Grünstrom für den Mittelstand

Langfristige Stromlieferverträge mit Erneuerbare- Energien-Anlagen verbreiten sich rasant. Sie bieten Anbietern wie Abnehmern Sicherheit und können ein günstiger Weg zu mehr Klimaschutz sein.

Drei Buchstaben könnten eine neue Ära auf dem Strommarkt einläuten: PPA. Das Akronym steht für Power Purchase Agreement. Dabei handelt es sich um langfristige Stromlieferverträge meist zwischen dem Betreiber einer Erneuerbare-Energien-Anlage und einem Abnehmer der Energie, zum Beispiel einem Unternehmen.  

Seit ihrem Start in Deutschland im Jahr 2019 werden PPAs immer beliebter. „In großen Konzernen ist der Stromeinkauf mittels PPA inzwischen gängige Praxis. Zunehmend nutzen aber auch Mittelständler diese Abkommen, um günstigen Ökostrom zu beziehen“, sagt David Budde, Gründer und Geschäftsführer von Trawa. Das Startup ermöglicht es anderen Unternehmen, Strom strukturiert und nachhaltig zu beschaffen.  

Tatsächlich häufen sich die Meldungen über die Abschlüsse von PPAs durch mittelständische Unternehmen. So hat der Kunststoffverarbeiter Ensinger mit Sitz im baden-württembergischen Nufringen eigenen Angaben zufolge einen Strombezugsvertrag über zehn Jahre mit RWE abgeschlossen. Künftig wird fast die Hälfte des jährlichen Strombedarfs der deutschen Werke mit Energie aus Windkraft gedeckt. Den Grünstrom liefert der 2023 fertig gestellte RWE-Windpark vor der Küste Helgolands.  

Ebenfalls seit April bezieht der Kunststoffverarbeiter Rehau aus Erlangen aus einem kürzlich fertiggestellten Windpark im Harz Strom für mehrere Werke in Deutschland. Die von neun Windrädern produzierte elektrische Energie wird vom Versorger Engie an unterschiedliche Industrieunternehmen vertrieben. Gut zwei Drittel davon bezögen Unternehmen der Rehau Gruppe, berichtet der Mittelständler. 

Der Spezialglas-Hersteller Gerresheimer wiederum hat Ende 2023 mit PNE, einem Projektierer und Betreiber von Windparks, einen langjährigen Stromliefervertrag vereinbart. Wie einem Pressetext zu entnehmen ist, reduziert Gerresheimer damit seine CO2-Emissionen und baut den Ökostromanteil bei der Energieversorgung seiner deutschen Produktionsstandorte aus. Bis 2030 will das Düsseldorfer Unternehmen seinen Strom komplett aus erneuerbaren Quellen beziehen. 

Abschlüsse verdoppelt 

Weitere Beispiele für Unternehmen, die PPAs nutzen, sind der Holzwerkstoffhersteller Sonae Arauco, der Anbieter von E-Ladelösungen Allego, der Kunststoffrohrsystemanbieter Aliaxis, der Fachhändler Futterhaus und der Zementhersteller Opterra. Auf Anfrage bestätigt ein Sprecher von PNE „eine steigende Nachfrage von kleinen und mittleren Unternehmen“. Laut der „PPA-Marktanalyse Deutschland 2023“ von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) verzeichnet der deutsche PPA-Markt „ein rasantes Wachstum“. Von 2022 auf 2023 habe sich die Anzahl der Abschlüsse auf 42 fast verdoppelt. Die Kapazitäten an erneuerbaren Energien, die 2023 mit Stromabnahmeverträgen vermarktet wurden, hätten sich sogar auf 3,6 Gigawatt mehr als vervierfacht.  

Unverändert dominierten Solar- und Windanlagen den PPA-Markt. Erste bilaterale Abkommen zur Produktion von grünem Wasserstoff seien unterzeichnet worden. Laut der Dena-Studie „wird die geplante Wasserstoffproduktion in Kombination mit den Regelungen der EU zur Produktion von grünem Wasserstoff die PPA-Nachfrage weiter kräftig ankurbeln“. Analoges dürfte für die EU-Strommarktreform gelten, die im April vom EU-Parlament beschlossen wurde. Sie sieht unter anderem eine Stärkung von PPAs als Instrument zur Finanzierung von Erneuerbare-Energien-Anlagen vor. 

Der Handlungsdruck steigt 

Ein weiterer Treiber des Wachstums ist laut Dena die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Das habe zur Folge, dass der Druck auf Unternehmen steigt, Lösungen für die Dekarbonisierung ihrer Geschäftstätigkeit zu finden. Die Anfang 2023 in Kraft getretene CSRD hat den Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten von 500 auf rund 15.000 vergrößert.  

Das Interesse von Industrieunternehmen an Stromabnahmeverträgen wundert Fachleute nicht. Alle Konditionen werden individuell zwischen Energielieferant und Unternehmen ausgehandelt, was zwar Wissen über die Funktionsweise des Strommarktes erfordert, im Gegenzug aber Planbarkeit schafft. Denn PPAs bieten den Beteiligten Klarheit in Bezug auf Preise, Mengen und andere Faktoren. „Stromlieferverträge lassen sich flexibel an die Bedürfnisse der Abnehmer anpassen“, erklärt Markus W. Voigt, Chief Executive Officer des Erneuerbare-Energien-Investors Aream Group.Über grüne PPAs könnten Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele verfolgen, ohne selbst Investitionen in Sachwerte tätigen zu müssen. „Das macht PPAs zu einer günstigen Variante bei der Umstellung auf Grünstrom“, sagt Voigt. Über die Herkunftsnachweise für erneuerbare Energie werde das Nachhaltigkeitsimage und -rating verbessert. Der Strom könne über eine Direktleitung zum Abnehmer transportiert werden oder indirekt über das öffentliche Netz (siehe Grafik). Interessant findet Voigt auch PPA-Lösungen auf dem eigenen Werksgelände. Dabei könne zum Beispiel eine Solaranlage auf dem Dach des Industriekunden montiert werden. Die Investitionskosten übernimmt der Entwickler. Es folgt der Abschluss eines PPA. Auf diese Weise können noch Abgaben gespart werden, die ansonsten bei Netzeinspeisung anfallen. 

Dienstleister für PPA 

Ein Kinderspiel ist der Stromeinkauf für mittelständische Unternehmen freilich nicht. Wie Trawa-Geschäftsführer Budde in einem Fachartikel ausführt, „fehlen ihnen oft die personellen Ressourcen und die Expertise, um sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen“. Zudem mangele es Mittelständlern häufig an Einblick in relevante Daten und Informationen über den Strommarkt. Dienstleister könnten helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Mithilfe einer Lastganganalyse könnten Unternehmen ihren individuellen Strombedarf analysieren und darauf aufbauend eine Einkaufsstrategie entwickeln. Das Lastprofil gibt Auskunft über den zeitlichen Verlauf des Stromverbrauchs und ist eine wichtige Grundlage, um das optimale Stromeinkaufsportfolio zu bestimmen. Hier entscheidet sich, ob PPAs wirtschaftlich sinnvoll sind.  

Neben Trawa bietet zum Beispiel First Climate PPA-Consulting an. Der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) weist darauf hin, dass rechtliche Beratung wichtig ist. Wer ein PPA für sein Unternehmen in Erwägung ziehe, solle sich über die verschiedenen Möglichkeiten und die passende Ausgestaltung eines solchen Liefervertrags in jedem Fall von einem Akteur mit entsprechender rechtlicher Erfahrung beraten lassen. Relevante Informationen fänden Interessierte auch bei der Marktoffensive Erneuerbare Energien, einem Zusammenschluss von rund 50 Unternehmen, die dazu beitragen wollen, dass Deutschland seine Energiewendeziele erreicht (siehe: www.marktoffensive-ee.de).  

Standardvertrag für KMU 

Zu den „relevanten Informationen“ der Marktoffensive Erneuerbare Energien zählt etwa ein im Februar veröffentlichter PPA-Standardvertrag. Das Muster bietet insbesondere kleinen Unternehmen und Stadtwerken die Möglichkeit, „auch ohne vertiefte Kenntnisse über PPA-Vertragsarten und Strommarkteffekte einen Liefervertrag abschließen zu können“, heißt es in einer Pressemitteilung der Initiative. Dabei würden Spezifika des deutschen Rechts und Stromhandels entsprechend reflektiert. Ein zugehöriger Leitfaden gibt Hinweise zu wesentlichen Aspekten und Ausgestaltungsoptionen.  

Wie die Marktoffensive Erneuerbare Energien weiter mitteilt, sei der Text des Vertrags anpassbar. Um die Lieferung in bestehende Vertragskonstellationen einbinden zu können und das Management zu vereinfachen, sei dem Vertrag eine Bandlieferung als Profil zugrunde gelegt. Damit erhalte das Unternehmen zu jeder Zeit dieselbe Menge Grünstrom geliefert. Schwankungen in der Erzeugung innerhalb dieser vertraglich vereinbarten Lieferung müssten nicht über entsprechende Vertragsoptionen geregelt werden. „So öffnen wir den PPA-Markt für kleine Abnehmer“, sagt Tibor Fischer, Sprecher der Marktoffensive Erneuerbare Energien. 

Fazit: Mit speziellen Lieferverträgen sichern sich Unternehmen für einen gewünschten Zeitraum den Bezug von grünem Strom. So können sie ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen, ohne sonst notwendige Investitionen tätigen zu müssen. Die sogenannten PPAs lassen sich an den eigenen Energiebedarf anpassen. Per Standardvertrag ebnet die Branche nun auch mittelständischen Unternehmen den Weg zu erneuerbarer Energie.  

Vor- und Nachteile von PPAs 

  • Strompreisgarantie: Der PPA-Preis wird meist für einen Zeitraum von einem bis zu 20 Jahren festgelegt. 
  • Kostenersparnis: Da die Grenzkosten der Grünstrom-Erzeugung gut abschätzbar sind, können PPAs einen Preisnachlass auf die Preise an den Terminmärkten geben. 
  • Nachhaltigkeitsbeitrag: PPAs ermöglichen es Unternehmen, auf erneuerbare Energien umzusteigen und ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. 
  • Energieunabhängigkeit: Ein PPA senkt die Abhängigkeit von einem Vollversorgungstarif. 
  • Netzentgelte: Bei Direktbezug verminderte Abhängigkeit von gesetzlichen Abgaben und Umlagen auf den Strompreis. 
  • Risikomanagement: Unternehmen müssen Risiken wie Preisvolatilität, einen Ausfall der Stromerzeugungsanlage und die Bonität des Energieerzeugers bewerten.  
  • Rechtsberatung: PPAs erfordern Überlegungen bezüglich Vertragslaufzeit, Kündigungsrechten und Garantien.  
  • Strompreisentwicklung: Falls die Terminmarktpreise dauerhaft unterhalb des PPA-Preises liegen, wäre ein Einkauf mit kurzfristigem Vertrag wahrscheinlich vorteilhafter. 

 

Quelle: Trawa, First Energy, eigene Recherche 


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Terliesner
Bildnachweis: Thomas Northcut / Getty Images