„Wir brauchen ein funktionierendes Inkasso“
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) möchte mit dem Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht“ Schuldner entlasten. Demgegenüber versteht sich Creditreform als Vertreter der Gläubiger. Die Reduzierung der Inkassogebühren würde nicht nur Inkassounternehmen und Rechtsanwälte treffen, sondern gleichermaßen auch die Gläubiger, die mit geringeren Leistungen oder höheren Kosten konfrontiert würden. Das wäre eine Umkehr des Verursacherprinzips. Im Interview erläutert Creditreform Geschäftsführer Volker Ulbricht, wo der Gesetzgeber nachbessern muss.
Herr Ulbricht, ein neues Inkassogesetz soll Verbraucher künftig besser schützen und sie etwa vor überzogenen Gebühren bewahren. Was bedeutet das für Creditreform?
Volker Ulbricht: Ich verstehe das Anliegen, Verbraucher, die einmalig oder versehentlich in Verzug geraten, nicht schon beim ersten Mahnschreiben mit unverhältnismäßig hohen Gebühren zu belasten. Aber ich kritisiere, dass dies pauschal für alle Inkassofälle gelten soll.
Fälle, in denen eine offene Rechnung nach der ersten Ansprache beglichen wird, sind also die Ausnahme?
Das BMJV verkennt den Aufwand und die Arbeitsintensität unserer Inkassomaßnahmen. In der Regel vergehen zwischen der Aktenanlage und dem Aktenabschluss zwei bis sechs Monate. Und in Fällen, in denen eine Titulierung unausweichlich wird, schließt sich eine nachgerichtliche Bearbeitung von durchschnittlich drei bis sechs Jahren an.
Und was passiert in diesen zwei bis sechs Monaten?
Unser Ziel ist es immer, die Forderung außergerichtlich zu realisieren. Insofern erfolgen schon vor dem ersten Versand eines Mahnschreibens umfangreiche Prüfschritte, Datenabgleiche, Bonitätsprüfungen. Auf deren Grundlage wird eine individuelle und schuldnerangepasste Inkassostrategie festgelegt. So können wir die Situation des Schuldners feststellen und entscheiden, in welcher Tonalität, über welchen Kommunikationsweg, mit welcher Frequenz und mit welcher Zielsetzung, etwa der Möglichkeit einer Ratenzahlung, wir ihn ansprechen.
Welche Auswirkungen hat die vom neuen Gesetz geforderte Informationspflicht auf diesen Prozess?
Sie würde ihn unnötig verkomplizieren. Der Entwurf sieht ja vor, dass Verbraucher gegenüber einem Unternehmen nur noch dann zum Ersatz der Kosten eines Inkassodienstleisters oder Rechtsanwalts verpflichtet sind, wenn sie vom Unternehmen rechtzeitig darauf hingewiesen wurden. Das passiert aber in der Realität längst. Eine typische ins Inkasso übergebene Forderung ist bereits ein bis zwei Monate fällig und der Schuldner ist schon mehrfach zur Zahlung aufgefordert und entsprechend auch auf weitere Schritte hingewiesen worden. Eine gesetzliche Hinweispflicht aber würde die Position der Gläubiger schwächen, da sie nachweisen müssten, ob der Hinweis zugegangen ist. Vorsätzliche Schuldner könnten sich das zunutze machen und den Empfang des Schreibens bestreiten.
Zurück zu den Gebühren, die im Sinne des Verbraucherschutzes nahezu halbiert werden sollen. Wie reagiert die Inkassowirtschaft darauf?
Die Senkung der Gebühren, sollte sie denn kommen, bedeutete einen tiefgreifenden Einschnitt in die Erlössituation der Inkassodienstleister. Und da Leistung und Gegenleistung immer miteinander korrelieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Inkassodienstleister reduzieren den Umfang ihrer Tätigkeiten entsprechend ihren verringerten Erlösaussichten. Oder aber die Gläubiger tragen einen Teil der Kosten der Inkassodienstleistung mit. Was ich als Umkehr des Verursacherprinzips ansehe. Denn nicht der Gläubiger hat sich fehlverhalten, sondern der Schuldner, der dafür auch aufkommen sollte.
Mit weitreichenden Folgen für die gesamte Volkswirtschaft …
Richtig. Wir brauchen ein funktionierendes Inkasso. Unsere Wirtschaft fußt auf der Annahme, dass Schuldner nur ausnahmsweise und nur in geringfügigem Ausmaß Zahlungsziele überschreiten. Dies gilt insbesondere für gewerbliche Forderungen gegenüber Unternehmensschuldnern. Denn die Unternehmensfinanzierung basiert ganz wesentlich auf Lieferantenkrediten. In Deutschland kreditieren Lieferanten ihre gewerblichen Abnehmer mit aktuell rund 337 Milliarden Euro. Wenn deren fristgerechte Rückzahlung infrage steht, führt das zu einer Kettenreaktion. Liefernde Unternehmen geraten in Liquiditätsnot, werden unter Umständen zahlungsunfähig, damit verbunden sind Arbeitsplatzverluste, Steuerausfälle und sonstige volkswirtschaftliche Schäden.
Und was sollte Ihrer Meinung nach der Gesetzgeber tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern?
Ich fordere unter anderem, dass stärker zwischen privaten und geschäftlichen Schuldnern unterschieden wird. Der Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr sollte so gering wie möglich sein. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte die Rechtsordnung an den Verzug von Unternehmensschuldnern bewusst und gewollt harte Rechtsfolgen knüpfen. Wie das schon jetzt bei der Feststellung der Höhe der Verzugszinsen der Fall ist. Was Verbraucher angeht, wünsche ich mir, dass die Gebühren nicht pauschal gesenkt, sondern dem Verfahrensverlauf entsprechend angepasst werden. Für jemanden, der mit wenig Aufwand nach einer ersten Ansprache seine Forderung begleicht, kann die Reduktion durchaus sinnvoll sein. Aber vorsätzliche und notorisch zahlungsunwillige Schuldner sollten nicht zulasten von Unternehmen und Allgemeinheit profitieren.
Quelle: Magazin „Creditreform“
Interview: Christian Raschke