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Restrukturierung: So reagieren Sie rechtzeitig
Die Insolvenzzahlen steigen. Im Handel, in der Immobilienbranche, aber auch in der Industrie geht immer mehr Unternehmen das Geld aus. Energiepreisentwicklung, Zinswende und Inflation zeigen Wirkung. Wenn die Geschäfte schlechter laufen und zur selben Zeit die Kosten steigen, leidet die Liquidität. Wohl denen, die es schaffen, rechtzeitig den Turnaround einzuleiten und sich dazu die Hilfe von Spezialisten holen: Von Restrukturierern wie Adrian Bölingen. Der Partner und Rechtsanwalt bei Baker Tilly erklärt in dieser Folge, welche Warnsignale es gibt, wie Unternehmer sie deuten und wie sie richtig reagieren, um das Ruder geschäftlich noch herumzureißen.
Adrian Bölingen (Partner und Rechtsanwalt bei Baker Tilly) verrät im Gespräch mit Jana Samsonova (Handelsblatt Media Group), welche Warnsignale es bei drohender Insolvenz gibt, wie Unternehmer sie deuten und wie sie richtig reagieren, um das Ruder geschäftlich noch herumzureißen..
Lesen statt hören: Podcast Folge #21 zum Nachlesen
Jana Samsonova [00:00:00] Wirtschaftswachstum 0 Prozent, Inflation 6,2 Prozent. Diese Zahlen hat das Statistische Bundesamt im Juli veröffentlicht. Und sie sprechen eine deutliche Sprache. Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Gründe dafür gibt es viele. Verbraucher sind sparsamer, fahren ihr altes Auto länger, kaufen weniger ein, gehen seltener aus, und so weiter. Für Händler und Hersteller bedeutet das weniger Umsatz, weniger Gewinn, immer häufiger auch die Pleite. Zumindest dann, wenn nicht rechtzeitig die Weichen für eine Restrukturierung gestellt werden. Allein in der Textil- und Modebranche haben in diesem Jahr schon 40 Händler Insolvenz angemeldet. Darunter bekannte Namen wie Hallhuber, Gerry Weber und Peek & Cloppenburg. Kurz gesagt: Energiepreisentwicklung, Zinswende und Inflation gehen nicht spurlos an den Unternehmen vorbei. Wenn die Geschäfte schlechter laufen, aber zur selben Zeit die Kosten steigen, leidet am Ende die Liquidität. Droht Unternehmen das Geld auszugehen, sind Sanierer und Restrukturierer gefragt, um den Strategiewechsel rechtzeitig einzuleiten. Einer von ihnen ist heute mein Gast. Er hat schon mehr als 50 Unternehmen bei Restrukturierungen beraten und weiß, worauf es ankommt, damit sie wieder auf Kurs kommen. Er ist Spezialist in fortgeschrittenen Sanierungssituationen und begleitet Unternehmen nicht nur außergerichtlich, sondern auch in gerichtlichen Restrukturierungsverfahren. Mein Name ist Jana Samsonova und bei mir begrüße ich Adrian Bölingen, Rechtsanwalt und Partner bei Baker Tilly. Herzlich willkommen!
Adrian Bölingen [00:01:27] Hallo! Vielen Dank für die Einladung.
Jingle [00:01:33] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.
Jana Samsonova [00:01:47] Herr Bölingen, noch diskutieren Experten ja, ob uns eine Pleitewelle bevorsteht oder ob sich die Insolvenzzahlen gerade erst nach der Corona Pandemie normalisieren. Wie schätzen Sie diese Situation denn ein?
Adrian Bölingen [00:02:00] Aktuell beobachten wir gleichzeitig eine erhebliche Zunahme bei der Marktbereinigung und bei der Restrukturierung in gerichtlichen Verfahren. Die zunehmende Marktbereinigung ist zwangsläufige Folge der Liquiditäts-Bazooka, die wir gesehen haben, die auch wichtig war, die auch hilfreich war, um grundsätzlich funktionierende Unternehmen auch weiter fortführen zu können. Aber diese Liquiditätshilfen haben halt auch Defizite bei nicht funktionierenden Unternehmen verschleiert und vertagt, sodass wir jetzt erst langsam Aufholeffekte bei der Marktbereinigung sehen. Die starke Insolvenzwelle, die Sie gerade angesprochen haben, die werden wir aber nach unserer Sicht nicht sehen. Was die Restrukturierungsverfahren in gerichtlichen Verfahren angeht, auch da sehen wir im Moment eine deutliche Zunahme, die auch symptomatisch ist und mit den Liquiditätshilfen zusammenhängt. Weil diese Restrukturierungsverfahren schon länger laufen und durch den Wegfall jetzt doch auch bei funktionierenden Unternehmen gerichtliche Hilfemaßnahmen in Anspruch genommen werden, um funktionierende Organismen weiter fortzuführen und zu stabilisieren.
Jana Samsonova [00:02:58] Plaudern Sie doch mal aus dem Nähkästchen. Welche Art von Fällen haben Sie denn aktuell auf dem Schreibtisch?
Adrian Bölingen [00:03:04] Also aktuell ist es tatsächlich überwiegend im außergerichtlichen Restrukturierungsbereich, dass uns Krisenkandidaten begleiten. Solche, bei denen wir die Wertschöpfung an die Marktbedingungen anpassen müssen oder eben einfach Finanzierungsstrukturen an neue Realitäten angleichen müssen. Wir haben es gesehen: Im letzten Jahr sind die Zinsen ganz erheblich hochgegangen. Das bedeutet natürlich für alle Unternehmen, das Refinanzierungen, die ins Haus stehen, mit ganz anderen Kosten verbunden sind. Hierbei begleiten und unterstützen wir. Die geänderten Marktbedingungen betreffen auch nicht nur disruptive Bereiche. Die kennen wir schon aus der Restrukturierung aus den letzten Jahren - Automotive, Retail -, sondern im Moment sind es auch ganz erheblich Unternehmen beispielsweise aus dem Bau oder der Projektentwicklung, die wir durch unsere sehr starke Immobilienpraxis auch viel begleiten und wo wir sehr gefragt sind. Aber auch im operativen Bereich, bei der Anpassung, sind wir stark gefragt und gerade hier können wir auch unsere Stärken als multidisziplinäre Einheit ausspielen und für unsere Mandanten gewinnbringend einsetzen. Wesentlicher Erfolgsfaktor für den Turnaround ist immer die nahtlose Zusammenarbeit der juristischen und betriebswirtschaftlichen Disziplinen, da das Zeitfenster, was uns zur Verfügung steht, einfach eng ist. Und wir müssen dieses enge Zeitfenster, in dem wir spielen, bestmöglich nutzen.
Jana Samsonova [00:04:14] Sie sprechen den Faktor Zeit schon an. Wie erkennen denn Unternehmen ihre Notsituation und wann sollten sie die Reißleine ziehen?
Adrian Bölingen [00:04:21] Na ja, die Frühindikatoren alle aufzuzählen, da wären wir jetzt noch lange beschäftigt und die sind sehr zahlreich. Aber Unternehmen sind mittlerweile auch gesetzlich dazu verpflichtet, diese Frühindikatoren zu überwachen und bestandsgefährdende Risiken aufzunehmen und taugliche Frühwarnsysteme einzuführen. Das lag eigentlich schon immer im Pflichtenspektrum der Geschäftsleitung, ist aber jetzt Gesetz geworden vor kurzem - und ist einfach viel zu wenig beachtet worden. Hier unterstützen wir natürlich auch damit, diese bestandsgefährdenden Risiken bei Unternehmen und Geschäftsleitung frühzeitig angegangen werden können. Natürlich können wir auch bei der sprichwörtlichen Reißleine helfen, aber der Turnaround wird dann in der Regel sehr viel schwieriger.
Jana Samsonova [00:05:02] Warum?
Adrian Bölingen [00:05:03] Weil die Liquidität enger wird. Das Maßnahmenpaket, was wir noch ansetzen können, wo wir ansetzen können, wird sehr viel kleiner. Und unser Werkzeugkasten wird einfach kleiner. Und dadurch sind die Chancen, die man für einen erfolgreichen Turnaround hat, auch mit zunehmender Zeit immer schwieriger. Spätestens wenn die Liquidität dann perspektivisch knapp werden könnte, dann sollten Spezialisten hinzugezogen werden, weil der angesprochene Werkzeugkasten auch Maßnahmen parat hält, bei denen in angespannten Liquiditätssituationen vorübergehend für Entspannung gesorgt werden kann, sodass man schauen kann, dass man die Restrukturierung auch ohne harte Einschnitte umsetzen kann.
Jana Samsonova [00:05:41] Es gibt ja nicht den einen Grund, warum Unternehmen in Schieflage geraten. Finanzierungsprobleme können viele Ursachen haben, und jeder Ursachen muss man unterschiedlich begegnen. Wie gehen Sie typischerweise eine Restrukturierung an?
Adrian Bölingen [00:05:52] Ganz zentral für uns ist das tiefe Verständnis der unternehmerischen Wertschöpfung. Die unternehmerische Wertschöpfung kann man sich vorstellen wie bei einem menschlichen Körper. Da ist jeder anders. Und das heißt für uns natürlich, dass wir, wenn wir eine Restrukturierung angehen, keine Schablonen haben, die wir abspulen können, sondern in jeder Restrukturierung individuell auf den jeweiligen Mandanten, Krisenkandidaten eingehen müssen und verstehen müssen, womit er sein Geld verdient. Dabei natürlich elementar: Das Verständnis der Verzahnung von betriebswirtschaftlichen und juristischen Sachverhalten, weshalb auch wir in diesen Bereichen sehr eng zusammenarbeiten. Wir nennen das unser Delta Team. Delta ist Akronym für Debt und Equity, das wir gemeinsam in den Bereichen Legal, Tax und Advisory beraten. Dadurch schaffen wir es schnell, einen 360 Grad Blick in das Unternehmen reinzubekommen. Je weiter die Krise fortgeschritten ist, desto genauer müssen wir bei der unternehmerischen Wertschöpfung hinschauen. Um beim Bild des menschlichen Körpers zu bleiben: Wenn wir in einer Restrukturierung im Eigenverwaltungsverfahren sind, dann gleicht das in etwa einer Operation am offenen Herzen. Da muss schon jeder Handgriff sitzen. Andererseits können wir hingegen früher ansetzen. Also hat das Frühwarnsystem funktioniert, und wir sind hinzugezogen worden, reichen häufig leichte, leicht invasive Maßnahmen, um das Unternehmen wieder zu stabilisieren und auf Spur zu bringen.
Jana Samsonova [00:07:12] Jetzt ist es ja so, dass viele Geschäftsmodelle nicht nur wegen der wirtschaftlichen Lage unter Druck stehen, sondern zum Beispiel auch wegen anderer Trends, beispielsweise Digitalisierung, Energie und Mobilitätswende. Und so weiter. Sie haben gerade schon das Bild der Herz-OP gezeichnet. Aber wie schwierig ist es denn, ein überholtes Business so zu verändern, dass es wieder läuft in der heutigen Zeit?
Adrian Bölingen [00:07:34] Also einen erfolgreichen Change- und Turnaround-Prozess im Unternehmen zu planen und umzusetzen ist immer sehr herausfordernd. Sie würden nicht glauben, wie oft ich in meiner Praxis schon gehört habe: Das haben wir schon immer so gemacht. Und das erste, was dafür erforderlich ist, das ist der Veränderungswillen. Insbesondere auch beim Unternehmer und bei den Geschäftsleitern, die mit ihren eigenen Vorstellungen brechen müssen und sich auf Neues einlassen müssen. Und die wesentliche danach sich anschließende Herausforderung beim sogenannten Rollout, also wenn wir anfangen, den Change- oder Turnaround-Prozess auch in die Breite zu streuen, dann gilt es, jeden einzelnen Stakeholder, der daran beteiligt ist - also ich spreche von Mitarbeitern, Gesellschaftern, Finanzierer, Lieferanten, und so weiter - mit der richtigen Ansprache zum richtigen Zeitpunkt abzuholen und an diesem Prozess zu begleiten. Dafür sind natürlich sehr viel Erfahrung, ein grundlegendes Verständnis für das unternehmerische Umfeld gefragt, weil auch dafür gibt es keine Schablone.
Jana Samsonova [00:08:32] Und unter uns, wie oft klappt das so Ihrer Erfahrung nach?
Adrian Bölingen [00:08:34] Na ja, also auch wenn es im Phrasenschwein entsprungen sein mag, aber je früher wir dazugerufen werden, desto höher sind auch die Erfolgswahrscheinlichkeiten.
Jana Samsonova [00:08:42] Gibt es da ein Beispiel, was Sie benennen können?
Adrian Bölingen [00:08:44] Also wir haben zum Beispiel gerade ein Unternehmen während eines Investorenprozesses begleitet, in dem die Krise irgendwo am Horizont sichtbar war, aber noch zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Und da war es so, dass wir im Außenverhältnis kaum in Erscheinung getreten sind und uns wirklich darauf konzentrieren konnten, die Verhandlungen mit dem Investor zu führen. Auf der anderen Seite auch bei späteren Einsätzen ist der Turnaround aber natürlich noch machbar, wie wir in den letzten Jahren mehrfach auch in der Eigenverwaltung gezeigt haben. Auch teilweise bei Unternehmen, bei denen dann eine Zahlungsunfähigkeit schon eingetreten war. Auch da haben wir erfolgreich den Turnaround geschafft und insbesondere kann eine solche gerichtliche Sanierung erforderliche Zeit verschaffen, um zusätzliche Investoren zu finden oder auch den Verkauf des gesamten Unternehmens umzusetzen. Immer wieder haben wir es natürlich aber auch mit Unternehmen zu tun, die weder die Frühindikatoren bemerkt haben noch ihre Zahlen im Griff haben. Also was ich damit meine, ist, dass ein aussagekräftiges Controlling mir jederzeit sagt: Wo steht eigentlich mein unternehmerischer Erfolg? Und auch wenn man das nicht meinen mag, ist es gar nicht so verbreitet, wie es sein sollte. Und wenn die Situation dann zu weit ist und wenn die Insolvenzverschleppung schon eingetreten ist, dann sind auch wir mit unserem Werkzeugkasten zu Ende. Und dann bleibt auch für uns nur noch der Weg zum Insolvenzverwalter und das Unternehmen in die Regelverwaltung zu begleiten.
Jana Samsonova [00:10:05] Und wie sieht es eigentlich mit der Prävention aus? Ich weiß, wir laufen heute Gefahr ein Gesundheits-Podcast zu werden. Aber ist so was wie Gesundheitsvorsorge für Unternehmen möglich? Und wenn ja, was empfehlen Sie denn Geschäftsführern, um gar nicht erst in die Situation zu kommen?
Adrian Bölingen [00:10:19] Frühzeitig Spezialisten fragen, idealerweise ein taugliches Frühwarnsystem einzurichten, das zu dem Zeitpunkt auch noch nicht unbedingt erforderlich ist. Also gerade in der Phase, wo ich gesund bin, wo ich noch Ressourcen und Zeit habe, mir dieses Frühwarnsystem ordentlich einzurichten, eine ordentliche Überwachung und ordentliche Prozesse zu hinterlegen. Das ist ganz entscheidend. Zusammengefasst ist es immer der entscheidende Erfolgsfaktor für die Restrukturierung, dass ich frühzeitig antreife. Je frühzeitiger, desto besser.
Jana Samsonova [00:10:50] Ich halte fest: Zwei Dinge, die ich auf jeden Fall mitnehme, ist das Thema Frühwarnsystem. Also möglichst früh schon an diese Themen denken. Und das andere ist: ja, dass man den Willen zur Veränderung weiterhin beibehält.
Adrian Bölingen [00:11:02] Das trifft es auf den Punkt. Genau.
Jana Samsonova [00:11:04] Wunderbar, Herr Bölingen, vielen Dank für das Gespräch und bis zum nächsten Mal bei Gute Geschäfte.
Adrian Bölingen [00:11:07] Ich bedanke mich.
Jingle [00:11:12] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.