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Staatsverschuldung: Wie viel mehr darfs wirklich sein?

Die Diskussion über die Schuldenbremse ist so alt, wie diese besondere Regelung im Verfassungsrang selbst. 2009 von Angela Merkel und Peer Steinbrück angesichts der weltweiten Finanzkrise eingeführt, limitiert sie seitdem die laufende Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Allerdings wurden bereits damals Ausnahmen festgelegt, die auch eine höhere Schuldenaufnahme für die öffentliche Hand erlauben: Dabei muss es sich allerdings um „Notsituationen“ handeln, um Naturkatastrophen oder schwere Wirtschaftskrisen. Alternativ müsste die Verfassung mit einer dafür notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wieder geändert werden.

So eine Notsituation sehen Union und SPD nun offenbar als gegeben, nachdem Donald Trump und sein Vizepräsident nicht nur die militärische Unterstützung für die Ukraine infrage stellen, sondern das transatlantische Verteidigungsbündnis gleich mit. Europa muss stark werden und aufrüsten, was ohne ein ebenfalls starkes Deutschland unmöglich scheint. Noch bevor sie Koalitionsgespräche führen, haben die potenziellen neuen Regierungspartner ihre Schuldenpläne bekannt gegeben. Die unvorstellbare Summe von 500 Mrd. Euro soll in den kommenden zehn Jahren in Form eines neuen Sondervermögens für Infrastruktur und Digitales ausgegeben werden. Dazu wird die Schuldenbremse für den Verteidigungshaushalt aufgeweicht. Alle Militärausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP werden davon ausgenommen.

Die Ampel-Regierung ist am Streit über die Schuldenbremse zerbrochen. Für eine neue Regierung erscheint sie gerade als verbindendes Element. Und das nach einem Wahlkampf, in dem jede Partei ihre Position mehr als deutlich gemacht hat. Das Spektrum der Vorschläge reichte von der Abschaffung, über die Modifizierung, eine zumindest zeitweise Aussetzung bis hin zu gar keiner Änderung – eine politische Skala von links nach rechts. Doch nun hält es die CDU offenbar mit ihrem Mitgründer Konrad Adenauer, den schon vor mehr als 70 Jahren sein „Geschwätz von gestern“ nicht mehr interessierte. Stattdessen gibt Friedrich Merz den neuen Leitspruch aus: „Whatever it takes“ – Was auch immer es braucht.

Der Schuldenberg wächst – auch mit Schuldenbremse

Nur: Braucht es das wirklich? Die Hypothek für künftige Generationen wird gewaltig sein. Zumal Deutschland auch schon mit angezogener Bremse Schulden macht. Die aktuellen Zahlen weisen aus, dass die Bundesrepublik im Jahr 2024 einmal mehr ein deutlich erhöhtes Staatsdefizit aufzuweisen hat als in den Jahren zuvor. Das Finanzierungsdefizit beträgt 118,8 Mrd. Euro. Damit liegt es nicht nur um 15 Mrd. Euro höher als 2023. Auch die entscheidende Bezugsgröße für die Defizitquote, das Bruttoinlandsprodukt, hat sich verändert. 2024 betrug das Defizit 2,8 Prozent des BIP – nach 2,5 Prozent im Jahr 2023.

Beim Finanzierungsdefizit geht es um die gesamten öffentlichen Haushalte, also auch um die der Länder und Kommunen. Doch ist der Bund mit seinen Ausgaben insgesamt der Hauptverursacher des Schuldenstandes. 62,3 Mrd. Euro – und damit mehr als die Hälfte des Defizits – gehen auf das Konto des Bundes. Während der Bund sein Finanzierungsdefizit um 30,5 Mrd. Euro deutlich verringert hat, weisen Länder und Gemeinden markante Zuwächse aus. Die Bundesländer haben sich auf 27,3 Mrd. Euro im Jahr 2024 gesteigert – das ist etwa der dreifache Wert des Jahres 2023 mit 9 Mrd. Euro. Aber auch die Kommunen haben zugelegt und erreichten 2024 eine Finanzierungslücke von 10,6 Mrd. Euro (2023: 9,0 Mrd. Euro).

Einnahmen haben zugelegt

Die Höhe des Defizits, wie sie das Statistische Bundesamt auf Basis vorläufiger Berechnungen jetzt ausweist, kam überraschend. Vorher war vielfach noch die Rede davon, dass 2024 die Steuereinnahmen gestiegen waren – was angesichts der wirtschaftlichen Krise nicht vorherzusehen war. 3,5 Prozent mehr Steuern nahm der Staat 2024 ein. Außerdem legte die Umsatzsteuer um 2,4 Prozent zu und bei der Einkommenssteuer kamen 3,6 Prozent mehr in die Kassen. Das hängt sicher auch mit den Lohnsteigerungen und der Inflation zusammen. Dazu sind die Sozialbeiträge gestiegen, nachdem Klagen geführt wurden, dass die höheren Kosten in der Kranken- und Pflegeversicherung selbst durch die Beitragserhöhungen nicht mehr aufzufangen seien. Außerdem hat der Staat 2024 höhere Zinseinnahmen von fast 15 Prozent erreicht. Hinzu kamen Einnahmen aus der Lkw-Maut im Zusammenhang mit dem CO2-Zuschlag. So dass alles in allem im Jahr 2024 bei den Staatseinnahmen erstmals die gigantische Summe von mehr als 2,0 Bill. Euro erreicht wurde.

Doch was nutzt ein solches Plus bei den Einnahmen, wenn die Ausgaben noch stärker steigen? 2.131 Mrd. Euro betrugen die Ausgaben 2024 und lagen damit um mehr als 24 Prozent höher als 2023. Da waren es vor allem konsumtive Ausgaben wie Sozialleistungen. Die Renten waren im Zusammenhang mit steigenden Löhnen erhöht worden, aber auch das Pflegegeld und das Bürgergeld sorgten für einen Auftrieb der sozialen Sachleistungen um 8 Prozent. Es gab mehr Ausgaben für die Krankenhäuser, Medikamente und Pflege, aber auch im Zusammenhang mit Jugendhilfe, Eingliederungs- und Sozialhilfe. Eine wichtige Rolle spielt bei der hohen Verschuldung auch das Deutschlandticket, mit dem der öffentliche Nahverkehr subventioniert wird. Immerhin endeten die Kosten für die Energiepreisbremse mit dem Jahr 2023, womit diese Subvention um 35,6 Prozent zurückging.

Dazu belasten gestiegene Zinsausgaben den Bundeshaushalt. Im Jahr 2023 war der Zinsaufwand laut Bundesrechnungshof mit fast 40 Mrd. Euro fast dreimal so hoch wie im Vorjahr. Hier zeichnet sich immerhin ein Lichtblick ab. Die EZB hat ihren Leitzins im Zuge einer leichten Erholung beim Preisauftrieb bereits mehrfach wieder gesenkt – zuletzt Anfang März auf 2,5 Prozent, so dass die Zinslast schon 2024 wieder etwas geringer ausfällt.  

Schuldenstandsquote bleibt im europäischen Rahmen

Aussagekräftiger noch als die nominalen Zahlen, die allein durch die Inflationsentwicklung und die jährlich (bisher jedenfalls) zunehmende Wirtschaftsleistung steigen, ist die Schuldenstandsquote. Sie setzt die Schulden ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung – und hier schneidet Deutschland im europäischen Vergleich immer noch gut ab. Dabei waren selbst in der EU die Schuldenstände, die zuletzt durch die Corona-Pandemie stark angeschwollen waren, wieder rückläufig. Sie betrugen 2020 noch 90 Prozent des Gesamt-BIP und 2023 knapp 82 Prozent. Deutschland registrierte für 2023 eine Schuldenstandsquote von 62,9 Prozent. Das entspricht in absoluten Zahlen rund 2,5 Bill. Euro. Damit bewegt sich die größte Volkswirtschaft der EU im positiven Mittelfeld. Länder wie Luxemburg (25 Prozent), aber auch die Niederlande (45,1 Prozent) schneiden besser ab. Andere große Volkswirtschaften wie Frankreich (109,9 Prozent) oder Italien (134,8 Prozent) sind jedoch sehr viel höher verschuldet.

Fazit:

Was bedeuten diese Zahlen nun für die aktuellen Schuldenpläne – denen der noch nicht aufgelöste alte Bundestag freilich erst noch zustimmen muss? Verglichen mit einigen europäischen Nachbarländern wie Frankreich oder Italien hat Deutschland dank einem insgesamt guten Sparkurs seit 2009 tatsächlich Luft nach oben. Die Frage ist nur: Wie weit? Wie hoch eine Staatsverschuldung sein darf, ist selbst unter Fachleuten umstritten.

Zudem ist die Quote nicht nur vom Schuldenstand abhängig, sondern auch vom Wirtschaftswachstum, zu dem dieser in Relation gesetzt wird. Immerhin erwarten Ökonomen laut Informationen des Handelsblatts, dass Investitionen in die Infrastruktur das Wirtschaftswachstum hierzulande ankurbeln. Sie rechnen für 2025 damit, dass das BIP um 0,6 Prozentpunkte höher ausfällt, 2026 um einen Prozentpunkt und 2027 um 0,9 Punkte. Vorausgesetzt, das Geld fließe tatsächlich in die heimische Wirtschaft und deren Wettbewerbsfähigkeit – nicht in Sozialleistungen und andere Wahlgeschenke. So wüchse das Land – ähnlich wie es Griechenland oder Portugal gelungen ist – wieder ein Stück weit aus den Schulden heraus. Ob das wirklich so kommt, ist – Stand heute – nicht absehbar. Klar ist, wir brauchen mehr Geld. Was Deutschland allerdings noch dringender braucht, ist der nachhaltige Wiederaufbau des Wirtschaftsstandortes. Die Mühlen der Bürokratie müssen ebenso auf den Prüfstand, wie etliche Subventionen und soziale Wohltaten.

Die bisher selbst auferlegte Grenze in Deutschland für Schulden darf nicht leichtfertig aufgegeben werden, verhindert sie doch eine zügellose Geldaufnahme wie in manchen Nachbarländern und engt damit den Handlungsspielraum jetzt und vor allem in Zukunft massiv ein. Sowohl das Sondervermögen für Infrastruktur als auch die geplanten Verteidigungsausgaben dürften für künftige Regierungen teuer werden. Denn jede Schuld muss irgendwann beglichen werden – egal in welcher guten Absicht sie aufgenommen wurde.

Quellen: Destatis, Tagespresse, Wahlprogramme der Parteien