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Zu jung für die Rente, zu alt für einen Kredit?
Gründer sind Mitte zwanzig, gut ausgebildet und starten nach dem Studium durch, so das Klischee. Tatsächlich entscheiden sich viele erst in der Mitte oder gegen Ende ihres Berufslebens für eine Gründung. Sie haben damit großen Erfolg – obwohl sie bei der Finanzierung oft auf Hindernisse stoßen.
Kaum jemand weiß besser, was es bedeutet zu kämpfen als Marion Schrimpf und Bernhard Krahl. Sie führen gemeinsam die Si-Tec GmbH. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt Produkte für Zahnarztpraxen und Dentallabore. Der Betrieb wächst, sie sind erfolgreich – bis Bernhard Krahl 2007 wortwörtlich der Schlag trifft: mehrfacher Schlaganfall, Not-OP, zehn Prozent Überlebenschance. Er schafft es und übersteht die kritische Phase auf der Intensivstation. Doch auch nach der Reha werde er dauerhaft pflegebedürftig sein, sagen die Ärzte.
Dass Bernhard Krahl heute, entgegen dieser Prognose, wieder eigenständig leben kann, Bücher über seine Geschichte schreibt und auf Bühnen darüber berichtet, verdankt er vor allem seiner Lebensgefährtin Marion Schrimpf. Sie wollte sich mit der medizinischen Aussage „austherapiert“ nicht zufriedengeben. „Aber ich habe damals erlebt, dass es über den Standard hinaus keine ausreichende Nachsorge für neurologische Patienten gab“, erinnert sie sich. Also packt sie es selbst an. Sie recherchiert, reist – und organisiert modernste Therapiemaßnahmen für ihren Partner. Etwa Trainings im Locomat, einem Roboter mit dessen Hilfe Patienten mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen in einem intensiven Training wieder laufen lernen, oder im Spacecurl, einem speziellen Gerät, in dem Krahl seine Rumpfmuskulatur stärkt und seine Koordination Schritt für Schritt neu erwirbt.
„Das Gesundheitssystem in Deutschland ist konsequent auf die Akut- und Frühbehandlung ausgerichtet. Die Rehabilitation hingegen und die begleitende ambulante Nachsorge, die insbesondere bei neurologischen Erkrankungen erfolgsentscheidend ist, werden sträflich vernachlässigt“, sagt Krahl heute. Und Schrimpf ergänzt: „Als es Bernhard nach vier Jahren wieder einigermaßen gut ging, haben wir beschlossen, dass wir die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, auch anderen Patienten zugänglich machen wollen.“ 2011 gründen sie gemeinsam ein zweites Unternehmen, die Ambulanticum GmbH. Ihr Ziel: ein ambulantes, interdisziplinäres Therapiezentrum für die Nachsorge von Schlaganfallpatienten und Menschen mit anderen neurologischen Erkrankungen zu schaffen, das auf modernste robotikassistierte Therapiemethoden setzt.
Neue alte Gründergeneration
Die Geschichte der Ambulanticum-Gründer ist eine besondere. Der Umstand, dass Menschen jenseits der 50 noch einmal ein neues Unternehmen aufbauen, ist es nicht. Zwar liegt das Durchschnittsalter von Gründern in Deutschland laut dem aktuellen KfW-Gründungsmonitor bei 36 bis 38 Jahren. Doch mehr als ein Viertel (28 Prozent) sind älter als 40 Jahre. Und mehr als jede sechste Firma (12 Prozent) geht mit einem Chef an den Start, der zwischen 50 und 64 Jahre alt ist.
Auch das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft (RKW) forscht seit mehr als zehn Jahren zu sogenannten Senior-Entrepreneuren. Als solcher gilt laut RKW-Definition bereits, wer seinen 45. Geburtstag hinter sich hat. „Aufgrund der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung in Deutschland ist damit zu rechnen, dass diese Altersgruppe eine wesentliche Rolle im Gründungsgeschehen spielen wird“, schreibt Noemí Fernández Sánchéz im Vorwort einer RKW-Studie aus dem Jahr 2018. Seitdem hat die deutsche Wirtschaft eine Pandemie und eine beispiellose Energiekrise erlebt, doch der Trend zu älteren Gründern dürfte ungebrochen sein. „Gründungen ab dem mittleren Alter werden nicht nur die Wirtschaft in Deutschland, sondern auch die anderer europäischer Länder in Zukunft stark prägen“, erwartet Fernández Sanchez. Nationen wie Norwegen, Finnland, Schweden, die Schweiz oder Israel haben den Wandel schon deutlicher vollzogen. Dort ist es laut dem Global Entrepreneurship Monitor 2022 genauso wahrscheinlich oder sogar wahrscheinlicher, dass ein 35- bis 64-Jähriger ein Unternehmen gründet, als dass dies ein 18- bis 34-Jähriger tut.
Schwierigkeiten bei der Startfinanzierung
Verglichen damit steht Deutschland noch am Anfang. Doch wenn die Jungen in der Gesellschaft immer weniger werden, müssen auch hierzulande zwangsläufig mehr Ältere Ideen und Innovationen vorantreiben. Vorausgesetzt, sie bekommen die Möglichkeit dazu. Denn viele ältere Gründer berichten von Schwierigkeiten bei der Startfinanzierung. Auch Schrimpf und Krahl stießen bei ihren Hausbanken zunächst auf taube Ohren. „Für die zählte nicht, dass wir viele Jahre mit Si-Tec erfolgreich zusammengearbeitet haben“, erinnert sich Schrimpf. „Sie empfanden unser Alter und Bernhards Erkrankung als zu großes Risiko.“ Hinzu kam, dass es für therapeutische Hightech-Geräte nur einen sehr kleinen Markt gibt – mit entsprechend geringen Weiterverkaufsmöglichkeiten, sollte Ambulanticum den Kredit nicht zurückzahlen können. Die Lösung für sie war schließlich Leasing. „Wobei wir auch dafür eine Patronatserklärung unterschreiben mussten, dass wir mit unserem Privatvermögen haften.“
„Die klassischen Finanziers sind in diesem Bereich eher zurückhaltend.“
Ralf Sange, Geschäftsführer von Gründer 50plus
„Die klassischen Finanziers, also Banken, sind in diesem Bereich eher zurückhaltend“, sagt auch Ralf Sange. Er ist Geschäftsführer von Gründer 50plus und berät Senior-Entrepreneure bei ihren Vorhaben. Zwar könne man oft davon ausgehen, dass ältere Gründer mehr berufliche Erfahrungen und vorhandene Netzwerke mitbringen. Auch verfügen sie über mehr Eigenkapital und mehr Sicherheiten, schließlich hatten sie auch schon mehr Zeit, Vermögen zu bilden. „Doch genau diese Zeit fehlt ihnen nun aus Sicht der Banken“, sagt Sange. Sie fürchten aufgrund des Alters kürzere Tilgungs- und Rückzahlungszeiten und damit höhere Ausfallrisiken. Das fällt besonders bei Förderdarlehen ins Gewicht. Diese haben oft eine Laufzeit von fünf bis zehn Jahren – die dann in einigen Fällen über das Renteneintrittsalter der Gründer hinausgehen würden.
Woher kommt das Geld?
Greifen Gründer auf Fremdkapital zurück, stammt es ...
- ... von Verwandten, Freunden und Bekannten.
45 % (alle Gründer)
8 % (Gründer 45+)
- ... aus mittel- und langfristig rückzahlbaren Bankkrediten.
31 % (alle Gründer)
21 % (Gründer 45+)
- ... aus öffentlichen Fördermitteln von Bund, Ländern und Kommunen.
18 % (alle Gründer)
13 % (Gründer 45+)
- ... als Zuschuss von der Bundesagentur für Arbeit.
11 % (alle Gründer)
6 % (Gründer 45+)
- ... aus alternativen Finanzierungsquellen wie Crowdfounding.
k. A. (alle Gründer)
1 % (Gründer 45+)
- ... aus anderen Quellen wie z. B. Beteiligungskapital.
9 % (alle Gründer)
k. A. (Gründer 45+)
Quelle: Kompetenzzentrum, Studie: Entrepreneurship 2018
Zunehmend soziale Motive
Eigens auf Senior-Entrepreneure zugeschnittene Finanzierungs- oder sogar Förderangebote gibt es nicht. Auch spezialisierte Beratungsangebote sind rar, Ralf Sange ist mit seinem Angebot eine seltene Ausnahme. Seit 2012 unterstützt er ältere Gründer, nachdem er lange als Outplacement-Berater gearbeitet hat. „Das war eine Zeit, in der es in Deutschland eine hohe Arbeitslosigkeit gab und viele ältere Menschen, gut ausgebildet, aber für Unternehmen relativ teuer, entlassen wurden“, erinnert er sich. Für einige von ihnen war eine Gründung die Chance, wirtschaftlich an das vorherige Level anzuknüpfen.
Inzwischen beobachtet Sange bei seinen Klienten eine andere Motivation. Die meisten älteren Gründer wollen nicht nur ihr Einkommen aufbessern, sondern ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben. „Das sind Menschen, die sagen: Ich habe es in meinem Berufsleben so weit gebracht. Jetzt möchte ich das, was ich kann, in eine soziale oder sinnstiftende Tätigkeit einbringen.“ Sie verfolgen Geschäftsmodelle, deren Erfolg nicht nur in Umsatz und Gewinn gemessen wird – was ihre Finanzierung abermals erschwert. Immerhin: „Die Social-Business-Szene in Deutschland wächst und es gibt inzwischen einige Inkubatoren und Social-Impact-Investoren, die für solche Gründungen auch als Geldgeber infrage kommen“, sagt Sange.
Marion Schrimpf und Bernhard Krahl haben es schließlich mit einer vergleichsweise konventionellen Finanzierung und immensem persönlichen Engagement geschafft. Ein großer Durchbruch war, dass sie durchsetzen konnten, dass viele der im Ambulanticum angebotenen Therapieleistungen von Krankenkassen und Berufsgenossenschaften übernommen werden. Elf Jahre nach der Gründung arbeiten mehr als 40 Therapeuten in der Einrichtung. Die Patienten kommen nicht nur aus ganz Deutschland nach Herdecke, sondern aus der ganzen Welt. Und was die Geldgeber besonders freuen dürfte: „Wir haben einen auskömmlichen Cashflow“, sagt Bernhard Krahl und lächelt. Zufriedengeben will das Paar sich damit allerdings nicht. Ihr Ziel ist es, weitere ambulante Versorgungszentren in ganz Deutschland aufzubauen. Unterstützer und Interessenten sind jederzeit willkommen. „Es ist kein Geschäftsmodell, das horrende Renditen verspricht, aber wir sind hundertprozentig überzeugt davon, dass es das Richtige ist“, sagt Schrimpf.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke