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Deutschland gründet zu wenig
Creditreform und das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) beobachten seit vielen Jahren das Gründungsgeschehen in Deutschland. Ende Mai wurden die aktuellen Zahlen für die Entwicklung in 2022 veröffentlicht. Sie zeigen einen Einbruch bei der Zahl neuer Unternehmen.
Was mit Ausbruch der Pandemie befürchtet worden war, dass sich das Gründungsgeschehen aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten verlangsamen würde, ist nun eingetreten. Im ersten Jahr von Corona war nur eine leichte Abschwächung um minus 0,7 Prozent zu registrieren – im Jahr 2021, im allgemeinen Aufschwung nach dem Lockdown, sogar ein Plus von 2,1 Prozent. Jetzt liegt die Zahl aktiver, genuiner Neugründungen gegenüber dem Vorjahr um 7 Prozent zurück. Damit ist von knapp 163.000 Neugründungen auszugehen. Ähnliche Werte veröffentlicht auch das Statistische Bundesamt, hier spricht man von einem Rückgang von 5 Prozent bei den neu angemeldeten Gewerbebetrieben. Und auch der KfW-Gründungsmonitor sieht einen noch ausgeprägteren Rückgang von 9 Prozent.
Wozu noch gründen?
Der neuerliche Rückgang bei den Gründungen ist vor dem Hintergrund eines bereits seit Jahren schwächeren Geschehens bei den neuen Unternehmen zu sehen. „Das Gründungsgeschehen hat sich seit 2012 auf niedrigem Niveau eingependelt: Jedes Jahr wurden rund 170.000 Unternehmen gegründet. Zwischen 1995 und 2004 gab es im jährlichen Durchschnitt noch gut 240.000 Neugründungen“, führt das ZEW im gemeinsam mit Creditreform publizierten Newsletter „Junge Unternehmen“ aus. Diese Entwicklung wird von zwei Ursachen bestimmt: Da ist zum einen die Demografie, die mit abnehmenden Geburtenraten zu einer immer älter werdenden Bevölkerung führt und zum anderen – aber damit zusammenhängend – kommt es zu einem immer stärkeren Arbeitskräftemangel – besonders im Bereich qualifizierter Facharbeit, der immer attraktivere Arbeitsplätze schafft. Dies ist die Kehrseite des – auch noch in der Krise – kräftigen Arbeitsmarktes. Die aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur zeigen ein weiteres Absinken der Arbeitslosenquote auf 5,5 Prozent. Trotz der konjunkturellen Flaute bleibt der Arbeitsmarkt weiter beständig. Das wiederum führt dazu, dass es weniger Gründungen aus der Notsituation einer Arbeitslosigkeit gibt. Und eine weitere Zahl zur demografischen Misere: Im Jahr 1995 waren noch 66 Prozent der deutschen Bevölkerung jünger als 50 Jahre, 2021 sind es nur noch 55 Prozent. Es liegt auf der Hand, dass der Weg in die Selbstständigkeit eher von jüngeren Menschen beschritten wird.
Junge Unternehmen sind für eine Volkswirtschaft überlebenswichtig. Neugründer sind innovativer und wachstumsstärker. Entsprechend liegt der Fokus bei Politik und öffentlicher Förderung auf forschungsintensiven Branchen, weniger etwa bei konsumorientierten Dienstleistern. Und gerade bei den wissensaffinen Branchen kam es zu Rückgängen. Waren die Gründungsaktivitäten in der Informations- und Kommunikationstechnologie bis 2021 noch ansteigend, so haben sie sich nun, wie auch im Fahrzeugbau, ins Negative gewendet. Der für die Zukunft Deutschlands so wichtige Wirtschaftssektor „Chemie und Pharma“ sowie der Maschinenbau zeigen ein rückläufiges Gründungsaufkommen. Interessant ist dabei, wie schnell sich die Gründungszahlen angesichts neuer Rahmenbedingungen und damit einhergehend mit höheren Erwartungen ändern. So kam es 2020 geradezu zu einer Gründungseuphorie im Bereich der Pharmaindustrie. Ausgelöst durch den weltweiten Erfolg von Biontech und das Medienecho um die beiden Gründer fühlte sich mancher berufen, diese Erfolgsgeschichte zu wiederholen.
Deutschland hat großen Bedarf an digitalen Dienstleistungen. Es ist zu befürchten, dass der Boom und die Neuerungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung nicht rechtzeitig erkannt werden. Bei den Hightech-Gründungen spielt aktuell sicher auch eine negative Rolle, dass durch die Energiekrise und die Lieferengpässe bei den Vorprodukten Schwierigkeiten zu erkennen sind, die von einer riskanten Neugründung abhalten. So konnte der Dienstleistungssektor innerhalb des Digitalisierungsbereichs mit dem Wirtschaftszweig „Software und Games“ bis zuletzt noch dynamisch auftreten – 2022 allerdings baute er wieder ab.
Wie stark Impulse aus dem Tagesgeschehen die Gründer beeinflussen, zeigen die Aktivitäten in der Gastronomie. Im Hotel- und Gastgewerbe wurde mehr gegründet. Wie der boomende Urlaubstourismus zeigt, spielt auch eine Rolle, dass nach dem Lockdown – und vor allem nach dem Überwinden der Corona-Pandemie – wieder mehr auf mehr Aktivitäten in der Freizeit gehofft werden kann.
Nur ein Drittel weibliche Gründer
Die KfW untersucht mit ihrem Gründungsmonitor ebenfalls das Gründungsgeschehen in Deutschland. Basis ist eine Befragung unter 50.000 Personen, wobei auch untersucht wird, ob man sich etwa mit dem Gedanken an eine Selbstständigkeit trage. Die Förderbank spricht ebenfalls von einem deutlichen Rückgang. Dabei liegen die absoluten Zahlen aber wesentlich höher, weil auch eine Gründung im Nebenerwerb oder etwa eine Übernahme hinzugezählt werden kann. Sie kommt so auf 550.000 Existenzgründungen im Jahr 2022 und damit auf ein Minus von 57.000 Personen. Die KfW steuert einen interessanten Aspekt zum Gründungsgeschehen hinzu: Sie nennt Zahlen zum Anteil der Gründerinnen. In den ersten beiden Jahren der Pandemie war der Anteil von Frauen gestiegen, nun ist er wieder auf 37 Prozent gesunken. Das Gründungsgeschehen spielt nicht nur eine Rolle für die weitere Entwicklung einer Volkswirtschaft, etwa in der Technisierung, sondern auch im Hinblick auf die Teilhabe von Frauen an der Erwerbstätigkeit. Hier muss Deutschland aufholen.
Quellen: BA, Creditreform/ZEW „Junge Unternehmen“, KfW-Gründungsmonitor, Statistisches Bundesamt