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Zu spät und zu langsam
Sie hat es wieder getan: die EZB hat den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte (75 Basispunkte) erhöht. In der Sitzung im Juli waren es noch vorsichtige 50 Basispunkte, im September dann der vielfach geforderte große Schritt von 1,25 Basispunkten, um die der Leitzins von der Nulllinie aus gestiegen war.
Alle rechnen nun damit, dass in den Sitzungen im Oktober und Dezember zwei weitere kleine oder große Schritte getan werden. So wäre zum Jahresende zwei Prozent Leitzins erreicht – der Versuch der Zentralbank der galoppierenden Inflation Einhalt zu gebieten. Nicht nur im Baltikum, sondern auch in Deutschland waren die Teuerungsraten im Oktober zweistellig. Dabei müssen sich die Europäer den Vergleich mit der amerikanischen Zentralbank Fed gefallen lassen, die mit ähnlichen Inflations-Auslösern kämpfen muss, aber deutlich früher reagierte und die Zinsen auf ein höheres Niveau gebracht hat.
Finanzierungsprogramm für Staaten
Die Europäische Zentralbank hat im Juli ihr Ankaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen eingestellt. Deren Programme, die teilweise bereits 2015 auf den Weg gebracht wurden, sollten Staaten helfen, die wegen ihrer schlechten Bonität ihre Verschuldung auf den Finanzmärkten kaum noch decken konnten, vor dem Bankrott zu bewahren. So kaufte die EZB Staatsanleihen im Gesamtwert von 4,3 Bio. Euro auf. Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat die Struktur dieses gewaltigen Anleihen-Kaufprogramms untersucht und zeigt interessante Ergebnisse mit Blick auf die eigentlich untersagte fiskalische Unterstützung einzelner europäischer Staaten auf. Für die gesamte Eurozone hat die Zentralbank 32 Prozent der gesamten Staatsschulden der Länder aufgekauft. Das ZEW berichtet, dass dieser Anteil in der Größe von 32 Prozent nicht weiter gestiegen sei, da man in Sorge war, weil ein Investor mit einem Anteil in Höhe von einem Drittel in möglichen Umschuldungsverhandlungen ein Vetorecht besitzt. Das ZEW schreibt: „Die rechtliche Sorge ist, dass ein Überschreiten dieser Grenze die EZB noch näher in den Graubereich der verbotenen monetären Staatsfinanzierung bringt“. Die Untersuchung zeigt auch, dass insbesondere Anleihen aus Italien und Spanien von der EZB gehalten wurden. Diese Übergewichtung war dann im Herbst 2021 wieder auf ein normales Maß zurückgefahren worden, um dann aber danach wieder deutlich zuzunehmen. Insgesamt zeigen sowohl die Erhöhungen beim Zins als auch das Zurücknehmen des Kaufprogramms, dass die EZB wieder auf solidere Pfade zurückkehrt – auch wenn es dazu erst des Drucks durch die Inflation bedurfte.
Und jetzt die Rezession?
Ein Anlass zur Freude ist diese Normalisierung aber nicht. Im Gegenteil: Wir haben es nicht mit einer „überhitzten“ Volkswirtschaft und Konjunktur zu tun, sondern wir bewegen uns in Europa und in den USA gleichermaßen am Rande der Rezession. Es besteht Anlass zur Befürchtung, dass die höheren Zinsen das gesamtwirtschaftliche Minus noch antreiben. Es sind eben nicht nur die Preise für Energie und für Lebensmittel, die deutlich zunehmen. Daneben steht eine Verknappung im Zeichen unterbrochener Lieferketten und Embargos, die als politisches Instrument nicht nur gegen Russland eingesetzt werden, sondern auch gegen andere Staaten. Und noch ein weiteres Risiko droht: Es könnte in Deutschland zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen, die dem aktuell noch intakten Arbeitsmarkt massiv schaden würde. In der Vergangenheit folgten auf steigende Teuerungsraten entsprechend höhere Tarifabschlüsse. Die KfW macht deutlich, dass die häufigeren und höheren Lohnabschlüsse auch dadurch angetrieben werden, dass sich durch den stabilen Arbeitsmarkt und den Fachkräftemangel die Position der Arbeitnehmer deutlich verbessert hat. Die KfW weist weiter darauf hin, dass in einigen Mitgliedsländern der EU im Niedriglohnbereich Lohnanhebungen beschlossen worden sind, in Deutschland der neue Mindestlohn.
Entscheidend für den weiteren Verlauf der Konjunktur im Zusammenhang mit den Zinserhöhungen dürfte aber sein, dass es für Unternehmen wie für Konsumenten deutlich teurer wird, Schulden aufzunehmen. Dazu kommen diffuse und konkrete Zukunftsängste, die Unternehmensinvestitionen verhindern und bei Verbrauchern den Konsum drosseln. Gerade eben erst nach der Corona-Pandemie erholt, drohen Binnen- wie Außenkonjunktur auf der Stelle zu treten.
Keine Frage, die Erhöhung der Leitzinsen und das Einstellen des Kaufs von Anleihen war dringend geboten. Fraglich aber ist, ob diese Maßnahmen die bereits bestehenden rezessiven Tendenzen verstärken und Europa in eine tiefe wirtschaftliche Flaute gerät. Die Politik der EZB ist eine Gratwanderung, ein Absturz nicht ausgeschlossen.
Quellen: KfW, ZEW