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Wenn der digitale Pulsschlag stoppt
Wir kaufen online ein, buchen Reisen im Internet, überweisen Geldbeträge von zu Hause aus – doch was passiert mit unseren Daten nach dem Tod? Höchste Zeit, sich um unser virtuelles Erbe zu kümmern.
Der Fall sorgte im Jahr 2015 deutschlandweit für Aufsehen: Im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße wurde eine 15-jährige Schülerin von einer einfahrenden U-Bahn erfasst und starb. Die Eltern quälte die Frage: War es ein Unfall oder Selbstmord? Sie hofften, die Antwort in dem sozialen Netzwerk Facebook zu finden, die Zugangsdaten zum Account ihrer Tochter lagen ihnen vor. Dieser war jedoch schon – von bis heute unbekannter Stelle – in den „Gedenkzustand“ versetzt worden, sodass die Eltern keinen Zugriff auf den Mailverkehr der Verstorbenen hatten. Facebook lehnte diesen aus Datenschutzgründen ab. In erster Instanz erhielten die Eltern Recht, in zweiter Instanz das Internetunternehmen. Vergangenes Jahr hob der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts Berlin auf: Digitale Inhalte seien nicht anders zu behandeln als analoge. Das bedeutet, eine E-Mail etwa wird genauso vererbt wie ein Papierbrief.
Kein Überblick im Webseiten-Dschungel
Hachem Saddiki, Statistiker und Doktorand der University of Massachusetts, hat analysiert, dass die Zahl der toten Facebook-Mitglieder bis zum Jahr 2098 die der lebenden übersteigen wird. Allein diese Statistik zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns zu Lebzeiten mit unserem digitalen Nachlass auseinandersetzen. Was die wenigsten machen. Eine Yougov-Umfrage im Auftrag der E-Mail-Anbieter Web.de und GMX ergab, dass sich gerade einmal acht Prozent der Nutzer darüber Gedanken machen, was mit ihren Onlinedaten im Todesfall geschieht.
Dabei sind wir mit allen zehn Fingern im Digitalzeitalter angekommen. In Deutschland surfen 87 Prozent aller Menschen ab zehn Jahren im Internet. Unsere Welt wird immer virtueller: Geburtstagsgeschenke werden über Amazon gekauft, Hotels bei Booking.com gebucht, die Liebe des Lebens bei Parship gesucht, das Schnäppchen bei Ebay ersteigert. Im Webseiten-Dschungel verlieren viele Menschen den Überblick, bei welchen Anbietern sie Konten haben und wie die Zugangsdaten für diese lauten.
Für die Erben ist der Verlust eines geliebten Menschen schlimm genug. Zu eruieren, welche digitalen Spuren er hinterlassen hat, nimmt Wochen in Anspruch. Das stellt eine zusätzliche Belastung dar. „Das größte Problem bei digitalen Nachlässen ist, dass Hinterbliebene oft keine Ahnung vom digitalen Leben eines Verstorbenen haben“, sagt Dennis Schmolk. Gemeinsam mit Sabine Landes hat er 2015 das unabhängige Informationsportal digital-danach.de zu digitalem Nachlass und Online-Trauerkultur gegründet. Die beiden haben außerdem ein Handbuch für Hinterbliebene herausgegeben.
„Im Gegensatz zum klassischen analogen Erbe sieht man das digitale nicht“, sagt Schmolk. „Es landen keine Briefe im Briefkasten, sondern in einem Mail-Account, auf den keiner Zugriff hat.“ Es gibt auch kein Papier-Sparbuch, sondern eine Bitcoin-Wallet-Datei. Und kein Grundbuch, in dem man nachsehen kann, welche Websites dem Verstorbenen gehörten. Schmolk stellt fest, dass verstärkt nach spezialisierten Dienstleistern gesucht wird: nach Datenforensikern, die Dateien von den Rechnern Verstorbener bergen helfen; nach Anwälten, die sich sowohl mit Erbrecht als auch mit Technologie auskennen; nach Bestattern, die Hinterbliebenen helfen.
„Vorsorge ist der einzige Weg, um Angehörige und Erben zu entlasten“, sagt Experte Schmolk. Dazu gehört es, sich zu Lebzeiten regelmäßig einen Überblick über seine Onlineaktivitäten zu verschaffen, im Postfach zu kontrollieren, welche Newsletter man abonniert hat, bei wem Bestellungen aufgegeben, an wen Geld überwiesen wurde. Und sich auf Seiten, deren Service man nicht mehr nutzt, abzumelden. Schmolk rät zur gewissenhaften Pflege eines Passwortmanagers (siehe Kasten) oder zu einem „Datentagebuch“, in dem man festhält, welche Software und Dienste man benutzt.
Schriftliche Vollmacht erteilen
Auch die Verbraucherzentrale mahnt: „Legen Sie rechtzeitig fest, was mit Ihren Konten und Daten nach dem Tod passieren soll.“ So könne man beispielsweise schon zu Lebzeiten verfügen, ob in einem sozialen Netzwerk ein Gedenkstatus eingerichtet wird oder das Profil gelöscht werden soll. Das Institut empfiehlt, eine Person mit allen Aufgaben rund ums digitale Erbe zu betrauen und eine schriftliche Vollmacht zu erteilen. Beim digitalen Testament rät Schmolk: „So aufschreiben, dass derjenige, der sich darum kümmern soll, die Dokumentation versteht.“ Sein wichtigster Tipp: „Unbedingt mit allen Beteiligten reden! Dabei fallen Fehler und Ungenauigkeiten auf und alle sind besser vorbereitet.“
Gut vorbereitet
Tipps für den digitalen Nachlass
Kontoinaktivität-Manager
Zu Lebzeiten können Google-Nutzer bis zu zehn Personen benennen, die informiert werden, wenn binnen drei bis 18 Monaten nicht auf das Konto zugegriffen wird. Sie haben im Anschluss drei Monate Zeit, Inhalte herunterzuladen, danach wird das Google-Konto geschlossen. Der Nutzer kann auch bestimmen, welche Daten an Dritte herausgegeben werden oder ob das Konto bei Inaktivität direkt gelöscht werden soll.
Nachlass-Set von Stiftung Warentest
Die Stiftung Warentest bietet ein Nachlass-Set an, in dem erklärt wird, wie ein Testament korrekt verfasst wird – samt digitalem Nachlass. Es enthält Formulare zum Heraustrennen sowie Ausfüllhilfen.
Vorlagen der Verbraucherzentrale
Muster-Vollmacht und Muster-Liste helfen, den digitalen Nachlass zu regeln.
Passwortmanager
Anbieter wie Dashlane, 1Password oder Lastpass sammeln die Zugangsdaten sämtlicher Konten und Newsletter. Das Passwort für den Passwortmanager sollte einer Vertrauensperson mitgeteilt oder beim Anwalt hinterlegt werden. Fürs Onlinebanking gilt: Beim Passwortmanager nie sämtliche Zugangsdaten speichern.
Wer erbt Daten und Konten?
Die erbrechtliche Regelung
Am 12. Juli 2018 hat der Bundesgerichtshof eine Leitentscheidung getroffen: Auch das Facebook-Konto ist vererbbar; Apple muss den Angehörigen ebenfalls Zugang zur iCloud gewähren.
Lokal gespeicherte Daten
In die Erbmasse fallen sämtliche digitale Daten, die auf einem lokalen Datenträger gespeichert sind. So gehen etwa ein Laptop, PC oder USB-Sticks automatisch in den Besitz der Erben über – inklusive Mails, Fotos, Videos, Blogeinträgen.
Das Testament
Sollen diese Daten einer Person vermacht werden, die nicht den lokalen Datenträger erbt, muss dies in das Testament aufgenommen werden. Wenn die Erben nur zu einem Teil der Daten Zugang haben sollen, ist es empfehlenswert, einen digitalen Willensvollstrecker einzusetzen. Auch online geschlossene Verträge gehen auf die Erben über – inklusive sämtlicher Pflichten.
Wenn keine Vereinbarung vorliegt
Was Hinterbliebene tun können, wenn der digitale Nachlass nicht geregelt ist:
Facebook
Angehörige können beantragen, dass das Konto des Verstorbenen in den Gedenkzustand versetzt oder gelöscht wird. Im Gedenkzustand können sie noch einen letzten Post in der Chronik absetzen und das Titel- und Profilbild ändern. Auch eingehende Freundschaftsanfragen können beantwortet werden.
Voraussetzungen: Sterbeurkunde, Nachweis des Antragstellers, dass er oder sie ein direktes Familienmitglied oder Nachlassverwalter ist.
Instagram
Das Konto kann auf Antrag entfernt werden oder in einen Gedenkzustand versetzt werden, anschließend können keine Änderungen mehr vorgenommen werden.
Voraussetzungen: Geburts- und Sterbeurkunde, Erbschein, der zeigt, dass der Antragsteller rechtmäßiger Vertreter ist.
LinkedIn
Das Profil kann per Formular gelöscht werden.
Voraussetzungen: Angaben zum Todesdatum, Verweis zu einer Todesanzeige, Name des Unternehmens, für das der Verstorbene zuletzt gearbeitet hat.
Webseiten-Einträge
Um Anfragen, Kontaktaufnahmen oder Glückwünsche zum Geburtstag zu vermeiden, ist es ratsam, auch Einträge auf Webseiten oder die Homepage des Verstorbenen zu löschen. Erste Anlaufstelle ist der Seitenbetreiber beziehungsweise der Hosting-Provider.
Einträge bei Google
Google bietet ein Datenschutzformular an. Die Angehörigen müssen sich ebenfalls ausweisen und Gründe nennen, warum ein Eintrag entfernt werden soll.
Onlinebanking
Stirbt ein Angehöriger, sperrt die Bank das Konto des Verstorbenen, bis die Angehörigen sich mit einem Erbschein ausweisen können. Auch für die Kreditkarte ist ein Erbschein notwendig, um den Vertrag mit dem entsprechenden Institut aufzulösen.
Quelle: Magazin „Creditreform“
Text: Tina Bremer