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So überschuldet ist Deutschland
Angesichts der Kette von Hiobsbotschaften in den Medien war der aktuelle SchuldnerAtlas Deutschland eine kleine Sensation. Die Überschuldung ist trotz wirtschaftlicher Verwerfungen im mittlerweile sechsten Jahr rückläufig.
Seit der ersten Untersuchung im Jahr 2004 wurde erneut ein Tiefpunkt bei der Überschuldung von Verbrauchern gemessen. 5,6 Millionen Bundesbürger sind überschuldet. Das heißt vereinfacht, dass sie mit ihren Einnahmen ihre Ausgaben nicht decken können. 94.000 Bürger über 18 Jahre waren im Herbst 2024 weniger zu zählen als im Vorjahr. Die Überschuldungsquote gibt das Verhältnis Überschuldeter zu der erwachsenen Bevölkerung an. Sie liegt 2024 bei 8,09 Prozent und damit um 0,06 Prozentpunkte geringfügig unter dem Wert des Vorjahres. Tatsächlich ist die jüngste Entwicklung eher als eine Seitwärtsbewegung zu bezeichnen, denn als Erholung – eine Stagnation und weniger eine echte Verbesserung. Doch bei wieder steigender Arbeitslosigkeit nach einer hohen Inflation, welche die Preise auf ein neues Niveau gebracht hat und nicht zuletzt bei wiederansteigenden Zinsen auch für Konsumentenkredite, ist eine Überschuldungsquote von weit unter neun Prozent und eine Anzahl der Überschuldungsfälle von unter sechs Millionen Betroffene insgesamt durchaus positiv zu bewerten.
Weniger Einwohner als geglaubt
Ein wenig Wasser trübt allerdings den Wein. Bemerkbar macht sich in der Statistik der Zensus-Effekt und die Tatsache, dass bei der letzten Volkszählung 2022 weniger Bundesbürger ermittelt wurden. Dies erhöhte die Überschuldungsquote. Hinzu kommt, dass die Datenspeicherungsfristen durch den Gesetzgeber verkürzt worden sind. So sind also manche Fälle weicher Überschuldung, etwa kurzfristige Inkassoverfahren, nicht mehr Teil der Gesamtrechnung. Auch bei den Privatinsolvenzen wird methodisch eine Veränderung bemerkbar, weil die Speicherdauer für abgeschlossene Privatinsolvenzverfahren von drei Jahren auf sechs Monate verkürzt worden ist. Ohne diesen Systembruch wären nach alter Berechnung mehr Fälle zu zählen. 75.000 überschuldete Bürger sind nicht mitgezählt worden, so ist damit für 2024 eigentlich nur ein Rückgang von 19.000 Fällen zu sehen.
Eine wichtige Unterscheidung im Creditreform SchuldnerAtlas ist die Differenzierung von „harter“ und „weicher“ Überschuldung. Unter harter Überschuldung sind bereits gerichtsbekannte Merkmale von Überschuldung, wie etwa eine Privatinsolvenz, zu zählen. Weniger ausgeprägt ist die weiche Überschuldung – etwa bei Inkassofällen und weiteren nachhaltigen Zahlungsstörungen. Während die harte Überschuldung nur wenig abgenommen hat (minus 12.000 Fälle), kam es bei der weichen Überschuldung zu einem markanteren Rückgang von 82.000 Betroffenen. Zwischen 2019 – dem letzten Jahr vor dem Beginn zahlreicher Krisen – und 2024 ist die Zahl überschuldeter Verbraucher in Deutschland um 1,36 Mio. Menschen gefallen. Dieser Rückgang betrifft 880.000 Fälle mit harten und 480.000 mit weichen Negativmerkmalen.
Rot wird Grün
Der Blick auf die Deutschlandkarte und ein Vergleich mit den Vorjahren macht schnell augenfällig, wie stark die Veränderung ist. Die roten Gebiete – sie weisen eine Überschuldung von über 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aus – sind auf dem Rückzug und grüne Flächen haben zugenommen. Während Bayern und Baden-Württemberg fast durchgängig dunkelgrün gefärbt sind, bleiben allerdings die Hotspots starker Überschuldung im Ruhrgebiet oder etwa an der Nordseeküste mit ihrer roten Einfärbung bestehen. Insgesamt ist die Überschuldung in Ostdeutschland stärker zurückgegangen als im Westen der Republik. Dennoch bleibt ein Unterschied bestehen: Die Überschuldungsquote in Ostdeutschland ist höher. In Westdeutschland sind 8,04 Prozent Fälle zu zählen, in Ostdeutschland sind es 8,36 Prozent. Unter dem Strich weisen 15 Bundesländer im Jahr 2024 eine Abnahme der überschuldeten Bewohner auf. Am Ende des Rankings stehen nach wie vor Bremen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Trotz eines Rückgangs weisen sie immer noch eine Überschuldungsquote von über zehn Prozent aus. Und auch die Bundesländer mit guten Überschuldungsquoten bleiben in der Reihenfolge der Vorjahre: Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Brandenburg stehen an der Spitze der Rangliste.
Im Hinblick auf sozialpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Überschuldung spielt auch die Überschuldungsentwicklung bei Männern und Frauen eine Rolle. 2024 sind rund 3,4 Millionen Männer von Überschuldung betroffen. Dem stehen 2,17 Millionen Frauen gegenüber. Beide Geschlechter nehmen an der aktuell guten Entwicklung teil: Dabei fällt der Rückgang bei den Frauen mit 52.000 Fällen deutlicher aus als bei den Männern mit 42.000 Fällen. Auch die Überschuldungsquote ist mit dem Minus bei den Frauen (minus 2,3 Prozent) ausgeprägter als bei den Männern (minus 1,2 Prozent). Allerdings ist bei den Frauen ein leichter Zugang bei der harten Überschuldung festzuhalten.
Alter schützt vor Schulden nicht
Aktuell weisen die jüngste (unter 30 Jahre) und die älteste (ab 70 Jahre) Bevölkerungsgruppe einen Zugang bei der Überschuldung auf (unter 30 Jahre beziehungsweise über 70 Jahre). Bei den Altersgruppen mit den höchsten Einkommen und dem ausgeprägtesten Verbrauch, den 30- bis 60-Jährigen, sind deutliche Rückgänge der Überschuldungsfälle zu erkennen. Die jüngste und älteste Altersgruppe registriert insbesondere ein Plus bei der Zunahme der harten Überschuldungsfälle. Auch wenn die Anstiege bei den Jungen und Alten jeweils nur 0,03 Prozentpunkte ausmachen, so handelt es sich doch in beiden Fällen um prekäre Gruppen. Für jüngere Bürger kann die Überschuldung zu einer Spirale werden, die sich mehr und mehr aufbaut und damit zu einem lebenslangen Problem wird. Bei den Älteren besteht die Schwierigkeit darin, angesichts niedriger Einkünfte und geringer Perspektiven die Überschuldung hinter sich zu lassen. Rund 13 Prozent der Rentner waren 2023 noch erwerbstätig – dies sicher auch angesichts einer schwierigen Finanzlage.
Die Bewertung der aktuellen Überschuldungssituation ist ambivalent. Positiv ist sicher die leichte Verbesserung bei der Zahl der Überschuldungsfälle, andererseits ist diese Erholung nicht tiefgreifend und könnte bei der Aussicht auf die aktuellen wirtschaftlichen Verwerfungen mit Massenentlassungen, wieder ansteigenden Zinsen und zunehmenden Verrentungen schnell zu einer Wende zum Negativen führen.
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