Experten sehen die Ruhe vor dem Sturm (BNN-Artikel vom 23.04.2020)
Zahl der Firmeninsolvenzen und Anfragen bei Schuldnerberatern sind bislang nicht gestiegen. Es ist die berühmte Ruhe vor dem Sturm. [...]
Von unserem Redaktionsmitglied Dirk Neubauer
Karlsruhe. Es ist die berühmte Ruhe vor dem Sturm, von der sowohl Daniel Bär (Creditreform Karlsruhe) als auch Antje Viedt (Sozialberatung für Schuldner beim Caritasverband Karlsruhe) sprechen. Sowohl die Zahl der Unternehmensinsolvenzen als auch die Zahl der Beratungsanfragen von besorgten Privatleuten ist in der Region bislang nicht in die Höhe geschnellt.
„Wir sind selbst überrascht. Es hat sich kaum etwas verändert“, sagt Antje Viedt, Teamleiterin bei der Schuldnerberatung des Caritasverbandes. „Ich gehe davon aus, dass die Menschen im Moment noch einigermaßen abgesichert sind oder von Rücklagen zehren.“ Aber im Mai dürfte sich die Situation verändern, wenn auch die Zahl der Kurzarbeiter aus Viedts Sicht in die Höhe schnellt. Dieses Instrument der Bundesagentur für Arbeit sei zwar gut. Die Menschen bekommen unter dem Strich aber deutlich weniger Geld auf ihr Konto überwiesen. Etliche werde dies in Schwierigkeiten bringen. Deshalb spricht sich Viedt dafür aus, dass das staatliche Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent erhöht wird.
Viedt sagt, sie könne derzeit nicht einschätzen, ob ihr vierköpfiges Team den erwarteten Anstieg abdecken könne. Der Caritasverband Karlsruhe berät alle Privatleute, auch Rentner. Ausgenommen sind Selbstständige. „Wir tun, was wir können“ – in Corona-Zeiten natürlich telefonisch oder online. Für ein Erstgespräch gebe es derzeit eine Wartezeit von zwei Monaten, zeitweise waren es früher bis zu sechs Monate. Wer aber die Onlineberatung nutzt, die der Caritasverband bundesweit anbietet, bekommt nach Viedts Worten in der Regel innerhalb von 24 Stunden eine Auskunft. Oft könne man die Menschen beruhigen.
„Wir hatten in der Region eine leicht rückläufige Überschuldungssituation bei den Privatleuten“, erinnert Daniel Bär an die Ausgangssituation vor der Corona-Pandemie. Er ist Pressesprecher von Creditreform Karlsruhe, die für das Gebiet von Waghäusel über Karlsbad bis Achern zuständig ist. Creditreform ist bundesweit der Marktführer. Man könne nicht sagen, die Menschen seien von heute auf morgen zahlungsunfähig. Bär: „Wir denken aber schon, dass das dicke Ende irgendwann noch kommt.“
Baden-Württembergs Sparkassenpräsident Peter Schneider hatte kürzlich darauf hingewiesen, dass allein die Südwest-Sparkassen bis Mitte April Raten für 12.400 Darlehen von privaten Kreditnehmern ausgesetzt haben. Die Sparkassen gehen laut Schneider über den seit 1. April geltenden gesetzlich vorgegebenen Zeitraum von drei Monaten hinaus. Sie böten an, die Raten bis zu sechs Monate auszusetzen. Den Privatkunden seien bislang mehr als 27 Millionen Euro gestundet worden.
Zurück zu Creditreform: Bei den Unternehmen ist es nach Bärs Worten „im Moment noch sehr ruhig“. Vom 1. März bis 18. April habe es in der Region 50 Insolvenzen gegeben. Im Vergleichszeitraum 2019 waren es 49. Bär ist überzeugt: „Die Bugwelle wird im Herbst kommen.“
Zum Hintergrund: Normalerweise müssen betroffene Unternehmen innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag beim Amtsgericht stellen – sonst droht ihnen Strafe. In Fällen, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Firma auf Corona-Folgen beruht, hat der Gesetzgeber diese Regelung bis zum 30. September ausgesetzt. Unternehmen, die jetzt in Not sind, hoffen und bangen. Sie setzen beispielsweise auf staatliche Soforthilfe, KfW-Förderkredite und Kurzarbeiterregelungen.
Mehr Unternehmen als üblich fragen derzeit bei Creditreform an, was über sie in deren Bonitäts-Datenbank gespeichert ist. Sie wollten mit dem entsprechenden Wissen in die Gespräche mit ihren Hausbanken gehen, die auch Ansprechpartner für Förderkredite sind. Creditreform gehe mit Augenmaß vor, betont Bär. In bestimmten Branchen gebe es eine Textergänzung bei den Auskünften. Sprich: einen Hinweis, dass das Unternehmen von der Corona-Krise betroffen ist.
Creditreform ist auch Inkasso-Dienstleister. „Bei Unternehmen herrscht eine große Unsicherheit, wie mit den Forderungen umgegangen werden soll.“ Entsprechend groß sei der Beratungsbedarf. Bedingt durch die Corona-Krise darf beispielsweise einem gewerblichen Mieter nicht gekündigt werden, wenn er zwei Monate mit seiner Miete im Rückstand ist.
Heftig sei die Lage vor allem für Gastronomie, Hotellerie, Tourismuswirtschaft und den Messebau. Bär: „Ich habe mit einem Messebauer gesprochen, der gibt nach 20 Jahren sein Geschäft auf. Er sagt, sonst müsste sein Einfamilienhaus drauf gehen.“
Gewinner der Krise – wobei Bär dieses Wort in Anführungszeichen setzt – gebe es auch. Er nennt einen Kunststoffhändler. Das Material werde zur Herstellung von Desinfektionssäcken,, wie sie Krankenhäuser einsetzen, gebraucht. Und der Einzelhandelskonzern Rewe, ein weiteres Beispiel, ordere verstärkt Einkaufskörbe für seinen florierenden Online-Handel. In denen werden die bestellten Ware bis zu Haustür geliefert.