Geopolitische Risiken: „Die oder wir“
Die Energiekrise hat gezeigt: Geopolitische Verwerfungen können verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Was bedeutet die aktuelle Phase der weltpolitischen Neuordnung für Unternehmen?
An ihrer schmalsten Stelle ist die Straße von Hormus zwischen Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Iran etwa 50 Kilometer breit. 30 Prozent des weltweit seegelieferten und 20 Prozent des global gehandelten Rohöls müssen hier hindurch, ebenso circa 26 Prozent der weltweiten Flüssiggasexporte. Auch für andere Waren, die nicht per Luftfracht transportiert werden, stellt die Straße von Hormus eine wichtige Handelsroute dar. Immer wieder wird sie Schauplatz des Iran-Konflikts. Das Mullah-Regime nutzt die Route regelmäßig, um seine Macht zu demonstrieren. Im Januar 2023 drohte es mit der Blockade von Öltransporten als Reaktion auf die von der EU geplante Terrorlistung der Revolutionsgarden. Ende 2022 hatte der Iran Militärübungen in der Region angekündigt.
Dass das meiste über die Straße von Hormus verschiffte Öl und Gas für Asien bestimmt ist, bedeutet nicht, dass sich der Rest der Welt in Sicherheit wiegen kann. „Eine Sperrung oder signifikante Störung der Wasserhandelsroute Hormus hätte gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft“, heißt es beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Es könne zu Preissprüngen durch Angebotsverknappung auf dem globalen Öl- und Gasmarkt (inklusive Flüssigerdgas, LNG) mit Auswirkungen nicht nur auf Export- und Importstaaten kommen. „Zur Kompensation müssten etwa die asiatischen Verbraucherländer auf andere Märkte ausweichen, was den Preisdruck auch im Warenhandel erheblich steigern dürfte.“
Geopolitische Risiken rücken in den Fokus
Eine mögliche Verschärfung des Iran-Konflikts könnte also zu einem echten Problem werden – auch für deutsche Unternehmen. Eines von mehreren aktuell möglichen. Auch ein chinesischer Überfall auf Taiwan, das Andauern des Ukrainekriegs und das Ringen Chinas und der USA um eine globale Vormachtstellung – all diese Gefahren sorgen dafür, dass Geopolitik zunehmend in den Fokus von Unternehmen rückt. Im Rahmen einer jüngst durchgeführten PwC-Studie gaben deutsche CEOs an, dass Geopolitik auf Platz zwei der Risikoagenda steht. Doch ein erhöhtes Risikobewusstsein allein reicht nicht, sagt Jens Paulus, Partner und Leiter Geopolitical Risk Advisory bei PwC Deutschland. „Was notwendig ist, ist ein fundiertes Verständnis geopolitischer Entwicklungen und die Ableitung konkreter unternehmerischer Maßnahmen.“Die wachsenden geopolitischen Risiken müssten in die Managementprozesse global tätiger mittelständischer Unternehmen einfließen. Dabei sollte das Verständnis und der Umgang mit geopolitischen Entwicklungen Teil der eigenen Strategie werden.
Risikofaktoren systematisch eingrenzen
„Verantwortliche in den Unternehmen müssen übersetzen, was in der Welt passiert und welche Auswirkungen das auf ihre Geschäfte hat“, sagt auch Timo Gerrit Blenk, Partner und CEO der Agora Strategy Group, einer auf Geopolitik spezialisierten Unternehmensberatung. Da mehrere Bereiche – meist Beschaffung, Absatz und Produktion – betroffen sein könnten, empfiehlt er großen Unternehmen eine eigene geopolitische Risikomanagement-Abteilung. Kleinere könnten beispielsweise eine Stabstelle schaffen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Doch geopolitische Risiken sind schwer zu greifen. Um sie einzugrenzen, hat PwC Deutschland sechs Faktoren herausgefiltert, die den Einfluss geopolitischer Risiken auf unternehmerisches Handeln veranschaulichen und mögliche Folgewirkungen beleuchten – Impact Dimensionen, wie die Unternehmensberater sie nennen.
Richtiger Umgang mit Sanktionen
Eine davon sind Sanktionen und Regulatorik. Die Impact Dimension verdeutlicht, wie stark deutsche Unternehmen beeinflusst werden können, ohne selbst das Ziel von Sanktionen zu sein. Schon der Konflikt zwischen den USA und dem Iran hat das deutlich gezeigt: Infolge der amerikanischen Sanktionen sank das Handelsvolumen zwischen dem Iran und Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt zwischen 2018 und 2019 um 45 Prozent. „Die Sanktionsmaßnahmen haben nicht nur dazu geführt, dass der Compliance-Aufwand gestiegen ist“, heißt es bei PwC. Unternehmen seien zu der Entscheidung gezwungen worden: Handel mit den USA oder dem Iran. Eine Entscheidung, die sich auch im Konflikt der USA mit China abzuzeichnen beginnt. „Die Vertreter der US-Regierung, mit denen ich Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen habe, sagten hinter verschlossener Tür: Ihr werdet euch entscheiden müssen“, so Strategie-Experte Blenk. „Die oder wir.“
Geopolitische Risiken und mögliche Folgewirkungen
Investitionen und Finanzen
Geopolitische Entwicklungen müssen verstärkt bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden, um die Ausfallrisiken bei internationalen Geschäften zu minimieren.
Wertschöpfungsketten
Lieferketten müssen auf geopolitische Risiken hin überprüft werden. Stresstests helfen, die Kosten externer Schocks aufzuzeigen. Ebenso die Handlungsmöglichkeiten.
Reputation
Ob und in welchen Regionen Unternehmen Geschäfte machen, ist auch eine Frage der Reputation – das hat die Debatte um in Russland nach dem Beginn des Ukrainekrieges tätige Unternehmen deutlich gezeigt. Auch Reputationsrisiken sollten bei strategischen Erwägungen einbezogen werden.
Cybersicherheit
Die aktuellen Konflikte machen ein Stärken der Cyberabwehr notwendig: Insbesondere kritische Infrastruktur und strategisch wichtige Unternehmen sind ins Visier von Hackern gerückt.
Corporate Security
„Um die Sicherheit der Beschäftigten, Infrastruktur und Informationen auch in Risikoregionen weltweit zu gewährleisten, sollten Unternehmen landesspezifische Risiken im Blick haben“, heißt es bei PwC.
Quelle: PwC
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Koenemann