Mehr Brutto oder Benefits?
Die Preise steigen, zeitweise um mehr als zehn Prozent. Da können Gehälter kaum mithalten, denn gerade in Krisenzeiten kann kaum ein Arbeitgeber seine Löhne so stark anheben. Gleichwohl müssen Unternehmen Mitarbeiter binden. Kann das mit Benefits gelingen?
Marc Wenz weiß, wie man Mitarbeiter begeistert. Der 54-jährige Manager führt zwei Outletcenter mit rund 70 Beschäftigten im Allgäu. Im Spätherbst 2022 teilte er diesen mit, dass er ihre gesamten privaten Stromkosten für 2022 bezahlen wird. Außerdem dürfen sich alle auf eine Auszeit vor Weihnachten freuen. Drei Wochen lang werden die beiden Outlets schließen. „Ich möchte einen Umsatzrekord feiern, der die bisherigen Spitzenzahlen von 2019 nochmals toppt“, begründete Wenz diese Maßnahmen. Der Unternehmer nutzte die Gunst der Stunde gleich zweifach. Jeder Arbeitgeber kann derzeit seinen Beschäftigten eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ (IAP) von bis zu 3.000 Euro auszahlen. Die Stromkosten fast aller Haushalte liegen trotz der 2022 explodierten Energiepreise deutlich unter diesem Limit, Wenz’ Zusatzausgaben bleiben also überschaubar. Gleiches gilt für die Umsatzverluste während der Schließung. Beide Outlets werden überwiegend von Touristen besucht, welche sich jedoch in der Vorweihnachtszeit rar machen.
Seltene Sonderzahlungen
Noch ist Wenz allerdings eine Ausnahme. Zum Jahresende 2022 hielten sich Unternehmen mit Gehaltserhöhungen oder Sonderzahlungen als Reaktion auf die Inflation noch zurück. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum, für die 1.000 Beschäftigte, vom Sachbearbeiter bis zum Topmanager, befragt wurden. Nur neun Prozent gaben dabei an, dass ihr Gehalt im Jahresverlauf angehoben worden sei. Jeder achte Beschäftigte erhielt bereits eine Sonderzahlung aufgrund der Inflation. Doch der Großteil (76 Prozent) ging vorerst leer aus. Das birgt durchaus Sprengstoff. Denn 97 Prozent der befragten Unternehmer berichten, dass Mitarbeiter mehr Geld von ihnen erwarten. Sie stehen unter Druck, auf die steigenden Lebenshaltungskosten ihrer Belegschaft zu reagieren, und können sich diesem Druck in Zeiten des Fachkräftemangels kaum entziehen. Auf der anderen Seite blicken sie angesichts der ungewissen gesamtwirtschaftlichen Lage lieber zweimal auf ihre Kostenstruktur und Gehaltsbudgets.
Spielräume erweitern
Das Beispiel von Outlethändler Wenz zeigt, dass es auch anders geht. Sonderzahlungen und Benefits müssen nicht immer hohe Kosten verursachen. Aber sie können Angestellte dauerhaft ans Unternehmen binden und sind deshalb eine attraktive Alternative für alle, die keinen Spielraum für größere Gehaltserhöhungen sehen. Das Spektrum reicht von pauschalen Bonuszahlungen wie der IAP über Jobtickets, Belegschaftsaktien und Einkaufsgutscheinen bis zu individuellen Freistellungen, welche der Arbeitnehmer für Familie, Hobby oder ehrenamtliches Engagement nutzen kann. Auch Karrierechancen für Nachwuchstalente haben sich bewährt. Völlig neu sind unbegrenzte Urlaube, welche vollständige Freiheit bei der Wahl der freien Tage ermöglichen. Solche Benefits wird ein Arbeitgeber aber wohl nur Arbeitnehmern zugestehen, die er gut kennt und die sich mit dem Betrieb uneingeschränkt identifizieren.
Für Arne Sjöström muss jedes Unternehmen eigene Kriterien für Benefits entwickeln. Der Kreativität seien dabei keine Grenzen gesetzt, urteilt der Deutschlandchef von Culture Amp, einer Plattform für Human-Resources-Strategien. „Die Kriterien hängen von Stellenprofilen, Gehaltsgruppen und anderen Merkmalen ab“, sagt Sjöström. „Der Arbeitgeber muss diese Kriterien klar definieren und im Betrieb kommunizieren.“ Auf aktuelle Trends allein darf er sich nicht verlassen. Gegenwärtig werden zwar Zuschüsse zur Abfederung der gestiegenen Lebenshaltungskosten nahezu überall begrüßt. Viele Angestellte haben jedoch weitere Wünsche oder setzen andere Prioritäten. „Vor einer Entscheidung sollten Unternehmen Feedbacks in einer Umfrage einsammeln“, empfiehlt Sjöström.
Auch in Jahresgesprächen erfahren sie, welche Unterstützungsmaßnahmen ihre Gesprächspartner für Arbeit und Alltag wünschen und was Benefits leisten können. Die Ergebnisse sind manchmal überraschend und können tiefergehende Probleme vor allem dann offenlegen, wenn nur einzelne Angestellte von den Extras profitieren. Auf Culture Amp schildert ein niederländischer Fahrradhersteller, dass gerade mal 39 Prozent der Beschäftigten der Aussage zustimmten, die „richtigen Leute“ würden belohnt und anerkannt. An der E-Mail-Umfrage hatten 81 Prozent der 850 Mitarbeiter teilgenommen. Das Unternehmen stellte daraufhin seine komplette Gehaltsstruktur um.
Realistische Erwartungen
Im Schnitt wünschen sich Mitarbeiter ein Extra von 2.200 Euro.
- 58 % der Arbeitnehmer wünschen sich, dass ihr Chef die Möglichkeit einer Sonderzahlung nutzt.
- 55 % wären auch mit weniger als den maximal möglichen 3.000 Euro zufrieden.
Quelle: Kienbaum
Mit Flexibilität belohnen
Vor allem jüngere Zielgruppen formulieren besondere Wünsche. „Das Zauberwort heißt Flexibilität“, sagt Sylvia Edmands, CEO des Karriereportals Talentee. Außer variablen Arbeitszeitmodellen stehen neuerdings „Workations“ hoch im Kurs. Das aus „work“ und „vacation“ zusammengesetzte Kunstwort führt Arbeit und Freizeit zusammen. Der Arbeitgeber stellt mehreren Angestellten für ein paar Tage eine attraktive Location am Strand oder in den Bergen zur Verfügung. In entspannter Atmosphäre lernen die Angestellten sich kennen und entwickeln neue Impulse und Ideen für den Arbeitsalltag. Auch der Teamspirit floriert, weswegen Edmands solchen Benefits ein „immenses Potenzial“ zuschreibt. Ausdrücklich ermuntert die HR-Expertin, Angestellten viel Freiheit zu geben. „Allein einen Benefit wie unbegrenzten Urlaub zu haben, ist ein großer Anreiz für Bewerberinnen und Bewerber.“ Ansonsten darf die persönliche Entwicklung nicht zu kurz kommen. Weiterbildungen, Messebesuche, Networking-Events, Mentoring-Programme: Solche und andere Extras stehen bei jüngeren Fach- und Führungskräften hoch im Kurs. „Vor allem Leistungsträger fühlen sich wertgeschätzt und bleiben engagiert“, sagt Sjöström. Und das ist wichtig. Denn je jünger diese sind, desto schneller gehen sie erfahrungsgemäß von der Stange. Für Arbeitskräfte, die nach 1990 geboren wurden, sind Wechsel nach nur 18 Monaten völlig normal.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Bottler