Creditreform Magazin

Olaf Höhn - der Eis-Macher

Olaf Höhn kombiniert Schleckerei mit Öko-Gewissen: Seine Eiscreme entsteht klimaneutral in Handarbeit, die Marke Florida genießt Kultstatus. Nun plant der Berliner Ingenieur die Expansion – einen Rückwärtsgang kennt er nicht.

Die Treppe hoch mit flinken Schritten, Olaf Höhn huscht an Dutzenden Pappkartons vorbei, lässt die Andenken-Vitrinen links liegen und erreicht seinen Chefsessel. „Ohne zu schnauben“, sagt der 73-Jährige. Höhn ist Berlins Eisfabrikant Nummer eins und gut drauf. „Wir sind hier Platzhirsch, wahnsinniger Marktanteil. Bundesweit größter Speiseeis-Onlinehändler. Und was gibt es Schöneres, als Eis zu verkaufen?“ Der Berliner ist einer, der bereits am Telefon erzählt, dass Florida Eis eigentlich eine „One-Man-Show“ sei. Einer, der andere gerne auf seine Zeitreisen mitnimmt. Wie er mal Tauchlehrer auf den Azoren war, Tiefflieger über Grönland und passionierter Autorennfahrer. Wie er 1985 in der Klosterstraße seine erste Kugel Eis verkaufte. Wie er mal eine Schlägerei in seiner Eisdiele geschlichtet hat, natürlich mit Eis. Und nie seine Tageseinnahmen rausgerückt hat – trotz dreier bewaffneter Überfälle. „Herr Höhn, irgendwann haben Sie mal ein Loch im Hemd“, rügte der Polizist.  

 

Doch auch die leisen Töne passen zu Olaf Höhn. Etwa wenn er erzählt, wie er tags zuvor Edwina Schulze verabschiedet hat. Genau in diesem Zimmer. „Sie war eine der wenigen, die ich duze. Meine erste Einstellung, vor 38 Jahren.“ Es gab einen kleinen Schnaps. „Und nun sitze ich hier. Mit Auslastung über 100 Prozent.“ Er berichtet, wie er mit „säckeweise Vogelfutter“ Tiere am Werkszaun anlockt. „Fasan, Fuchs, Marder – und auch die Wildschweine. Die haben doch auch Hunger.“ Mitten in den tollsten Storys kann er kurz innehalten und grübeln. „Auf meinem Grabstein soll stehen: Er hat es wenigstens versucht“, sagt er.Klimatechnik selbst erdacht 
 

Denn jetzt will er, der den Beruf Unternehmer wörtlich nimmt, auch noch die Welt retten. Und das mit Speiseeis. Klimaneutrale Produktion hat er sich auf die Fahnen geschrieben. Unten in den Kühlräumen hat der Maschinenbau­ingenieur bei minus 24 Grad Celsius einen künstlichen Permafrostboden geschaffen. Er nutzt Glasschaumschotter, ein billiges Recyclingprodukt, als Isolationsschicht – und spart sich die elektrische Bodenheizung, die sonst nötig wäre, damit der Boden nicht reißt. Ein geglücktes Experiment, wie er sagt.  

Technologien auszuprobieren und Dinge neu zu denken, fasziniert Höhn. Aus den Kältemaschinen gewinnt er Energie zurück, Photovoltaik und Solarthermie auf dem Dach sind für ihn schon lange selbstverständlich. Auf der Webseite läuft ein Öko-Ticker: Mehr als 5.400 Tonnen CO2 habe man eingespart seit 2013, als Höhn alle Hebel in Richtung Klimaschutz umgelegt hat – und prompt zum „Musterbetrieb der Bundesregierung“ gekürt wurde.  

Dass er auch mal eine smarte Kühltruhe erfunden hat, die ihren Inhalt ins Internet meldet, erwähnt Höhn eher zufällig. Das Wissen um den Füllstand sei nützlich für Konsumenten, die auf der Webseite nachschauen können, ob im Supermarkt um die Ecke die Lieblingssorte vorrätig ist. Aber es optimiert vor allem Floridas Tiefkühl-Logistik und den damit verbundenen Energieverbrauch. Der nächste Coup des Klimavorreiters: 15 Schiffscontainer voll mit kompostierbaren Eisbechern aus Bambus sind kürzlich angelandet. Auch so eine Eigenkreation. „Gerade weiß ich nicht, wohin mit dem Zeug“, sagt Höhn. Deckenhoch stapeln sich Kisten auf jedem Flur. „Da stecken vier, fünf Jahre Entwicklungsarbeit drin. Wo ich die herstelle, bleibt mein Geheimnis.“ Allein für das Werkzeug, um die Deckel in zwei Größen pressen zu können, habe er 88.000 Dollar bezahlen müssen.   

Handarbeit als USP 

Wer Höhns Betrieb betritt, bekommt von ihm keinen Marketingsprech zu hören. „Ohne Luftaufschlag“, so steht es auch auf den Bechern seiner Eiscreme. Dick und schwer quillt die leckere Masse aus italienischen Maschinen und wird von Dutzenden Arbeitern in die Becher gespachtelt – stets randvoll. Wer die Spezialität essen will, muss sie zehn Minuten antauen lassen oder verbiegt den Löffel. An 500 Millilitern Florida Eis hat man einige Tage zu tun. „Die Eismaschinen sind Gurken“, sagt Höhn etwas überraschend. Wenn er mit den beiden Herstellern über die Technik rede, „kommt meistens ein Handgemenge raus“. Er sage dann Sachen wie: „Lasst doch mal den Touchscreen weg.“ Früher ging das doch auch mit drei Schaltern.  

Letztlich stecke in der handwerklichen Herstellung wie vor fast 100 Jahren viel „Steinzeittechnologie“, sagt er. „Das ist langsam, das ist unwirtschaftlich – und das ist unsere Stärke, denn es macht keiner nach.“ Kein Schnickschnack, echte Arbeit – und alles mit ethisch-ökologischem Anspruch. „Bei uns ist alles Stein auf Stein, solide und schuldenfrei. Meine größte Sorge: Wo kriege ich die nötigen 40 Leute für die Produktion her? Wir brauchen nicht mal Fachkräfte, einfach nur Arbeitskräfte.“ Das Geschäft wachse mit 15 bis 20 Prozent im Jahr, der siebenköpfige Außendienst meldet ständig neue Abschlüsse.   

Banken stehen Schlange 

Klimaneutrales Eis – das wolle jeder. „Auch die Banken bitten plötzlich zum Gespräch“, sagt er. Hatte er früher Schwierigkeiten, im fortgeschrittenen Alter noch einen Unternehmerkredit zu bekommen, dürfe er heute im „siebten oder achten Stock“ mit dem Bankvorstand essen – und seine geplante Erweiterungsinvestition vorstellen: eine zweite Eisfabrik in Schönebeck bei Magdeburg. „Ihr Projekt, die 25 Millionen, wir möchten das gerne machen“, zitiert Höhn den Banker. „Die suchen eben jemanden mit dem grünen Jäckchen“, kommentiert er süffisant. Es sei nicht die einzige Offerte, er habe die Wahl. 

Die späte Aufmerksamkeit ist für den Selfmademan eine Genugtuung. In Berlin habe er sich vergeblich um eine Erweiterungsfläche bemüht, nun baue er eben in Sachsen-Anhalt. „Da ist es zehnmal billiger, muss ich gar nicht nachdenken.“ Er zeigt aus dem Fenster: „Da hinten, 100 Meter weiter, ist schon Brandenburg. Man hätte nur ein Loch in den Zaun schneiden müssen, um da zu bauen.“ Hat alles nicht geklappt. Nun lässt er übergangsweise sogar zwei Zelte errichten, je 1.000 Quadratmeter. Wenn ihm heute Spandauer Lokalpolitiker nachweinten, zuckt Höhn die Schultern. Die geplanten 20.000 Quadratmeter Nutzfläche in Schönebeck entsprechen einer Verfünffachung gegenüber dem Stammwerk am Berliner Stadtrand. 250 Jobs will er schaffen. „Der Neubau wird eine Holzkonstruktion sein“, kündigt Höhn an. Kleine Windkraftanlagen sind geplant, Geothermie, zudem innovative PV-Module, die aufrecht stehen und dank reflektierender Oberflächen insgesamt mehr Ertrag versprechen. Auch grünen Wasserstoff wolle er in Schönebeck am liebsten herstellen. „Und Eis nur noch als Hobby“, scherzt er. 

Vom Sohn bekehrt 

Das Bewusstsein für Umweltbelange kam spät, aber gewaltig. Höhns Sohn Björn, der Hydrogeologie studiert hat und heute bei Florida Eis den Einkauf leitet, habe ihm die Klimakrise vor Augen geführt. „Wir trocknen aus“, sagt Olaf Höhn. „Schon in zwei, drei Jahren wird in Deutschland der Klimawandel so spürbar sein, dass sich das Denken ändert.“ Früher, da konnte dem Formel-3-Piloten kein Motor groß genug sein. In der Garage steht ein 625 PS starker Flügeltürer von Mercedes. „Der passt nicht mehr zu mir, ich mag ihn nicht mehr“, sagt er. Als draußen in der Ferne ein Motorengeräusch ertönt, sagt Höhn instinktiv: „Eine 172er, hört man am Klang.“ Als Hobbypilot habe er natürlich auch ein eigenes Flugzeug besessen, ist sogar im Alleinflug nach Chicago über den Atlantik geflogen. Doch das war einmal.  

„Vom Saulus zum Paulus“ – das treffe auf ihn zu, sagt er. Heute wolle er Ideengeber sein für ökologischen Umbau und bewussten Konsum. Dazu zählt auch die Abkehr von Milch. Immer mehr vegane Sorten auf Haferbasis nimmt Florida Eis ins Programm. „Ich werde die Kuh vom Eis holen“, sagt er. Die Geschmacksänderung sei Gewöhnungssache. „Auf der Welt gibt es 35.000 essbare Pflanzen. Das sollte reichen.“ 
 

Eine Chance verpasst, unzählige ergriffen 

Höhns Vater war Bäcker in Neukölln. Olaf Höhn stieg nach dem Studium mit seinem Bruder ins Geschäft ein. Eine viel bestaunte Knetmaschine war schnell entwickelt. „Gäste aus aller Welt waren da.“ Der Maschinenbauer stand kurz vor dem Absprung in die USA, sein Sehnsuchtsland. Ein US-Patent für Sauerteig hatte er schon angemeldet – und in Miami Beach ein Reihenhaus direkt am Strand angeschaut. „Für 50.000 Dollar hätte ich es kaufen können“, sagt er. „Aber ich habe mich nicht getraut.“ Man spürt: Das war wohl die Chance seines Lebens.  

Es kam anders. Nach einem Konflikt unter Brüdern schied er aus der elterlichen Bäckerei aus und kaufte 1985 mit der Konditorin Simone Gürgen das Eiscafé Annelie in Berlin-Spandau – der Ausgangspunkt für das Eis-Imperium, das er in „Florida“ umtaufte. Eine Fototapete vor den Sozialräumen zeigt noch das Strandhaus in Miami, das er fast gekauft hätte.  

Heute wechseln im Café in der Klosterstraße an guten Tagen 18.000 Kugeln den Besitzer, sagt Höhn. Hinzu kommt ein wachsendes Vertriebsnetz mit bundesweit 2.500 Kunden im Einzelhandel, ein gutes Dutzend Kleinlastwagen bringt die Ware in die Läden, „rund sechs Millionen Becher im Jahr“. Höhn kennt jede Schraube im Betrieb. Wenn Eistorte bestellt wird, beliebt bei Hochzeitsgesellschaften, fährt er gerne auch persönlich in die Metro und kauft Liebesperlen. 

Nur eine Sache liegt in der Luft: Wie soll es mal weitergehen ohne ihn? „Tja, das ist die Frage“, sagt er dann ganz ruhig. Auch Mitarbeiter hätten ihn schon bang gefragt: „Herr Höhn, wann gehen Sie in Rente?“ Er blickt aus dem Fenster, am weißen Kittel vorbei, der dort immer griffbereit für seine Gänge in die Produktion hängt. „Gar nicht“, sagt er dann. „Wisst ihr doch.“

Vom Verkauf im Kino-Vorraum zum Vorzeigebetrieb 

Die Wurzeln von Florida Eis reichen ins Jahr 1927, als im Vorraum des Berliner Stummfilmkinos Concordia die ersten frisch produzierten Eiskugeln verkauft wurden. Nach den Kriegszerstörungen entstand 1953 an gleicher Stelle in der Klosterstraße ein Eiscafé.  

1985 übernahm der Maschinenbau­ingenieur Olaf Höhn dieses Café Annelie und benannte es – als großer Fan der TV-Serie „Miami Vice“ – in Florida Eis um. Handwerkliche Produktion blieb das Markenzeichen – auch nach dem Bau der Eisfabrik am Spandauer Stadtrand.  

Angefangen mit einer Modernisierung im Jahr 2013, trimmt Höhn seine Manufaktur voll auf Nachhaltigkeit und bewirbt die Eiscreme als „CO2-neutral“.  

Mehr als 2.500 Supermärkte und Privatkunden beliefert Florida und setzt mit rund 115 Mitarbeitern rund 15 Millionen Euro um. Für 2023 ist der Baustart einer Null-Emissions-Fabrik in Schönebeck bei Magdeburg angekündigt, die weitere 250 Arbeitsplätze schaffen soll. 

Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Merx