Gute Nachricht: Erträge, Eigenkapital und Zahlungsmoral erholen sich
Insolvenzsteigerungen in Europa – sind die Unternehmen von den Krisen der laufenden Dekade finanziell ausgelaugt? Haben Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg zu einer Vielzahl von Zombie-Unternehmen geführt, denen jede finanzielle Solidität fehlt? Ein Blick auf die Bilanzen des Jahres 2021 gibt Auskunft über die Erträge, das Eigenkapital und die Liquiditätssituation.
Creditreform hat Jahresabschlüsse von 3,26 Millionen Unternehmen in 2021 analysiert. Damit sind zwar die Jahresabschlüsse und die Insolvenzzahlen zeitlich nicht direkt vergleichbar, sie weisen aber am „Vorabend der Insolvenz“ im Jahr 2022 die Situation aus, die zur Aufgabe des Unternehmens geführt hat. Festzuhalten ist auch, dass die Zahlen aus der externen Rechnungslegung eher von größeren Unternehmen stammen, die bilanzierungspflichtig sind. Die weitaus größte Zahl von Insolvenzen aber betrifft eher kleine Betriebe, denen nur eine vereinfachte Buchführung, aber keine Veröffentlichung vorgeschrieben ist.
Mit der EBIT-Marge lässt sich bei den westeuropäischen Unternehmen sehr deutlich der Ertragseinbruch mit Beginn der Krise 2020 feststellen. 2019 wiesen 21,9 Prozent der Unternehmen eine negative EBIT-Marge auf, 2020 waren es 26,7 Prozent. Hier ist geradezu von einem Gewinneinbruch zu sprechen, der dann aber 2021 mit der konjunkturellen Erholung wieder ebenso klar auf 21,3 Prozent an roten Zahlen Betroffener zurückging. Diese Schwächung im ersten Jahr der Pandemie zieht sich nicht weiter durch: So sank die Anzahl der Betriebe mit einer eher dürftigen Ertragslage von bis zu 5 Prozent von 28,9 auf 24,1 Prozent im Krisenjahr 2020, um sich dann 2021 wieder auf 24,9 Prozent zu stabilisieren. Zugenommen hat – trotz oder wegen der Krisensituation – kontinuierlich die Zahl der Betriebe, die eine hohe EBIT-Marge von mehr als 25 Prozent aufweisen können. Lag sie 2019 noch bei 17,4 Prozent der Betriebe in dieser Höhe, so waren es 2020 rund 18 Prozent und 2021 sogar 19,6 Prozent.
Es geht wieder aufwärts
Zwei ausgewählte Wirtschaftsbereiche, der Handel und das Baugewerbe, zeigen, wenn auch gleichermaßen von steigenden Insolvenzzahlen in 2022 betroffen, wie sich die EBIT-Margen 2021 verbessert haben. So wiesen 2020 22,3 Prozent der Bauunternehmen eine negative Marge auf, während 2021 dieser Anteil auf 18,4 Prozent gesunken ist. Im Handel (einschließlich Gastronomie) war diese Erholung noch ausgeprägter, da hier ein Rückgang von 31,6 auf 22,5 Prozent zu registrieren war. Diese kurzzeitige Verbesserung zeigen auch die Unternehmen dieser beiden Branchen mit einer hohen EBIT-Marge von über 25 Prozent. Im Bau stieg der Anteil einer guten Ertragssituation von 13,2 auf 14,5 Prozent, im Handel von 6,4 auf 8,2 Prozent.
Der Vergleich mit dem Vorjahr ist bei den Eigenkapitalquoten europäischer Unternehmen 2021 weniger positiv ausgeprägt als bei den EBIT-Margen. So war der Anteil von Betrieben mit einer dürftigen Eigenkapitalausstattung von unter 10 Prozent bezogen auf die Gesamtbilanzsumme von 2019 mit 21,9 Prozent in der Pandemie auf 22,6 Prozent und schließlich in 2021 mit einem leichten Rückgang auf 22,0 Prozent ausgefallen. Die Pandemie hat die Verbesserung beim Eigenkapital westeuropäischer Unternehmen seit 2012 nur wenig tangiert. So war 2012 noch ein Viertel der Betriebe mit weniger als 10 Prozent Eigenkapital ausgestattet – 2021 waren es 22 Prozent. Deutlicher ist die Entwicklung noch bei einer hervorragenden Eigenkapitalausstattung von 50 Prozent – hier legte der Anteil in den letzten zehn Jahren von 40,1 auf 47,2 Prozent zu.
An dieser positiven Entwicklung über die letzten Jahre hat in allen Wirtschaftsbereichen die Corona-Pandemie 2020 nur kurzzeitig etwas geändert. Im Dienstleistungsbereich, der allerdings die Vielzahl der Unternehmensinsolvenzen stellt, ist die positive Entwicklung noch am wenigsten abzulesen. 2017 waren 21,7 Prozent der Unternehmen mit bis zu 10 Prozent Eigenkapital ausgestattet (2021: 21,5 Prozent). Ausgeprägter ist die positive Historie beim Handel, bei dem sich der Anteil dürftig finanzierter Betriebe von 26,8 Prozent im Jahre 2017 auf 24,9 Prozent im Jahr 2021 verringert hat.
Große Unterschiede bei der Rechnungsbegleichung
Einen ähnlich guten Verlauf wie beim Eigenkapital zeigt sich bei den Forderungslaufzeiten. Die Europäische Union hat einige Anstrengungen unternommen, um lange Laufzeiten bei den offenen Rechnungen zu verkürzen. Das hat sich ausgezahlt: Waren die durchschnittlichen Forderungslaufzeiten 2012 noch bei 56,5 Tagen anzusetzen, so waren es 2021 50,5 Tage. Auch hier gab es eine Delle durch die Corona-Pandemie: Lagen die Forderungslaufzeiten 2019 schon bei 50,8 Tagen, so erhöhten sie sich 2020 auf 52 Tage, um dann 2021 in der Erholung wieder auf 50,5 Tage abzusinken.
Nach wie vor sind die Forderungslaufzeiten in Westeuropa höchst unterschiedlich. Lagen sie in Deutschland 2021 bei 29,0 Tagen, so waren es in Italien 85,6 Tage. Insgesamt bleibt es beim Nord-Süd-Gefälle im Hinblick auf die Zahlungsweise. Während in Großbritannien oder in Skandinavien Laufzeiten zwischen knapp 38 bzw. 34 Tagen hinzunehmen waren, lagen sie in Frankreich und in Spanien bei 56 Tagen. Interessant ist, dass im Krisenjahr 2020 in Deutschland die Forderungslaufzeiten verringert wurden, sie in Italien aber, wie auch in Spanien oder Frankreich, anstiegen. Es ist anzunehmen, dass hier Mentalitätsunterschiede in der Weise deutlich werden, dass deutsche Unternehmen eher vorsichtig agierten und bemüht waren, Forderungslaufzeiten zu reduzieren, während in Italien ein Anstieg hinzunehmen war, der weniger offensiv bekämpft wurde.
Das erste Krisenjahr 2020 hat sich negativ auf die Bilanzen westeuropäischer Unternehmen ausgewirkt. Die finanzielle Stabilität hat gelitten. Auf der anderen Seite zeigte sich nicht nur 2021 eine Erholung in der Rechnungslegung, sondern auch, dass die gute Entwicklung der letzten zehn Jahre bei den Erträgen und dem Eigenkapital nur kurzzeitig unterbrochen war und wohl weitergeht. Dabei steht allerdings noch nicht fest, zu welchem Einschlag der Krieg in Osteuropa geführt hat und ob die Festigung der Finanzierungsstrukturen westeuropäischer Unternehmen in den letzten Jahren dann doch noch konterkariert wird.