„Zombies“ zittern vor der Zinszäsur
Die Zinswende macht den Unternehmen zu schaffen. Fast ein Jahrzehnt währte die Nullzinspolitik der EZB, dann kam plötzlich und heftig die Wende. Dabei ließ die Europäische Zentralbank mit ihrer Umkehr auf sich warten.
Die amerikanische FED hatte schon früher reagiert und sie war – wie schon in der Finanzkrise – sehr viel offensiver vorgeprescht. Aktuell haben die amerikanische und die Europäische Zentralbank gleichermaßen signalisiert, dass ein Ende der Zinserhöhungen noch nicht abzusehen ist. Diesseits und jenseits des Atlantiks behalten die Banker die angestrebte Inflationsrate von rund 2 Prozent fest im Blick. Dabei lassen sie sich auch nicht von der Entwicklung an den Börsen oder den Aussagen der Konjunkturanalysten beirren.
Entscheidend ist der Zinsdeckungsgrad
Die höheren Zinsen werden Auswirkungen auf das Insolvenzgeschehen haben. Dies nicht nur indirekt wie bei der Bauwirtschaft, die nun unter rückläufigen Aufträgen zu leiden hat, weil Immobilienkredite teurer geworden sind. Dies wirkt sich auch sehr schnell und direkt auf die Finanzierungssituation der Betriebe aus, deren Fremdfinanzierung teurer und Erträge schmaler werden. Der CEO der Allianz Trade bringt es in seinem Kommentar zur aktuellen Insolvenzentwicklung auf den Punkt: „Die Bankenturbulenzen hinterlassen ihre Spuren auch in Deutschland. Mit den deutlich steigenden Zinsen laufen die eher schwach finanzierten Unternehmen Gefahr, in Schwierigkeiten zu geraten. Hinzu kommen zahlreiche weitere Unsicherheiten. Mit den Turbulenzen am Bankenmarkt sind Kreditinstitute noch vorsichtiger geworden und restriktiver bei der Vergabe von Krediten. Das kommt für einige Unternehmen zur Unzeit.“ Milo Bogaerts erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Rolle der KfW. „Es werden zunehmend KfW-Kredite aus der Pandemie fällig, die die Unternehmen zurückzahlen oder refinanzieren müssen. Nicht alle haben dafür den notwendigen Puffer. Deshalb gehen wir 2023 von etwas mehr Insolvenzen aus als bisher.“
Wie sieht es nun aus mit dem „Puffer“? Es geht um die Schuldentragfähigkeit der Betriebe – darum, zu klären, ob die Gewinnsituation die teurere Finanzierung zulässt. Die Banken werden sehr genau hinsehen, ob die Gewinne so hoch sind, dass sie genügend finanziellen Spielraum lassen, um die nunmehr deutlich teurere Fremdfinanzierung – also den Bankkredit – zu ermöglichen. Die Creditreform Wirtschaftsforschung hat 51.000 Unternehmen aus der Creditreform Bilanzdatenbank untersucht, um ihren Zinsdeckungsgrad festzustellen. Eine solche Analyse wurde bereits einmal vor rund zehn Jahren nach der großen Finanzkrise angestellt. Dann zeigte sich aber, dass die EZB nicht daran dachte, die Zinsschraube wieder anzuziehen. Das hat der Institution viel Kritik eingebracht. Gewarnt wurde bereits damals vor höheren Zinsen, wenn sich die Unternehmenslandschaft einmal an das „billige Geld“ gewöhnt habe. Doch die Zinswende trat über Jahre nicht ein und die Zahlen erschienen irrelevant.
Die aktuelle Analyse richtete den Blick nur auf fremdfinanzierte Unternehmen. Zweierlei ist ebenfalls zu beachten: Nur größere Unternehmen sind bilanzierungspflichtig. Damit entfällt eine große Zahl kleiner Insolvenzen, weil hier keine Zahlen aus der Rechnungslegung vorliegen. Hinzu kommt, dass Unternehmen nicht mit dem Jahresabschluss zur Vorlage der Bilanz verpflichtet sind – sie haben bis zu zwei Jahre Zeit, um Ihre externe Rechnungslegung zu publizieren. Damit werden Kennziffern aus der älteren Bilanz mit der aktuellen Insolvenzlage verglichen und der Verschlechterung der Bilanzen in der Krise möglicherweise nicht Rechnung getragen.
Mindestens 1
Es ging hier darum, aufzuzeigen, wie bestimmend der Zinsdeckungsgrad für die Insolvenz bzw. Solvenz von Unternehmen ist. Entsprechend wurden solvente und insolvente Unternehmen gegenübergestellt. Dabei muss der Zinsdeckungsgrad zumindest 1 lauten, denn nur dann ist es den Betrieben möglich, gerade so eben ihren Zinsverpflichtungen aus der Finanzierung nachzukommen. Bei den Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben, liegt der Zinsdeckungsgrad bei über der Hälfte der Fälle im negativen Bereich. 52,2 Prozent schreiben hier rote Zahlen. Hinzu kommen noch einmal 3,7 Prozent mit einer Deckung von 0 bis unter 0,5. Bei den solventen Unternehmen findet sich eine negative Zinsdeckung aus den Erträgen nur bei 18,1 Prozent der Bilanzen. Am Ende der Skala drehen sich die Werte um: Eine Zinsdeckung von 10 Punkten und höher weisen nur 15,8 Prozent der insolventen Unternehmen auf – aber 45,7 Prozent der solventen. Bemerkenswert ist immerhin, dass so viele Betriebe einen so hohen Zinsdeckungsgrad erreichten. Immerhin kommen noch einmal rund 25 Prozent hinzu, die einen Grad von 2 bis unter 10 schafften. Diese Betriebe haben zweifellos den Puffer, von dem die Allianz in ihrer Analyse spricht und der nun notwendig ist, um auch angesichts der Zinserhöhungen bestehen zu können. Hinzuzufügen ist aber auch, dass 16 Prozent der insolventen Unternehmen eine Zinsdeckung von 10 Punkten oder mehr aufweisen. Damit zeigt sich, dass eine Insolvenz nicht ausschließlich immer in der Finanzierung begründet ist, sondern dass der Rückzug über einen Insolvenzantrag auch aktuell von einem schwierigen Marktgeschehen bestimmt sein kann.
Festzuhalten bleibt über die Tatsache hinaus, welche entscheidende Wirkung der Zinsdeckungsgrad für das Überleben der Betriebe spielt, dass die hohen Zinsen erst seit einem Jahr ihre Wirkung entfachen. Im Hinblick auf die weitere Insolvenzentwicklung lässt das ungebremste Tempo der Zinserhöhungen durch die Zentralbanken doch einige Furcht vor der Zukunft aufkommen.
Quelle: Allianz Trade, Creditreform