Da fehlt was!

Ohne Fehler kein Fortschritt – trotzdem werden Fehler im Arbeitsleben eher bestraft als belohnt. Brauchen Unternehmen im Zeitalter des stetigen Wandels eine neue Fehlerkultur?

Nahezu 10.000 Versuche und rund 40.000 Seiten Aufzeichnungen – die Erfindung der Glühbirne ist gut dokumentiert. Sie war keine plötzliche Erleuchtung, sondern jahrelange Arbeit. Am 27. Januar 1880 erhielt Thomas Alva Edison das Patent für die elektrische Glühlampe, eine bahnbrechende Innovation, an der sich vor ihm bereits andere kluge Köpfe ohne durchschlagenden Erfolg versucht hatten. Später einmal darauf angesprochen, wie er trotz etlicher Fehlschläge durchgehalten habe, antwortete er: „Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“

Edisons Glühlampe hat im Zeitalter sparsamer LEDs zwar ausgedient. Seine positive Einstellung zum Scheitern ist dagegen hochaktuell. Digitale und grüne Transformation sind in vielen Unternehmen zentrale Themen und erfordern neue Ideen – und den Mut, Fehler zu akzeptieren. Um Innovationen hervorzubringen, müsse man Neues wagen und aus Fehlern lernen, schreibt Amy Edmondson, Professorin für Leadership und Management an der Harvard Business School in ihrem 2023 erschienenen Buch „Right Kind of Wrong“.  Darin beschäftigt sich die amerikanische Organisationspsychologin mit der Kunst, auf intelligente Art danebenzuliegen: „Wenn du nicht scheiterst, bist du nicht auf der Reise in neues Gebiet“, so die Wissenschaftlerin, die seit mehr als 30 Jahren zu Themen wie Innovation, Teamperformance, Umgang mit Fehlern und angstfreie Unternehmenskultur forscht.

Der Haken an der Sache: In der heutigen Arbeitswelt ist die Lust auf Fehler nicht sonderlich ausgeprägt. Beförderungen oder Boni sind auf erfüllte Ziele ausgerichtet. Gescheiterte Projekte, unrealisierbare Ideen oder öffentlich geäußerte Bedenken gelten dagegen als Karriererisiko. Die Unternehmensberatung EY hat 2023 gemeinsam mit der privaten Wirtschaftshochschule ESCP die Fehlerkultur in deutschen Unternehmen untersucht und kommt zu ernüchternden Ergebnissen: Obwohl Führungskräfte dem konstruktiven und offenen Umgang mit Fehlern hohe Relevanz für Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Mitarbeitermotivation einräumen, gehen nur wenige mit gutem Beispiel voran. Nahezu zwei Drittel der Befragten gaben zu, eigene Fehler gar nicht oder nur zum Teil anzusprechen. Als Grund nannten fast 70 Prozent die Sorge vor Karrierenachteilen, mehr als jeder Zweite sogar die Angst um seinen Job.

Fehler als Form des Fortschritts

Die deutsche Fehlerkultur sei eher eine Fehlerpräventionskultur, also darauf bedacht, Fehler zu vermeiden, sagt Christoph Seckler, Juniorprofessor für Entrepreneurship an der ESCP in Berlin, der die Studie konzipiert hat. Eine geringe Fehlertoleranz sei zwar sinnvoll, solange es um inkrementelle Verbesserungen gehe. Dazu zählen beispielsweise Prozessoptimierungen in der Produktion, Softwareupdates oder verbesserte Rezepturen in der Lebensmittelindustrie. Wer dagegen etwas vollkommen Neues anstrebe, bremse die Innovationskraft im Unternehmen dagegen durch allzu viel Kontrolle und Sicherheitsstreben aus. Auch Edison hätte die Glühbirne und zahllose andere Innovationen vermutlich nie zur Marktreife entwickelt, ohne Fehler als Form des Erkenntnisgewinns und natürlichen Bestandteil des Entwicklungsprozesses zu akzeptieren.

Ein veränderter Umgang mit Fehlern gelingt nicht von heute auf morgen. Wie jeder Kulturwandel ist ein Wandel der Fehlerkultur ein langfristiger Prozess, der sich nicht einfach von oben anordnen lässt. In der Praxis setzen Unternehmen auf unterschiedliche Maßnahmen wie Trainings für Mitarbeitende und Führungskräfte oder agile und innovative Methoden wie Scrum oder Design Thinking, die einen produktiven Umgang mit Fehlern fördern. Aus der Startup-Szene bekannt sind beispielsweise „Fuckup-Nights“, bei denen Menschen in lockerer Atmosphäre über berufliche Misserfolge und Fehler sprechen und sich den Fragen des Publikums stellen. Laut EY Fehlerreport sind diese Veranstaltungen in deutschen Unternehmen jedoch wenig verbreitet und werden von den Mitarbeitenden auch nicht sonderlich vermisst. Weitaus häufiger wird die Möglichkeit genutzt, anonym über Fehler zu berichten, damit andere daraus lernen können. Rund 30 Prozent aller Unternehmen haben Innovationsprogramme eingeführt, die Mitarbeitende ausdrücklich zum Ausprobieren und Experimentieren ermutigen. Jeder zweite Befragte wünscht sich zudem ein Vergütungssystem, das Experimente fördert und Fehler nicht bestraft.

Sicherheit schaffen

Egal ob Startup oder Konzern: Amy Edmondson sieht eine vorrangige Aufgabe von Führungskräften darin, im Team für psychologische Sicherheit zu sorgen. Mit diesem Begriff bezeichnet sie ein von Offenheit und gegenseitigem Respekt geprägtes Arbeitsumfeld, wo Mitarbeitende sich trauen, Ideen auszusprechen, auf Fehler oder Probleme hinzuweisen oder nachzufragen. Die Angst vor Kritik und sozialer Ausgrenzung sei zutiefst menschlich, so die Psychologin. Wenn Mitarbeitende befürchten müssten, für unkonventionelle Vorschläge Kritik und Spott zu ernten oder für schlechte Nachrichten persönlich heruntergeputzt zu werden, hielten sie meist lieber den Mund. Damit Wissensarbeit jedoch gedeihen könne, müssten Menschen sich am Arbeitsplatz sicher genug fühlen, ihr Wissen zu teilen, also auch Bedenken, Fragen, Fehler und halbgare Ideen.

Führungskräfte können viel für ein solches Klima tun, indem sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Laut EY Fehlerreport schätzen Mitarbeitende es ins­besondere, wenn Vorgesetzte eigene Fehler zugeben ­(63 Prozent), angesprochene Fehler direkt beheben ­(52 Prozent) und den regelmäßigen Austausch fördern (49 Prozent). Auch wertschätzendes Verhalten, ein rea­listisches Selbstbild und Lernbereitschaft sind für das Vertrauen und die Fehlerkultur förderlich.

Die Messlatte hoch hängen

Sowohl Amy Edmondson als auch Christoph Seckler betonen, dass psychologische Sicherheit zwar eine wichtige, aber allein noch keine hinreichende Voraussetzung für mehr Innovationskraft und wirtschaftlichen Erfolg sei. Zum konstruktiven Fehlermanagement gehören für die beiden Managementexperten vielmehr auch hohe Leistungsstandards. Ohne psychologische Sicherheit drohe eine Fehler-Angst-Kultur, in der Fehler bewusst verschwiegen oder gar aktiv vertuscht werden – nicht selten bis zum Skandal, sagt Seckler. Ohne hohe Leistungsstandards schleiche sich dagegen oft allmählich eine Fehler-Akzeptanz-Kultur ein, wo Fehler und Abweichungen mangels klarer Ziele und eindeutiger Verantwortlichkeiten kaum auffallen und deshalb auch nicht behoben werden. Wo beides fehlt, entsteht eine von Angst und Zynismus geprägte Fehler-Resignations-Kultur – meist mit verheerenden Folgen für Motivation und Leistung.

Eine Kombination aus psychologischer Sicherheit einerseits, klaren und ambitionierten Leistungsstandards andererseits ermöglicht eine erstrebenswerte Fehler-Management-Kultur, in der Fehler proaktiv und konstruktiv angegangen werden. Für Christoph Seckler gehören dazu fünf konkrete Merkmale: Fehler werden antizipiert, Fehler werden direkt korrigiert, Fehler werden schnell kommuniziert, aus Fehlern wird gelernt und es werden auch intelligente Fehlerrisiken eingegangen, beispielsweise durch Experimentieren. Das zahlt sich aus: „Forschungsergebnisse zeigen, dass so eine Fehler-Management-Kultur positiven Einfluss auf Profitabilität, Zielerreichung, Überlebenswahrscheinlichkeit sowie die Kapitalrendite von Unternehmen hat“, sagt der Berliner Professor für Entrepreneurship. Sie bietet Unternehmen die wichtige Chance, aus Fehlern zu lernen, begrenzte Ressourcen besser zu verteilen sowie verdeckte Probleme und potenzielle Fehlerquellen möglichst früh zu erkennen und abzustellen. Schon Edison wusste: „Das Schöne an einem Fehler ist: Man muss ihn nicht zweimal machen.“


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Kirstin von Elm
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