Management

Fachkräfte oder Führung: Was fehlt wirklich?

Einer der häufigsten Gründe für eine Kündigung ist Stress mit dem Chef. Und wenn die Chemie beim Start nicht stimmt, fällt es schwer, Mitarbeiter überhaupt erst zu gewinnen. Warum Führungskompetenz als Rezept gegen den Fachkräftemangel noch viel zu selten wahrgenommen wird.

Deutschland hat ein Fachkräfteproblem: Es fehlen qualifizierte Mitarbeiter – aktuell sind es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft mehr als eine halbe Million. Deutschland hat aber auch ein Führungskräfteproblem: Vielen Unternehmen mangelt es an kompetenten Führungskräften, denen es gelingt, die einmal gewonnenen Talente zu motivieren und zu halten. Nach einer repräsentativen Onlineumfrage des Berufsnetzwerks Xing aus dem Jahr 2023 unter 1.000 Beschäftigten verlässt etwa jede zweite Fachkraft das Unternehmen innerhalb eines Jahres, weil sie unzufrieden mit ihrer Führungskraft ist.

Für Ulrike Petruch ist dieses Umfrageergebnis keine Überraschung. In ihrer Laufbahn hat die Geschäftsführerin der Ammerländer Wohnungsbau-Gesellschaft mit Hauptsitz in Westerstede schon oft Vorgesetzte erlebt, die zu sehr auf sich fokussiert waren, es nicht verstanden, ihre Mitarbeiter wertschätzend zu behandeln und ihnen mit Vertrauen zu begegnen. Petruchs Führungsstil ist seit ihrem Start bei der Ammerländer Wohnungsbau-Gesellschaft vor elf Jahren ein ganz anderer: Sie begegnet jedem auf Augenhöhe und setzt auf die Prinzipien „schützen und stützen, fördern und fordern, ohne zu überfordern“. Bewährte Mittel für die wertschätzende Unternehmenskultur sind dabei ein Führungskreis, der alle 14 Tage stattfindet, sowie die monatliche Teamrunde: „An dieser Runde nimmt vom Azubi über den Hausmeister bis zum Prokuristen jeder teil. Dabei werden die Themen besprochen, die unseren 26 Mitarbeitern an den sechs Standorten in Niedersachsen wichtig sind und die sie zuvor mit wenigen Sätzen in eine gemeinsame Excel-Liste eintragen“, erklärt Petruch. 

Einige der ehemaligen Azubis im Unternehmen sind heute Führungskräfte. „Seit meinem Eintritt vor elf Jahren in das Unternehmen hatten wir so gut wie keine Fluktuation“, freut sich Petruch. Der Zusammenhalt ist so gut, dass die Mitarbeiter bei Problemen in den vermieteten Objekten in einer WhatsApp-Gruppe auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten selbst untereinander regeln, wer sich darum kümmert.

Wertschöpfung durch Wertschätzung

Damit gehören die Arbeitnehmer von Ammerland Wohnungsbau zu den 14 Prozent, die sich laut „Engagement Index Deutschland 2023“ des Marktforschungsinstituts Gallup „hoch gebunden“ an ihr Unternehmen fühlen, sich stark mit den Zielen ihres Betriebs identifizieren und diese mit hoher Motivation verfolgen. Das Magazin „Focus Business“ hat das Wohnungsbauunternehmen sogar auf die Empfehlungsliste der Top-Arbeitgeber 2025 im Mittelstand gesetzt. Die Geschäftsführerin will sich jedoch nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern setzt auf regelmäßige Coachings. „Fortbildung ist Pflicht in unserem Unternehmen“, sagt sie. „Das gilt für die Azubis genauso wie für die Führungskräfte.“

Dass die weichen Kompetenzen, die sogenannten Soft Skills, auf der Führungsebene in Unternehmen immer wichtiger werden, um Fachkräfte zu binden, beobachtet auch Frank Firneisen. Er ist nicht nur Vertriebsleiter bei Creditreform Oldenburg, sondern hat sich parallel zum systemischen und gestalttherapeutischen Coach ausbilden lassen und steht Mittelständlern mit Trainings und Coaching im Bereich Führungskultur und Führungskräfteentwicklung zur Seite. Sein Mantra dabei: „Wertschöpfung durch Wertschätzung“. „Führung ist keine Sackgasse, kein Ist-Zustand, der ewig anhält“, sagt Firneisen. „Führungskräfte müssen sich weiterentwickeln, um dauerhaft attraktive Arbeitgeber zu sein.“

Vor allem die Manager der Generation Z erkennen, dass sie bei ihrem Führungsstil alle Mitarbeiter mit Vertrauen, Wertschätzung und Respekt behandeln müssen. Das beinhaltet auch, dass sie lernen, besser zu delegieren und zu kommunizieren. „Gerade in Zeiten von Remote Work und virtuellen Arbeitsmodellen müssen sie eine vernünftige, transparente und kompetente Kommunikation hinbekommen“, sagt der Coach.

Neue Anforderungen an Führung

Klar ist: Führungskräfte müssen ihren Stil an die sich wandelnde Arbeitswelt anpassen. Neue Trends wie Homeoffice sowie mobiles und virtuelles Arbeiten, flexible Arbeitszeitmodelle und die junge Generation Z mit ihren Fähigkeiten und Vorstellungen verändern die Arbeitswelt sowie die Art und Weise der Zusammenarbeit. Damit wandeln sich auch die Anforderungen an die Führungskräfte.

„Autoritäre Führungsstile oder Führung, die sich nur auf Fachlichkeit und Leistung zurückzieht, reicht zur Bindung und Wertschätzung von Fachkräften heute nicht mehr aus“, weiß Colette Rückert-Hennen, Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektorin beim Energieversorger EnBW mit Sitz in Karlsruhe. „Fachkräfte erwarten modernes Leadership. Bei uns bedeutet das eine menschenzentrierte und zukunftsorientierte Führungsphilosophie. Und das heißt, dass wir kontinuierlich an den Führungskompetenzen arbeiten und uns als Führungsteam weiterentwickeln“, sagt sie. EnBW hat den Anspruch, für seine Mitarbeiter der beste Arbeitgeber zu sein. „Führungskräfte sind dabei Schlüsselfiguren. Modernes Leadership, Wertschätzung und Feedback sind wesentliche Aspekte. Wichtig ist auch das Team: Gibt es ein Wir-Gefühl, wie ist die Zusammenarbeit, wie ist das Miteinander? Deswegen legen wir Wert auf Teambuilding, die notwendige Flexibilität für die Mitarbeitenden und eine positive Einstellung zu Diversity“, sagt die Arbeitsdirektorin.

EnBW bietet umfangreiche Weiterentwicklungsmöglichkeiten an und betreibt dafür eine digitale Plattform mit über 3.000 Angeboten sowie zahlreiche Programme wie einen Entwicklungsdialog, das Mentoring-Programm und die Leadership Development Journey zur Weiterentwicklung. „Eine gute Führungskraft braucht Offenheit für flexible Rahmenbedingungen und muss dem Team ermöglichen, seine bestmögliche Leistung zu entfalten. Gleichzeitig muss sie eine positive und motivierende Kultur schaffen, in der Feedback selbstverständlich ist“, sagt Rückert-Hennen. Im besten Fall seien Führungskräfte die Coaches ihrer Fachkräfte.

Kommen, um zu bleiben

Moderne Führung findet man oft in Technologieunternehmen, wie der 1996 gegründeten MVTec Software GmbH, einem Spin-off der Technischen Universität München und des Bayerischen Forschungszentrums für wissensbasierte Systeme (FORWISS). MVTec zählt zu den international führenden Herstellern von Software für die industrielle Bildverarbeitung und beschäftigt weltweit rund 300 Mitarbeiter, 250 davon am Hauptsitz München. „In unserer Branche mit den neuen Technologien 3D-Vision und Embedded Vision ist die Faszination für das Produkt sowohl bei den Entwicklern als auch bei den Führungskräften so groß, dass viele einfach ein Teil davon sein wollen. Unsere Mitarbeiter sind mit Herzblut bei der Sache und ziehen an einem Strang. Die meisten kommen, um zu bleiben“, berichtet Selina Hache, Head of Human Resources. Die Fluktuationsquote liegt zwischen drei und 3,5 Prozent – ein extrem geringer Wert. Im Schnitt liegt er in der Softwarebranche bei 13 Prozent oder mehr.

Zur Mitarbeiterzufriedenheit trägt auch die Führungskultur bei, zu der die Selbstreflexion der Führungskräfte ebenso gehört wie das Mentoring, die Vernetzung und die kollegiale Fallberatung, bei der sich Führungskräfte gegenseitig unterstützen. „Die Führungskräfte wiederum sorgen dafür, dass Mitarbeiter schnell in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Das ist für mich der Schlüssel zum Erfolg und hat natürlich mit Vertrauen, Zutrauen und Loslassen können zu tun“, sagt Hache.

Lebenslanges Lernen

Als einer der besten 100 Arbeitgeber Deutschlands wurde im März die Haufe Group in Freiburg im Rahmen des bundesweiten Great-Place-to-Work-Wettbewerbs „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2024“ ausgezeicnet. Wegen ihrer Unternehmenskultur sowie ihrer attraktiven Arbeitsbedingungen rangiert sie auf Platz drei. Was ist das Erfolgsrezept des führenden B2B-Anbieters für integrierte Unternehmens- und Arbeitsplatzlösungen? „Neben exzellenten Arbeitsbedingungen, in denen sich unsere Mitarbeitenden aktiv einbringen und weiterentwickeln können, fördern wir auch eigenverantwortliches Denken und Handeln“, erklärt Birte Hackenjos, CEO der Haufe Group.

Ein wertschätzendes Miteinander ist ein wichtiger Grundstein der Haufe-Unternehmenskultur. Ein besonderes Augenmerk legt Hackenjos auf das Thema Führung: „Heute geht es bei Führung hauptsächlich darum, Beziehungen zu Menschen aufzubauen und strategische Klarheit zu schaffen. Dafür braucht es Menschen, die sich der veränderten Anforderungen bewusst sind, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln – und die gerne mit Menschen zusammenarbeiten“, erklärt sie.

Wichtige Bestandteile der Führungskultur sind eine transparente Kommunikation, regelmäßige Perspektivengespräche sowie die Förderung der Mitarbeiter zu eigenständigem Handeln. Die hauseigene Haufe Akademie hält dafür ein breites Weiterbildungsangebot für alle vor. Das wissen die Fachkräfte zu schätzen und bleiben dem Unternehmen treu: Die Fluktuationsrate liegt bei gerade einmal 3,3 Prozent. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit beträgt acht Jahre.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Iris Quinn
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