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Zero-Emission possible
Klimaschutz geht alle an. Auch kleine und mittlere Firmen investieren in umweltfreundliche Technologien. Manche taugen als Vorbilder für andere. Aber der Teufel steckt im Detail.
Als die Brauerei Neumarkter Lammsbräu in den 1970er-Jahren bei ihren Lieferanten für ökologischen Landbau warb, gab es so manche Klatsche. „Das war härteste Überzeugungsarbeit, weil viele nicht wussten, was das ist“, sagt Johannes Ehrnsperger, Alleingesellschafter des bayerischen Mittelständlers.
Die Maxime der Firma: Umweltschutz nicht nur als Ziel zu definieren, sondern ihn auch zu leben. „Wenn man langfristig Erfolg am Markt haben will, muss man bessere Produkte als die Wettbewerber haben. Das fängt mit besseren Rohstoffen an. Und die gibt es im umweltfreundlichen Ökolandbau“, sagt Ehrnsperger. Deshalb hat seine Familie die Lieferanten der Region sanft gedrängt, auf synthetischen Dünger und Pflanzenschutzmittel zu verzichten – und damit auch einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Denn ökologische Betriebe setzen laut einer Studie der Technischen Universität München im Schnitt 40 Prozent weniger Energie pro Hektar ein als konventionelle Betriebe und emittieren entsprechend weniger CO2 pro Fläche. Der Effekt beruht vor allem auf dem Verzicht auf synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel, deren Produktion und Ausbringung das Klima belasten.
Klimaschutz in Unternehmen – dieses Megathema hat viele Facetten. Die einen investieren Millionen Euro und stellen Produktion und Lieferketten um, die anderen bewerben Carsharing oder geben Mitarbeitern finanzielle Anreize, Bus und Bahn zu fahren. Kleckern oder klotzen, welcher Weg ist der richtige? Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Wohl aber einen Konsens, dass etwas passieren muss.
Gerade Familienunternehmen wie die Neumarkter Lammsbräu zeichnen sich dadurch aus, dass sie an die Zukunft denken. An ihrer Spitze stehen Unternehmer, deren Interesse nicht kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolg ist, sondern ein nachhaltig aufgestelltes Unternehmen, das die nächste Generation weiterführen kann. Die Initiative „Entrepreneurs for Future“ stellt sich deshalb demonstrativ hinter die Klimaschutzproteste der Fridays-for-Future-Bewegung. Mehr als 2.800 Unternehmer, Selbstständige und Gründer haben eine Stellungnahme der Initiative unterschrieben, in der sie sich für eine schnelle Energie- und Mobilitätswende aussprechen, mehr Kreislaufwirtschaft sowie eine wirksame und planbar steigende CO2-Bepreisung für alle Sektoren fordern. Ähnliche Ziele verfolgen die „Leaders for Climate Action“, ein Zusammenschluss von rund 100 deutschen Digitalunternehmen, darunter Flixbus, MyMuesli, Zalando und MyToys. Und sogar Konzerne und Industrie scheinen bereit zu sein für mehr Klimaschutz. Die unter anderem von Industriekonzernen wie Volkswagen, Thyssenkrupp und Siemens unterstützte Stiftung 2 Grad, veröffentlichte Mitte September ein Positionspapier, in dem sie die Politik auffordert, noch in dieser Legislaturperiode eine realistische Bepreisung von CO2-Emissionen über alle Sektoren hinweg einzuführen. Energie- und emissionsintensives Wirtschaften muss teurer werden, so das Argument, damit Investitionen in kohlenstoffarme Infrastruktur, Technologien und Produkte attraktiver werden.
Als erstrebenswerter Goldstandard gilt, wenn Unternehmen gänzlich klimaneutral wirtschaften. Das bedeutet, dass durch ihre Produkte oder Dienstleistungen die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht wird. Eine gute Sache – auf den ersten Blick. Eine komplizierte auf den zweiten. Denn CO2-Ausstoß ist nicht gleich CO2-Ausstoß. Grundsätzlich unterscheiden Wissenschaft und Klimamanagement drei Arten: Unter Scope 1 sind die direkten Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe zusammengefasst. Unter Scope 2 versteht man indirekte Emissionen, die sich aus eingekaufter Energie, also Strom oder Fernwärme, ergeben. Und Scope 3 fasst alle indirekten Emissionen zusammen, die durch gekaufte Waren oder Dienstleistungen entstehen, zum Beispiel durch Reisen.
Wachstum vs. Klimaschutz
Einige Bereiche können Unternehmen leichter beeinflussen als andere. So steht das Einsparen von CO2-Emissionen auf der Agenda der Neumarkter Lammsbräu zwar ganz oben. Doch Technik und Produktionsprozesse setzen Grenzen. Das Unternehmen bezieht zu 100 Prozent Ökostrom, als weiteren Energieträger verwendet es Erdgas. „Noch klimafreundlichere Technologien wie etwa Holzgas sind leider für unsere Bedürfnisse noch nicht marktreif“, sagt Ehrnsperger. Auch die acht Lastwagen der Brauerei fahren mit Erdgas. „Eine Umstellung auf E-Autos halten wir noch nicht für sinnvoll, weil speziell bei der Akkuherstellung und -entsorgung im Moment noch zu viele kritische Umweltfragen ungelöst sind. Erdgas ist derzeit die bessere Brückentechnologie“, sagt der Betriebswirt und Brauer.
„Ich frage mich ständig, wo Energie verschwendet oder nicht gut genutzt wird.“
Johannes Ehrnsperger, Neumarkter Lammsbräu
Neue Produkte, neues Emissionsprofil
Ziel sei es, bis 2025 jedes Jahr durchschnittlich sechs Prozent der Emissionen von Scope 1 und 2 einzusparen, heißt es im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht der Brauerei. Das entspreche einer Emissionsreduzierung von rund 11.500 Tonnen CO2. Zwei Seiten weiter im Bericht zeigt sich allerdings: Die relevanten Scope-1- und Scope-2-Emissionen liegen 2018 in etwa auf dem Niveau von 2013. Von 2017 bis 2018 stiegen die Emissionen sogar deutlich. Ehrnsperger begründet: „Die Berechnung der Emissionen wurde auf eine noch umfangreichere Datengrundlage umgestellt. Deshalb sind die Zahlen nicht eins zu eins zu vergleichen.“ Zudem sagt er: „Die Herstellung der immer erfolgreicheren alkoholfreien Getränke benötigt mehr Energie. Da Lammsbräu ganz bewusst keine Stabilisations- oder Entkeimungsmittel in der Produktion einsetzt, müssen diese Produkte mit Wärme behandelt werden.“
So wie Ehrnsberger geht es vielen Unternehmern. Sie bemühen sich, ökologischer zu wirtschaften. Doch wenn sich ihr Geschäft oder das Produktportfolio verändern oder ihr Unternehmen wächst, verändert sich auch der CO2-Fußabdruck. Die nationalen Energiesparziele sehen vor, dass die sogenannte Endenergieproduktivität, also das Verhältnis vom realen Bruttoinlandsprodukt zum gesamten Endenergieverbrauch, jährlich um durchschnittlich 2,1 Prozent gesteigert wird. Tatsächlich aber stagnierte der Endenergieverbrauch im vergangenen Jahrzehnt und die erzielten Effizienzgewinne reichten gerade aus, um den Mehrverbrauch an Energie durch eine wachsende Wirtschaft auszugleichen.
Johannes Ehrnsberger bezeichnet seine Brauerei dennoch als klimaneutral. „Wo die immer angestrebte komplette Vermeidung von Emissionen noch nicht möglich ist, kompensieren wir diese in Zusammenarbeit mit Climate Partner“, sagt Ehrnsperger. Climate Partner gehört wie Atmosfair, Arktik oder Myclimate zu einer Reihe von Agenturen, an die Unternehmen pro CO2-Äquivalent einen Geldbetrag zahlen können, mit dem diese etwa Projekte zur Gewinnung erneuerbarer Energien, Umweltschutzprojekte oder die Wiederaufforstung von Wäldern finanzieren. Der Markt boomt. Im Jahr 2017 wurden weltweit 42,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verkauft. Das geht aus einer Studie des Netzwerks Forest Trends hervor. Zum Vergleich: 2012 war es mit 20,3 Millionen Tonnen weniger als die Hälfte.
Längst mahnen Kritiker, dass die Kompensation eine Art moderner Ablasshandel sei. Die Anbieter wehren sich dagegen: Julia Zhu vom Branchenführer Atmosfair sagt: „Atmosfair-Projekte werden unabhängig überprüft, die errechneten CO2-Einsparungen also von Experten bestätigt. Kompensation ist kein Ablasshandel, wenn sie richtig gemacht wird.“ Sie räumt aber auch ein: „Natürlich ist sie kein Allheilmittel: Erst wenn CO2-Emissionen nicht vermieden oder reduziert werden können, ist Kompensation ein sinnvolles Instrument für den Klimaschutz. Weitermachen wie bisher und sich ‚freikaufen‘, das unterstützen wir nicht.“
Klimaschutz ist wirtschaftlich
Zumal nicht nur ökologische Argumente dafür sprechen, den Energieverbrauch und damit den tatsächlichen CO2-Ausstoß zu senken, sondern auch ökonomische. Laut einer Studie der KfW Bankengruppe ist die Belastung durch Energiekosten für kleine und mittlere Unternehmen zuletzt gesunken. Die KfW begründet es damit, dass KMU energieeffizienter produzieren.
Mehr als 1,4 Millionen Unternehmen in Deutschland haben zwischen 2014 und 2016 entsprechende Maßnahmen vorgenommen – weit mehr als noch im Zeitraum von 2011 bis 2013. Zudem werde konkreter in die Energieeffizienz von Anlagen und Geräten investiert, während Betriebe vor einigen Jahren noch eher auf Mitarbeiterschulungen zur Verhaltensänderung gesetzt haben. „Das Engagement für Energieeffizienz lohnt sich wirtschaftlich“, sagt Werner Wild. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre forscht an der Technischen Hochschule Nürnberg und ist beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aktiv. „Allerdings“, kritisiert er, „muss die rechtliche Rahmensetzung durch den Staat berücksichtigt werden.“ Denn die Umsetzung der vom Staat geschaffenen Anreize, etwa Beanspruchung von Fördermitteln bei Investitionen in erneuerbare Energieanlagen, bleibe den Unternehmen überlassen.
So wie beim Steinmetzbetrieb Glöckner Natursteine aus Neunkirchen im Saarland. Dessen Geschäftsleiterin Katja Hobler ist das Thema strategisch angegangen – und sich dafür Fördergelder gesichert. 2014 hat sich die Firma mit ihren 25 Mitarbeitern bei einem Corporate-Social-Responsibility-Projekt des Landes beworben und erhielt darüber Beratungsstunden einer Unternehmensberatung.
Inzwischen verfügt Glöckner Natursteine über ein Zertifikat von EMAS, das weltweit als das anspruchsvollste System für nachhaltiges Umweltmanagement gilt. Das Unternehmen habe eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert, die mehr Solarstrom produziere, als der Betrieb verbraucht, erzählt Hobler. Eine Übersicht über die Energiekosten und den CO2-Ausstoß erhält die Geschäftsleiterin durch ein Energiebuch, das regelmäßig geführt wird. „Derzeit wird der überschüssige Strom aufgrund der langfristigen Verträge noch eingespeist, zukünftig wollen wir in einen Speicher investieren“, sagt sie. Die verarbeiteten Steine bezieht Glöckner zu 70 Prozent aus der Region, den übrigen Teil fast vollständig aus Deutschland und Europa. Und weitere Emissionen spart der Betrieb durch Sammelfahrten der Mitarbeiter zur Baustelle. Insgesamt sei der CO2-Ausstoß von 2017 auf 2018 um zehn Prozent gesunken. Eine Klimaneutralität sei aber noch nicht in Aussicht, sagt Hobler.
CO2-Kompensation: So funktioniert´s
Ein Unternehmen ermittelt seinen nicht vermeidbaren CO2-Ausstoß. Etwa mithilfe von Onlinerechnern wie dem des Umweltbundesamts uba.co2-rechner.de. Auch die Anbieter von CO2-Kompensation unterstützen bei der Berechnung der Emissionen.
➪ Um das Ergebnis in Tonnen CO2 zu kompensieren, kann sich das Unternehmen an Anbieter wie Atmosfair, Klima-Kollekte, Primaklima oder Myclimate wenden (empfohlen von Stiftung Warentest). Bei der Auswahl sollten sie unbedingt darauf achten, dass die Anbieter das Gold Standard Gütesiegel besitzen. Es gilt als weltweit strengster Standard für Klimaschutzprojekte.
➪ Die Kompensationsanbieter berechnen einen Preis pro CO2-Äquivalent. Er reicht von 5 Euro bis 23 Euro pro Tonne CO2. Diese Preisspanne wurde 2005 im Zuge des Europäischen Emissionshandels für die Industrie eingeführt. Das Umweltbundesamt empfiehlt mittlerweile, den Preis weit höher, bei mindestens 180 Euro pro Tonne CO2 anzusetzen.
➪ Mit dem eingenommenen Geld finanzieren die Kompensationsanbieter internationale Projekte zur Nutzung von Wind- und Wasserkraft, Biomasse, Solarenergie, zum Waldschutz und zur Wiederaufforstung sowie zur Umweltbildung.
Das Prinzip: Emissionen, die beim Unternehmen entstehen, werden durch die finanzierten Maßnahmen andernorts vermieden.
Die Kritik: Kompensationszahlungen sind für Firmen oder Privatpersonen eine einfache und kurzfristig wirksame Möglichkeit, Treibhausgasemissionen auszugleichen. Größerer Anreiz müsse aber sein, Treibhausgasemissionen zu vermindern und selbst in mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu investieren.
„Die richtigen energetischen Maßnahmen bewirken eine beträchtliche Reduktion der großen Kostenblöcke.“
Prof. Dr. Werner Wild, Technische Hochschule Nürnberg
Alles infrage stellen
Für all diese Anstrengungen erhielt der Betrieb beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis die Auszeichnung „Deutschlands nachhaltigste KMU 2019“. Die Jury würdigte die Entschlossenheit des kleinen Unternehmens. In der Branche gibt es aber noch viel Verbesserungsbedarf. „Mir sind fünf Steinmetzbetriebe bekannt, die ausschließlich Material aus Europa beziehen“, sagt Hobler. Der überwiegende Teil importiere seinen Rohstoff aus China und Indien.
Auch Neumarkter Lammsbräu wurde bereits mehrfach für seine Bemühungen ausgezeichnet, erst kürzlich mit dem EMAS-Award 2019, mit dem die EU die besten Strategien und Maßnahmen zur Erreichung von Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen prämiert. Das Erfolgsrezept beschreibt Unternehmenschef Ehrnsperger so: „Wir sind immer bereit, alles infrage zu stellen und auf links zu drehen. Ständig treibe ihn die Frage um, wo Energie anfällt, die nicht genutzt wird, und wo Energie verschwendet wird, die woanders eingesetzt werden kann. Er möchte damit auch ein Zeichen in seiner energieintensiven Branche setzen. Bei Brauereien liegt der Anteil der Energiekosten bei rund zehn Prozent der Gesamtkosten. Nur Firmen aus Branchen wie Baustoffe, Chemie, Glas, Metalle, Papier und Stahl benötigen mehr Energie. „Die richtigen energetischen Maßnahmen bewirken also eine beträchtliche Reduktion der großen Kostenblöcke“, sagt Wissenschaftler Wild – und honoriert gleichzeitig die Anstrengungen der KMU im Verhältnis zur Firmengröße. „Größere Unternehmen können auch im Umweltschutz Skaleneffekte erzielen. Umso bemerkenswerter ist es, wenn kleine Firmen sich so stark engagieren.“
Quelle: Magazin „Creditreform“
Text: Martin Scheele