Draufgänger mit Dreirad

Die Marke Puky erfindet sich neu. Als Primus für Kinderfahrräder hatte der Traditionsbetrieb die Konkurrenz unterschätzt – und wurde teilweise überholt. Jetzt kurbelt ein neues Management den Verkauf an und erkämpft sich mit frischem Image Marktanteile zurück.

Marc Thiel nähert sich, voll Tatendrang, mit breitem Lächeln und ausgestreckter Hand. Der drahtige Chef des Wülfrather Fahrradherstellers Puky ist erkennbar für frischen Wind zuständig. „Puky ist ja ein Teil der Kulturgeschichte“, sagt der 60-Jährige. Mehr als drei von vier Menschen in Deutschland kennen die Marke, zitiert Thiel die Marktforschung – fügt dann jedoch hinzu: „Bekanntheit führt nicht automatisch zum Kauf.“ Mit Leichtbau und sportlichen Designs sind Konkurrenten in einigen Segmenten an Puky vorbeigezogen.

Thiel war schon Banker, Fondsmanager und Entwickler, er hat in der Immobilienwirtschaft, in Konzernen und für Familienunternehmen gearbeitet. Nun soll er einen Hersteller von Kinderfahrzeugen flottbekommen. Als Turn­around-Berater lernte er Puky kennen, im September 2023 stieg er in die operative Führung ein. Mit der Maschinenbau-Ingenieurin Britta Sieper, die Ende 2021 als Produktionsverantwortliche in die Geschäftsführung eingetreten war, bildet er eine Doppelspitze. Als Tandem wollen sie Puky wieder in die Gewinnzone führen und international wachsen.

Verlust zum Jubiläum

Vor dem Duo liegt ein spannender Weg. Zum 75. Jubiläum, das im Sommer am Wülfrather Hauptquartier gefeiert wurde, gab es keine Jubelzahlen zu vermelden. 2023 schloss Puky mit Verlust ab, bei einem mittleren zweistelligen Millionenumsatz. Thiel will das nicht überbewerten: „Wenn von 75 Jahren mal eins nicht gut läuft, ist das kein Beinbruch. 2024 schaffen wir ein ausgeglichenes Ergebnis.“ Für ihn steht fest: Puky ist im Kern stark und innovationsfähig. „Unsere Botschaft hätte klarer vermittelt werden können und wir werden unseren modernen Ansatz künftig stärker betonen.“

Wer mit Britta Sieper durch die Fertigungshalle läuft, kann die Puky-Geschichte spüren. Eigene Entwicklung, eigener Werkzeugbau, eigenes Testlabor – darauf ist sie stolz. Über 5.000 Kilometer testen sie die Gefährte auf dem vergitterten Prüfstand, wobei 120 Kilo auf jeder Lenkerseite lasten. Das Prozedere geht über die gesetzlichen Normen hinaus. „Wir wissen, dass Kinder gerne auch mal Herausforderungen wie Treppen angehen. Deshalb steht Sicherheit bei uns immer an erster Stelle“, sagt sie. Die Trommeln, auf denen sich die Laufräder drehen, sind mit vier Zentimeter großen Keilen gespickt, die ausfahren und Erschütterungen provozieren. Nebenan: die „Blue Man Group“. So nennen sie die Roboter, die aus blanken Stahlrohren durch gekonntes Biegen und Schweißen Lenker und Rahmen herstellen. In diesem Fall für Laufräder für Kleinkinder, bis zu 90 Stück pro Stunde.

Alurahmen aus Asien

Bei Fahrrädern hingegen ist Stahl out. Sie müssen leicht sein. Das haben Konkurrenten wie der österreichische Hersteller Woom vorgemacht. Deshalb setzt auch Puky inzwischen voll auf Aluminium – und kauft die Rahmen aus Asien zu. „Das macht die gesamte Branche“, sagt Sieper. In Wülfrath werden die Rahmen lackiert. Danach reisen sie weiter nach Polen, wo das Management im Jahr 2022 in Oppeln ein Montagewerk gegründet hat. Von insgesamt 150 Puky-Mitarbeitern sind rund 35 dort tätig. Einen großen Teil des Zusammenbaus erledigen zudem traditionell auch Dienstleister in Deutschland.

Für das Puky-Führungsduo gilt es, Bewährtes und Neues auszubalancieren. Und Aufbruchstimmung zu verbreiten – in der eigenen Mannschaft und draußen im Handel. Sieper trimmt die technischen Geschäftsbereiche Fertigung, Montage, Logistik und Einkauf auf Effizienz, während Thiel Vertrieb und Marketing lenkt. „Stetiger Wandel eröffnet kontinuierlich neue Chancen“, sagt Sieper, die nebenbei als einzige Frau im Vorstand des Fahrradindustrie-Verbands ZIV wirkt. Vor ihrem Wechsel zu Puky leitete sie die Geschäfte eines renommierten Familienunternehmens, das nicht zufällig ihren Namen trägt: Die Firma Sieper aus Lüdenscheid baut Modellbaufahrzeuge der Marken Siku und Wiking.

Als Sieper in Wülfrath anfing, hatte Puky gerade eine harte Landung hinter sich, die Abläufe und Lieferketten waren gestört. Während der Corona-Pandemie ging zeitweise nichts mehr. Puky bindet seit Jahrzehnten Behindertenwerkstätten in einfache Montagearbeiten ein. Nach dem Ausbruch des Virus wurden diese sofort geschlossen. „Zeitweise konnten wir nichts liefern, obwohl gerade in der Pandemie das Radfahren boomte“, sagt Sieper. Dem Konzept blieb man dennoch treu. Ein halbes Dutzend Behindertenwerkstätten übernehmen bei Dreirädern und Laufrädern den Zusammenbau. „Das ist ein wesentlicher Teil unseres gesellschaftlichen Engagements, das tief in unserer Unternehmensphilosophie verankert ist. Inklusion bereichert nicht nur unser Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft“, sagt Thiel. Auch am Stammsitz in Wülf­rath arbeitet man inklusiv, rund 15 Menschen mit Einschränkungen sind ohne Druck in die Arbeit eingebunden.

Für das echte Leben

Wenn Thiel beschreibt, was er mit der Marke plant, zeigt er auf die Poster mit Kinderfotos im Besprechungsraum. „Papa, Arm!“ steht auf einem. Der klassische Satz, der immer fällt, bevor Eltern nicht nur das müde Kind, sondern auch das Laufrad nach Hause schleppen müssen. Dafür hat Puky einen Tragegurt im Programm. „Wir wissen: 86 Prozent der Haushalte fühlen sich im Alltag überfordert“, sagt Thiel. „Also gehen wir auf dieses echte Leben ein und rücken ab von der ganz heilen Werbewelt.“ Freche Kinder, die auch mal dort fahren, wo sie nicht sollen? „Wir haben die Antworten darauf. Robustere Reifen zum Beispiel“, sagt Sieper. Mit dem neuen Claim „Ready for Life“ musste das rote Hochkant-Logo einem nüchternen schwarzen Schriftzug weichen. „Der ist Instagram-tauglich“, sagt Thiel.

Im Marketing für Kinderräder baut er auf das Erlebnis, oder wie er es formuliert: „Füße heben, schnell sein, den Abhang runterfahren. Stolz sein, es geschafft zu haben.“ Britta Sieper ergänzt: „Mit unseren Produkten wachsen Kinder spielerisch heran, während ihre motorische Entwicklung gefördert und unterstützt wird. Ein Gegenentwurf zur Generation Smartphone.“

Puky kann auch hip

In Kreuzberg hat Puky einen Pop-up-Store eröffnet, um den Szene-Bewohnern zu zeigen: Wir können auch hip. In den Showroom lädt Thiel etwa Händler ein oder Hauptstadt-Politiker, um Verkehrsfragen zu diskutieren. Es geht um Relevanz und Sichtbarkeit. „Wäre Puky ein Auto, wäre es ein BMW“, definiert er. Nicht ganz zufällig ging er ein Co-Branding mit dessen Submarke Mini ein. Einige Tausend Laufräder werden mit beiden Logos versehen. Ähnliche Merchandi­sing-Konzepte gibt es mit Fußballclubs wie dem FC Bayern, Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Köln.

Marc Thiel ist einer, der das Ohr gerne am Markt hat, viel rumfährt. Er lerne bevorzugt „am Point of Sale“, sagt er. Da will er große Poster hinhängen, das neue Puky-Image zeigen. Zugleich scheut er keinen Konflikt. Etwa darüber, dass Puky auch seinen eigenen Internetvertrieb hochfährt. Heute ist der Onlineabsatz geringer als zehn Prozent, für 2028 liegt die Zielmarke bei 35 Prozent. „Natürlich hat das kein Händler gerne. Der Fachhandel bleibt für uns ein wichtiger Partner. Aber es geht darum, auf allen Kanälen präsent zu sein.“

Im Idealfall begleitet Puky ein Kind mit vier Produkten: Erst ein vierrädriges Gefährt namens „Wutsch“ fürs Wohnzimmer, dann ein Dreirad, ein Laufrad und schließlich das erste Fahrrad. Dass sich Puky jedoch ab dem Grundschulalter bei Kindern schwertut, ist keine neue Erkenntnis. 2018 entschied das Management deshalb, mit „Eightshot“ eine separate Mountainbike-Marke ins Rennen zu schicken. „Ein zehnjähriger Junge sitzt vielleicht nicht mehr gerne auf einem Puky, wenn die dreijährige Schwester mit dem Laufrad derselben Marke unterwegs ist“, verdeutlicht Thiel den Impuls zur Zweimarkenstrategie.

In der Marke Eightshot sieht er viel Potenzial: „Mountainbike-Fahren zieht gerade ordentlich an. Selbst in Wülfrath wird gerade ein Pumptrack gebaut.“ Dieses Momentum will Thiel nutzen und sponsert schon Mountainbiker im Alter von acht bis zwölf Jahren mit Ausrüstung. Bis zu 2.500 Euro kann man hinblättern für ein Top-Modell.

Impulse setzen

Einige Trends wie den Leichtbau hat man in Wülfrath in der Vergangenheit erst spät erkannt. Doch aktuell punktet man mit Innovationen und Finessen. Auf der Messe „Kind und Jugend“ zeigte Puky ein mitwachsendes Laufrad aus einem Kunststoffrahmen. Neu ist auch ein Rad mit automatischer Gangschaltung. Ab acht Stundenkilometern wechselt die Übersetzung. „Die Kinder können sich so voll aufs Fahren konzentrieren“, begründet Sieper.

Um zu wachsen, will Puky neue Märkte jenseits des deutschsprachigen Raums erobern und den Exportanteil von derzeit 30 Prozent ausbauen. In Skandinavien und Benelux ist man bereits vertreten. Nun stehen England, Italien, Spanien und Portugal auf der Liste. Zudem plant man, über Partner das Chinageschäft anzukurbeln. In Wuxi hat sich Thiel schon einen 250.000 Dollar teuren Pumptrack angesehen, auf dem Kids Eintritt zahlen, um auch die Produkte aus Wülfrath zu testen. „Jetzt wird dort ein zweiter gebaut“, sagt er. Fehlen nur noch die Räder.

Puky: Auf Achse seit 75 Jahren

Die Gründungsgeschichte von Puky ist eng verknüpft mit dem Auto- und Zweiradhersteller NSU, der später zu Audi wurde. Weil das NSU-Montagewerk in Neckarsulm nach dem Krieg zerstört war, verlagerte man die Fahrradmontage im Jahr 1949 vorübergehend nach Düsseldorf. Nach dem Rückzug lag die Fabrik brach – mit einer intakten Rohrverarbeitungsfertigung und Lackiererei. Diese nutzten der Stahlhändler Heinz Kuchenbecker und der NSU-Generalvertreter Hermann Schlessmann für ihre Idee, auf das Nischenprodukt Kinderroller zu setzen. 1950 wurde der erste Roller mit luftgefüllten Reifen auf der Spielwarenmesse in Nürnberg vorgestellt – zunächst unter dem Namen Puck. Nach einem Namensstreit mit der österreichischen Marke Puch wurde daraus Puky. 1958 erfolgte der Umzug von Düsseldorf nach Wülfrath bei Wuppertal. Noch heute gehört das Unternehmen mehrheitlich den Nachfahren der Gründer. Den Umsatz beziffert das Management auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Von den 150 Mitarbeitern sind 35 im Werk Oppeln in Polen beschäftigt. Der Exportanteil liegt nach Unternehmensangaben bei gut 30 Prozent.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Merx
Bildnachweis: Puky