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Nachfolge? Nein, danke.
Erst Corona, dann die Energiekrise, dazu Dauerthemen wie Personalmangel und Digitalisierung. Selten war es so komplex, ein Unternehmen zu führen. Und selten war die Lust auf Unternehmertum so gering. Warum Deutschland auf einen Nachfolgermangel zusteuert – und wie Unternehmer damit umgehen.
Fast vier Jahrzehnte, 37 Jahre lang, hat Thomas Gehle die Stage School in Hamburg-Altona aufgebaut und zu einem Unternehmen mit 70 Mitarbeitern und rund drei Millionen Euro Jahresumsatz gemacht. Die private Hochschule bildet seit 1985 Künstlerinnen und Künstler in Tanz, Gesang und Schauspiel aus. Nach zwei Burnouts entschied der 64-Jährige für sich: „Ich steige aus.“ Erste Gespräche mit externen Interessenten als Nachfolger liefen ins Leere. Dann fragte der Inhaber der Bühnenfachschule einen ehemaligen Kunden und aktuellen Mitarbeiter: Dennis Schulze, 32 Jahre jünger und vor zehn Jahren selbst einmal Schüler an der Stage School, war von der Bühne hinter die Kulissen gewechselt und hatte bereits zahlreiche Aufgaben im Management der Privatschule übernommen, dazu die Produktionsleitung, Regie und schließlich die künstlerische Leitung des zum Haus gehörenden First Stage Theaters. Gehle sagt: „Die besten Voraussetzungen, um den Betrieb zu übernehmen.“
Eine Frage musste aber noch geklärt werden: Was ist das Unternehmen wert? Das größte Stück zum Umsatzkuchen tragen die 230 Schülerinnen und Schüler mit ihrer Jahresgebühr von jeweils gut 12.000 Euro bei. Durch Workshops und Veranstaltungen im Theater kamen 2020 und 2021 aufgrund der Pandemie nur geringe Summen rein. Thomas Gehles Verkaufspreisvorstellung, die bei etwa zwei Drittel eines Jahresumsatzes minus eines kleinen sechsstelligen Betrags an Verbindlichkeiten lag, fanden die Berater der Hamburger Sparkasse „ambitioniert“. Schulze aber war einverstanden. Er vereinbarte mit Gehle die Begleichung der Summe mit einer Einmalzahlung und fünf Jahresraten: „So kann ich die Summen aus dem Cashflow des laufenden Betriebes ziehen.“ Die Finanzierung der Erstzahlung hat Schulze von der Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg mit einer 80-prozentigen Ausfallgarantie absichern lassen. Seit dem 1. August 2022 ist er nun neuer Eigentümer. Und sei ist optimistisch, weil er den Betrieb kenne, die Mitarbeiter und Arbeitsabläufe. Auch Neues hat er schon angeschoben, etwa die Digitalisierung. „Das ist gut fürs Unternehmen“, konstatiert sein Vorgänger. „Ich hätte das wahrscheinlich nicht mehr gemacht.“
Generation vor dem Wechsel
Rund 190.000 Unternehmen stehen von 2022 bis 2026 zur Übernahme an, schätzt das Institut für Mittelstandsforschung Bonn. KfW Research geht sogar von weitaus mehr Betrieben aus, die in den kommenden Jahren eine Nachfolge anstreben. Die Chefs, die das Firmenlenkrad einem neuen Kapitän in die Hände geben wollen, sind demnach im Schnitt bereits 66 Jahre alt. Laut KfW Research dürfte bei etwa zwei Drittel der Firmen der Generationswechsel gelingen, bei den anderen nicht. Die stehen vor dem Aus. Das liegt auch daran, dass in der deutschen Unternehmenslandschaft eine strukturelle Nachfolgelücke besteht. Der Grund: der demografische Wandel. Er erhöht den Bedarf an Nachfolgern, macht es aber gleichzeitig schwerer, Interessenten zu finden. Zudem ist die Bereitschaft zum Entrepreneurship in Deutschland zurückgegangen. Das hat auch zu einer geringeren Zahl an Existenzgründern geführt, die einen bestehenden Betrieb mit einem bewährten Geschäftsmodell weiterführen wollen. Ein Beleg: Im vergangenen Jahr informierten sich bei den Industrie- und Handelskammern (DIHK) im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 nur halb so viele Personen über Möglichkeiten einer Unternehmensnachfolge. Besonders gelitten hat die Nachfrage in den von Lockdowns betroffenen Branchen Handel und Gastronomie sowie in kleinen Dienstleistungsfirmen. In diesem Jahr sieht es noch düsterer aus: Neben Corona sind der russisch-ukrainische Krieg und die Energiepreiskrise als Unsicherheitsfaktoren hinzugekommen. Und auch die Aussicht auf 2023 macht nicht gerade Mut: Die Zinsen steigen. Das verteuert die Fremdkapitalaufnahme für eine Übernahmefinanzierung. Außerdem steht Deutschland am Beginn einer Rezession. Damit nicht genug: Auch Dauerthemen wie der Personalmangel, die Digitalisierung oder die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit dämpfen die Lust aufs Unternehmertum, so der DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2022. „Neben dem Fachkräftemangel steuert unsere Wirtschaft auch auf eine Unternehmerknappheit zu“, warnt deshalb Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags.
Erster Blick noch immer auf die Familie
Nicht immer funktioniert die unternehmerische Staffelübergabe so gut wie bei der Stage School Hamburg, wo mit Schulze ein Mitarbeiter in die Fußstapfen seines Mentors getreten ist. „Eigentlich geht der erste Blick immer auf die Familie“, weiß Axel Bergmann, Partner der auf Unternehmensnachfolge spezialisierten Firma KERN. Vier von zehn Firmenübergaben werden familienintern gelöst. Meist erfolgreich. Doch es gibt auch Fälle, sogar prominente, bei denen der geplante Wechsel von einer Generation auf die nächste krachend gescheitert ist. Der Hamburger Steakhouse-Gründer Eugen Block etwa hat es über Jahre nicht geschafft, seinen Sohn Dirk als Nachfolger zu installieren. Senior und Junior kamen auf keinen gemeinsamen Nenner, weil der Alte nicht loslassen wollte und der Junge nicht an seinem Übervater vorbeiziehen konnte. Schließlich musste Dirk Block die ihm übertragene Geschäftsführung wieder abgeben und zusehen, wie Stephan von Bülow, ein externer Manager, inthronisiert wurde.
Jahrelang Krach herrschte auch im Hause Bahlsen. Immer wieder drohte der mehr als 130 Jahre alte Keksproduzent zu zerbröseln, weil sich die Eigentümerfamilie stritt. Das war vor 20 Jahren so, als Werner Bahlsen die „süße“ Gebäck- und sein Bruder Lorenz die „salzige“ Snack-Sparte in Eigenregie übernahmen. 2019 begann Werner Bahlsen, der sich ein Jahr zuvor vom Chefposten zurückgezogen hatte, nach einem externen Kandidaten für die oberste Management-Position zu suchen. Seine Tochter Verena kam nicht infrage, nachdem sie sich mit Äußerungen zur Rolle des Unternehmens in der NS-Zeit disqualifiziert hatte. Im März 2020 wurde der Brite Phil Rumbol als erster familienfremder Chef nach Hannover geholt – und im Frühjahr 2022 wieder entlassen. Verena Bahlsen sprang ein. Nun soll zum 1. Januar Alexander Kühnen, der bisher noch den Hamburger Feinkosthersteller Carl Kühne leitet, den Chefposten bei Bahlsen übernehmen.
Eine Tragikomödie fast antiken Ausmaßes spielte sich im Haus des Hamburger Kaffeerösters J.J. Darboven ab: Patriarch Albert Darboven hatte seinem Sohn Arthur Ernesto einst die Anteilsmehrheit geschenkt. Als dieser später im Streit die Geschäftsführung verließ, widerrief sein Vater die Übertragung. Damit nicht genug. Er wollte nun ausgerechnet Andreas Jacobs, einen Spross der ehemaligen Bremer Kaffee-Konkurrenz Jacobs, zu seinem Nachfolger machen. Weil laut Satzung an der Firmenspitze aber ein Familienmitglied sitzen muss, versuchte Albert Darboven den jungen Jacobs gleich auch noch zu adoptieren. Dagegen ging Arthur Ernesto vor Gericht – und bekam Recht.
Management-Buy-Out oder -Buy-In
So schlimm muss es nicht kommen. Neben dem Generationswechsel innerhalb der Unternehmerfamilie gibt es eine Reihe weiterer Wege, die Firmeneigentümer nutzen können, um ihren Betrieb einem Jüngeren anzuvertrauen. Eine häufig genutzte Option für Firmeninhaber ist es, anderen Gesellschaftern die Übernahme des Betriebes anzubieten. Die kennen meist das Unternehmen gut und haben die Strategie der letzten Jahre mitentwickelt. Auch langjährige Führungskräfte können Nachfolger werden. Ein solcher Management-Buy-Out (MBO) gewährleistet ebenfalls in der Regel, dass die Firma im Sinne des Altbesitzers weitergeführt wird. Bergmann: „Allerdings ist nicht jeder gute Arbeitnehmer unbedingt auch ein guter Unternehmer, denn neben Können und Sachverstand kommt es hier auch auf die Fähigkeit an, führen zu können.“
„Nicht jeder gute Arbeitnehmer ist auch ein guter Unternehmer. Neben Können und Sachverstand kommt es auf die Fähigkeit an, führen zu können.“
Axel Bergmann, KERN
Der entgegengesetzte Schritt ist ein Management-Buy-In (MBI), bei dem ein Manager von außen ans Steuer der Firma geholt wird. In Frage kommen hierfür fachlich und durch ihre Persönlichkeit besonders qualifizierte Unternehmertypen. Christian Fricke ist so einer: Der Hamburger stieg 2018 als Nachfolger beim Berliner Onlineshop Wine in Black (30 Mitarbeiter) ein. Mit ihm an Bord ging als Investor die schwedische Viva Wine Group. Nach dem Abschied von Wine-in-Black-Gründer Stephan Linden startete Fricke durch und baute die Firma durch die Zukäufe eines Logistikbetriebs und des Online-Weinhändlers Vicampo bis auf 220 Mitarbeiter und 75 Millionen Euro Umsatz aus. Damit ist er aktuell größter Konkurrent von Marktführer Hawesko. „Für unseren Erfolg war die frühzeitige unternehmerische Incentivierung entscheidend“, sagt Fricke. „Alt- und Neu-Geschäftsführer müssen einen gemeinsamen Zukunftsplan haben.“ Das sieht Mark Miller von der Investmentbank Carlsquare genauso, der Fricke und die Viva Wine Group bei der Übernahme von Vicampo beraten hat: „Ein erfolgreiches MBI ist keine Selbstverständlichkeit. In wenigen Jahren ist unter Christian Frickes Führung das Unternehmen gewachsen und war reif für den nächsten logischen Wachstumsschritt.“
Die rechtzeitige Einleitung der strategischen Weiterentwicklung eines Betriebes hält auch die Düsseldorfer Unternehmensberaterin Maren Lorth für essenziell. Sie konstatiert allerdings: „Dafür gibt es keine Blaupause.“ Für frischen Rückenwind kann wie Christian Fricke als Nachfolger bei Wine in Black unter Umständen auch ein strategischer Investor sorgen. Die Gründer Jan Jagemann und Mathias Bösselmann haben gerade die Mehrheit an ihrer Beratungsfirma Krongaard (160 Mitarbeiter) an die Private-Equity-Gesellschaft Maxburg Capital Partners verkauft und das operative Geschäft in die Hände der Mitglieder der zweiten Führungsebene ihrer Firma gelegt. Jagemann: „Für eine Übergabe an nur einen Mitarbeiter ist unser Unternehmen zu groß und von einem Wettbewerber einverleiben lassen wollten wir uns nicht.“ Mark Miller rät zu einer solchen Nachfolgetransaktion nur, wenn zwischen den Partnern die Chemie stimmt: „Maxburg passt ideal zur Krongaard-Kultur.“
Mindestens drei Jahre Vorlauf
Sich nach potenziellen Nachfolgern umschauen ist in Zeiten des Internets leichter geworden. Im Netz gibt es Plattformen und Unternehmensbörsen, über die Firmeninhaber und Gründer, die Interesse an einem bestehenden Betrieb haben, zueinander finden können. Ein renommiertes Portal ist nexxt-change.org, das von den IHKs betrieben wird. Hier stehen regelmäßig etwa 6.000 aktuelle und anonymisierte Inserate. Apropos IHK: Die Kammern raten, drei bis zehn Jahre vor einer geplanten Firmenübergabe die Weichen für den Wechsel zu stellen. Dazu gelte es, Fragen zu beantworten wie: Ist die Produktion auf dem neuesten Stand? Stimmt die Unternehmensorganisation? Habe ich die richtigen Zuliefer- und Finanzierungspartner? Die letzten drei Jahre müssten für die Suche nach dem geeigneten Interessenten eingeplant werden. Zur Stunde null, den Tag der Firmenübergabe, sollten alle Spannungsfelder befriedet sein, die Interessen des Inhabers, seiner Familienangehörigen und der Nachfolger gelöst sein.
Frühzeitig, professionell und immer schriftlich
Kirsten Schubert musste nach dem Tod ihres Vaters 2010 quasi über Nacht die Geschicke der Unternehmensgruppe ihrer Familie übernehmen. Davon handelt ihr Buch „Plötzlich und unerwartet. Der steinige Weg der Erben und Unternehmensnachfolger“ (Verlag: Murmann Publishers, Hamburg). Heute berät die promovierte Betriebswirtin als Inhaberin ihrer eigenen Beratungsgesellschaft Unternehmerfamilien bei der Nachfolge. Hier sind sechs Tipps von ihr:
- Regeln Sie Ihre Nachfolge frühzeitig.
- Reden Sie in Ihrer Familie offen und ehrlich über die geplante Nachfolge- und Nachlassregelung.
- Setzen Sie für Ihr Unternehmen einen realistischen Preis an. Ihre emotionelle Bindung bezahlt niemand.
- Keine mündlichen Abmachungen. Was gewollt wird, muss schriftlich festgelegt werden.
- Lassen Sie sich bei der Unternehmensübergabe juristisch und steuerlich beraten.
- Lernen Sie loszulassen. Die nachfolgende Generation braucht genügend Spielraum für die Weiterführung des Betriebes.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann