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„Zeitenwende“ bei Insolvenzen – Rückkehr zur Normalität
Zum Jahresultimo 2022 war es zu einer Trendwende beim Insolvenzgeschehen in Deutschland gekommen. Die Zahl der Insolvenzen hatte gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent zugenommen.
Eine geringe Veränderung, die allerdings nach jahrelangen Rückgängen – beschleunigt mit der Pandemie ab 2020 – doch auffällig war. Noch im ersten Halbjahr 2022 hatte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um knapp 4 Prozent abgenommen. Und in den Jahren 2020 und 2021 war das Minus mit rund 15 bzw. 12 Prozent noch ausgeprägter gewesen. Die Gründe sind bekannt: In der Krise hatte die öffentliche Hand eingegriffen und mit einer Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen sowie zeitweise sogar mit dem Aussetzen der Pflicht zum Insolvenzantrag bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gegengesteuert. Was am Anfang der Corona Krise ein richtiges und wichtiges Signal an die Wirtschaft war, wurde mit der Zeit zu einem Dauer-Hilfsinstrument und brachte zahlreiche Negativeffekte mit sich und sorgte für eine paradoxe Insolvenzentwicklung.
Zweistelliger Zuwachs
Dieser Trend ist nun gebrochen. Die aktuellen Zahlen der Creditreform Wirtschaftsforschung gehen für die ersten sechs Monate des laufenden Jahres von 8.400 Unternehmenspleiten aus. Im Vergleichszeitraum des ersten Halbjahres 2022 waren es 7.230 Insolvenzen gewesen – ein Plus von 16,2 Prozent innerhalb eines Jahres. Zwei Ursachen sind für diesen Umschwung verantwortlich: Zum einen war es das Auslaufen staatlicher Unterstützungsmaßnahmen, zum anderen waren es die wirtschaftlichen Probleme, die – ausgelöst vom Krieg in Osteuropa – die deutsche Wirtschaft (wie die im ganzen Westen) ins Stolpern gebracht hatten. Dabei machten sich die Schwierigkeiten durch die Energiekrise und Inflation zunächst noch wenig bei den Verbraucherinsolvenzen bemerkbar. Deren Fallzahlen nahmen im ersten Halbjahr 2023 mit 33.200 Fällen gegenüber 2022 sogar um schmale 0,2 Prozent ab. Eine leichte Zunahme von 1,0 Prozent war dagegen bei den „sonstigen“ Insolvenzen zu registrieren. In diesem Bereich findet sich auch eine Vielzahl kleinster Unternehmen (etwa Solo-Selbstständige), die durchaus gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben.
Deutschland befindet sich aktuell technisch gesehen in einer Rezession. Von einer solchen ist auszugehen, wenn das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale hintereinander schrumpft. Dies war tatsächlich im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 der Fall. Ausgelöst wurde die Krise durch einen beispiellosen Energiepreisschock. Öl und Gas aus Russland wurden sanktioniert, die Preise vervielfachten sich und das „Gespenst“ des akuten Energiemangels stand im Raum. Die Teuerung fraß sich nun weiter durch andere Lebensbereiche. Sie erfasste die Lebensmittel und traf damit die Stimmung der Verbraucher, die ihren Konsum zurücknahmen. Nun bemühte sich die Europäische Zentralbank, die teilweise zweistelligen Inflationsraten durch ein Anheben der Leitzinsen zu dämpfen. Diese Maßnahmen aber blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Konjunktur. Kredite wurden deutlich teurer, was sich vor allem bei den Immobilien bemerkbar machte. Der jahrelang boomende Markt schrumpfte, die Zahl der Kredite nahm ab und die Häuserpreise sanken.
Teure Kredite treffen den Bau
Diese Entwicklung blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Bausektor. Die Zunahme bei den Unternehmensinsolvenzen trifft alle Wirtschaftsbereiche ausnahmslos – und bei einem ersten Blick auf die Veränderungen kommt das Baugewerbe noch scheinbar gut davon. Ein Plus bei den Insolvenzen von 9 Prozent wirkt moderat gegenüber der Steigerung im Verarbeitenden Gewerbe von über 22 Prozent. Wie sich der Wind im Bausektor gedreht hat, wird deutlicher, betrachtet man die Insolvenzen je 10.000 Unternehmen einer Branche. Auf 10.000 Betriebe im Baugewerbe sind 74 Pleiten zu zählen – vor einem Jahr waren es noch 68. Und hier zeigt sich auch, wie schwach das Baugewerbe gegenüber anderen Branchen dasteht: So hat das Verarbeitende Gewerbe zwar einen markanten Zuwachs bei den Insolvenzen hinzunehmen, bezogen auf 10.000 Unternehmen sind es aber nur 32 Betroffene.
Bemerkbar macht sich bei der Zunahme der Insolvenzen die schwächelnde Konjunktur nicht nur bei den Branchen. Unter der Prämisse, dass kleinere Unternehmen sehr viel flexibler auf wirtschaftliche Erschütterungen reagieren können als große Konzerne, ist es bezeichnend, dass viele Parameter wie die Umsätze, die Mitarbeiterzahl oder das Alter auf eine stärkere Betroffenheit großer Unternehmen hinweisen. So haben die Gesamtschäden durch Unternehmensinsolvenzen mit 13 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2023 gegenüber 2022 mit 9,8 Mrd. Euro deutlich zugenommen. Auch die Zahl der durch die Insolvenzen bedrohten Arbeitsplätze hat sich binnen eines Jahres fast verdoppelt. Waren im ersten Halbjahr 2022 rund 68.000 Mitarbeiter betroffen, so sind es aktuell 125.000. Ein genauerer Blick auf die Mitarbeitergrößenklassen erkennt Steigerungen vor allem bei den größeren Mittelständlern – Betriebe mit 51 bis 250 Beschäftigten. Deren Anteil legte um über 133 Prozent zu. Bei den Kleinunternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern lag das Plus bei unterdurchschnittlichen 9,7 Prozent. Aber auch große Unternehmen mit über 250 Arbeitnehmern legten markant um 66,7 Prozent zu – bei allerdings nur 50 Fällen in dieser Unternehmensgrößenklasse.
GmbH stärker betroffen
Die stärkere Betroffenheit eher größerer Unternehmen im ersten Halbjahr 2023 lässt sich nicht nur an den Mitarbeiterzahlen, sondern auch an den Rechtsformen erkennen. Kleinere Betriebsgrößen, die eher als Gewerbebetrieb, Einzelunternehmen oder bei den Freien Berufen firmieren, sind weniger zu finden. Sie stellen zwar immer noch den Löwenanteil, dieser hat jedoch von 44,5 auf 40,3 Prozent abgenommen. Dazu passt spiegelbildlich die GmbH, die als eher gewichtigere Kapitalgesellschaft stärker vertreten ist. Ihr Anteil nahm von 37,6 auf 41,8 Prozent binnen Jahresfrist zu. Immerhin hat der Anteil älterer Unternehmen, die über zehn Jahre am Markt vertreten sind, nur unterdurchschnittlich um 14 Prozent zugelegt. Stärker betroffen gegenüber dem letzten Jahr sind junge Unternehmen mit einem Alter zwischen drei und sechs Jahren. Deren Anteil nahm um rund 23 Prozent zu. Es ist davon auszugehen, dass diese Altersklasse tatsächlich von den Krisen (u. a. Corona und Inflation) stärker getroffen wurde, waren die ihr zugehörigen Unternehmen doch noch im Aufbau und am Markt wenig etabliert.
Die zunehmenden Insolvenzen sind Auswirkungen der schwächelnden Konjunktur, der teureren Finanzierung, aber insgesamt auch Ausdruck einer Rückkehr zu einer Normalität, in der das Insolvenzgeschehen Seismograph des gesamtkonjunkturellen Geschehens ist.
Quelle: Creditreform