höher war als im März 2022. Und auch nicht während der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009.
Hans-Christian Riekhof untersucht, wie Unternehmen zu ihren Preisen kommen. Der Forschungsschwerpunkt des Professors für Internationales Marketing an der PFH Private Hochschule Göttingen ist Strategisches Pricing. „Empirische Studien zeigen: Manche Unternehmen gehen das Thema Pricing sehr professionell an. Andere vollkommen naiv.“ Letzteres rächt sich jetzt. Denn wer keinen Prozess definiert hat, um ein- oder mehrmals im Jahr seine Preise auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls anzupassen, dem mangelt es nun an Schnelligkeit.
Außerdem entscheiden in vielen Unternehmen die Falschen über Preiserhöhungen. „Oft ist der Vertrieb derjenige, der eine dominante Rolle spielt“, so Riekhof. Pricing sei aber ein horizontaler Prozess, der durch verschiedene Bereiche führe. „Über die Ressortgrenzen Produktdevelopment, Marketing, Produktmanagement, Vertrieb, Service, Controlling sollte Konsens darüber herrschen, wo man preisstrategisch hinwill.“ Am Ende des Tages ist Pricing für ihn vor allem eins: Chefsache.
Falsche Zurückhaltung
In seiner Beratung lässt Riekhof Manager die Preiserhöhung aufschreiben, die sie im kommenden Jahr anstreben. „Dann stelle ich drei, vier weitere Fragen – etwa ob Chips und andere Computer-Devices teurer geworden sind, um wie viel Prozent die Frachtraten für einen 20- oder 40-Fuß-Container von China nach Deutschland gestiegen sind, wie die Inflationsrate einzuschätzen ist und der Anstieg der Energiepreise.“ Die meisten Teilnehmer überdenken nach dieser Übung die geplante Preiserhöhung. „Bei mindestens 60 Prozent der Teilnehmer kommt ein höherer Prozentsatz raus.“
Hermann Simon hat Dutzende Bücher geschrieben. Eines davon heißt: „Am Gewinn ist noch keine Firma kaputtgegangen“. Statt zu zögern, mahnt er ein beherztes Vorgehen an. Entscheider sollten sich statt allgemeinen Preissteigerungen oder den Verbraucherindex die Preise in der eigenen Branche ansehen und sich so einen Eindruck verschaffen, ob die Kunden preisempfindlicher geworden sind. „Im Moment ändern sich die Preise täglich“, sagt er. Da könnten Kunden nicht auf jede Preiserhöhung reagieren. „Denken Sie an die Palettenhersteller, denen Nägel aus russischem Drahtstahl fehlen“, sagt Simon. „Sie werden mit Sicherheit nicht auf den Preis schauen.“
Guido Schumacher nutzt ein Tool namens Sophia, das ihm viel Arbeit abnimmt. Die Software berechnet die Auswirkungen von Preiserhöhungen im Einkauf auf den Verkauf und gibt sie weiter. „Die Kunden laden im Onlineshop eine Datei mit dem gewünschten Zuschnitt hoch“, sagt die Führungskraft. „Der Angebotspreis, den sie erhalten, spiegelt die aktuellen Marktbedingungen.“ Eine übergreifende Preisstrategie legt der CEO von 247TailorSteel, Carl Berlo, persönlich fest – am Hauptsitz im niederländischen Varsseveld.
Für die Zukunft sieht sich Schumacher damit gut gewappnet. Bereits vom Februar auf März konnte das Unternehmen einen Anstieg des Auftragsvolumens von 15 auf 24 Millionen Euro verzeichnen. „Wir haben das Tool und wir haben die Prozesse unter Kontrolle“, sagt der Geschäftsführer. „Wir gehen weiter auf Expansion und eröffnen im September 2022 ein neues Werk in Langenau bei Ulm.“
Preiserhöhungen kommunizieren
Preiserhöhungen müssen sein. Wie Verantwortliche selbstbewusster ins Kundengespräch gehen können, erklärt Verkaufstrainer Oliver Schumacher.
Wie bereite ich mich vor?
Kennen Sie Ihre eigene Lage und die Ihres Kunden. Sie sollten schildern können, wie und warum die Preiserhöhung zustande kommt. Versetzen Sie sich in den Kunden hinein. Er steht unter Druck und will sicherstellen, dass nur gestiegene Kosten weitergereicht werden – schließlich nutzen manche Anbieter die Situation auch zur Gewinnoptimierung aus. Bereiten Sie sich darauf vor, dass dieser Druck weitergegeben wird.
Was meinen Sie konkret damit?
Eventuell erwartet Sie ein emotionales Gespräch, in dem um jeden Cent gefeilscht wird. Es können Sätze fallen wie: „Wollen Sie es jetzt wirklich an zehn Euro scheiten lassen?“ Hier gilt es, wertschätzend und verbindlich zu kommunizieren, dass Ihr genannter Preis der letzte ist. Üben Sie vorab mit Kollegen Preisgespräche und lassen Sie sie die zu erwartenden Antworten geben – zum Beispiel: „Können wir die Preiserhöhung nicht verschieben?“ Oder: „Dein Mitbewerber berechnet aber weniger.“
Wann ist ein guter Zeitpunkt?
So früh wie möglich. Der Kunde braucht Zeit, um sich auf den gestiegenen Preis vorbereiten zu können und ihn seinerseits weiterzugeben. Gerät er auch hier unter Druck, weil ihm die Zeit dafür fehlt, könnte das die Gesprächsbedingungen unnötig verschlechtern.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann