Insolvenzen in Deutschland, 1. Halbjahr 2020
Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland sind rückläufig - trotz der Corona-Krise. Warum dieser Effekt gerade jetzt kein positives Zeichen für ein Gesunden der Wirtschaft ist und welche Ursachen der Rückgang hat, erläutert die Creditreform Wirtschaftsforschung.
Sinkende Insolvenzzahlen verschleiern die tatsächliche Lage der Unternehmen
Trotz des massiven Konjunktureinbruchs im Zuge der Corona-Pandemie ist die Zahl der Insolvenzen bislang nicht gestiegen. Im Gegenteil: Im 1. Halbjahr 2020 verringerte sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,2 Prozent auf 8.900 Fälle (1. Hj. 2019: 9.690). Das Insolvenzgeschehen als Seismograph der ökonomischen Entwicklung hat sich damit von der tatsächlichen Situation der deutschen Unternehmen entkoppelt.
Ursächlich dafür dürften vor allem die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen in der aktuellen Krise sein. Die von der KfW bereitgestellten Kreditmittel, die Zuschüsse für Selbstständige und kleine Gewerbetreibende sowie die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollten einen akuten Anstieg der Pleiten, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, verhindern und die Insolvenzzahlen stabil halten. Die tatsächlich eingetretene Abnahme der Insolvenzen zeigt nun deutlich, dass der beabsichtigte Effekt der Maßnahmen zwar einerseits erreicht, jedoch zugleich insoweit verfehlt wurde, als offenbar auch solche Unternehmen vorläufig der Insolvenz entgangen sind, die – hätte es die Viruskrise nicht gegeben – den Gang zum Insolvenzgericht angetreten hätten. Hier hat es möglicherweise unerwünschte Mitnahmeeffekte gegeben.
Wie noch hinzukommt, ist bei zahlreichen Insolvenzgerichten die Arbeitsproduktivität coronabedingt zurückgegangen. Dies hat zu erheblichen Bearbeitungsrückständen geführt. Auch dieser Umstand dürfte zu dem Rückgang der Insolvenzverfahren beigetragen haben.
Insolvenzwelle nur vertagt
In Anbetracht dessen geht die Creditreform Wirtschaftsforschung weiterhin davon aus, dass sich mit dem Auslaufen der bis September 2020 befristeten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Zahl der Verfahren erheblich erhöhen wird. Eine solche Insolvenzwelle wäre nur dann abzuwenden, wenn es den betroffenen Unternehmen gelänge, bis zu diesem Zeitpunkt die Krisenfolgen zu überwinden und sich wieder zu stabilisieren. Ob ein solches V-Szenario (nach dem jähen Absturz folgt eine ebenso rasche Erholung) für die Breite der betroffenen Unternehmen realistisch ist, bleibt in Anbetracht der Schwere der Rezession zu bezweifeln.
Mehr Großunternehmen betroffen
Die Gläubigerschäden beliefen sich im 1. Halbjahr auf rund 12,0 Mrd. Euro, wobei jeder Insolvenzfall die Gläubiger im Schnitt mehr als 1,3 Mio. Euro kostet. Das ist der höchste Wert der vergangenen Jahre und hängt mit der Zunahme von größeren Unternehmenspleiten zusammen. Zu den prominenten Beispielen dieses Jahres zählen die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, die Textilhändler AppelrathCüpper und Hallhuber, der Modehersteller Esprit und die Restaurantketten Vapiano und Maredo.
Verbraucherinsolvenzen weiter rückläufig
In den ersten sechs Monaten verringerte sich die Zahl der Privatinsolvenzen um 6,4 Prozent auf 30.800 (1. Hj. 2019: 32.920). Allerdings hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile spürbar verschlechtert, so dass bei der hohen Überschuldungsquote der deutschen Verbraucher im weiteren Jahresverlauf mindestens mit einer Verlangsamung dieses Trends zu rechnen ist.
Verarbeitendes Gewerbe geschwächt
Die vorliegenden Daten lassen außerdem Rückschlüsse auf die Verfassung der Hauptwirtschaftsbereiche zu: Bei Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe gab es aufgrund der seit 2018 eingetretenen Konjunkturschwäche keinen Rückgang der Pleiten (1. Hj. 2019/2020: jeweils 710 Fälle). In den übrigen Wirtschaftssektoren verringerten sich die Insolvenzzahlen dagegen deutlich: im Baugewerbe um 9,4 Prozent auf 1.260 Fälle und im Handel um 10,2 Prozent auf noch 1.840 Insolvenzen.
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