Ballast abwerfen
Zur Sanierung, zur Liquiditätssicherung oder für die Konzentration aufs Wesentliche: Unternehmen verkaufen momentan häufiger Geschäftsbereiche, um sich zu optimieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Solch ein Carve-out bedarf einer detaillierten Vorbereitung, weil rechtliche und steuerliche Aspekte eine Rolle spielen. Wie der Teilverkauf ablaufen kann.
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Die Sozietät Gleiss Lutz, ein Haus mit 350 Anwälten, begleitete jüngst die Robert Bosch GmbH beim Teilverkauf ihres Geschäftsbereichs Brake Components. Die Sparte, die beschichtete Hochleistungsbremsscheiben für die Automobilindustrie herstellt, wurde an eine Beteiligungsgesellschaft der Aequita-Gruppe übertragen. Der Anlass: zu geringe Synergien mit dem Kerngeschäft von Bosch.
„Für uns ist es eine tolle Ergänzung unserer Automotive-Sparte. Aufbauend auf dem Know-how der qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiter, wollen wir das Unternehmen zu einem führenden und zukunftsfähigen Bremsscheibenhersteller machen“, erklärt Christoph Himmel, geschäftsführender Gesellschafter der Aequita-Gruppe. Rund 900 Mitarbeiter wechselten mit zu den neuen Eigentümern. Aufgrund der Komplexität des Carve-outs waren allein bei der Kanzlei Gleiss Lutz über 20 Experten für M&A, Arbeits-, Kartell- und Gesellschaftsrecht sowie Steuerfragen involviert. Die Vorbereitungen dauerten mehr als drei Jahre.
Trend zum Carve-out
Carve-outs – die Ausgliederung und Veräußerung von Unternehmensbereichen – sind keine Seltenheit mehr. Auch andere Konzerne wie Daimler, Bayer, ZF oder Thyssenkrupp setzen zunehmend auf diese Strategie. Experten sprechen aufgrund der aktuellen Konjunkturkrise momentan sogar von einer Art Trend. Nach einer Studie des Beratungshauses EY stieg die Zahl der angekündigten Teilverkäufe in den Jahren seit 2020 deutlich. Als Gründe führen die Autoren in erster Linie die Unsicherheiten an den Finanzmärkten und ein schwieriges Umfeld sowie die Zinswende an. In allen Branchen – vor allem in der Industrie und im Gesundheitswesen – beobachten die Berater eine „erhöhte Trennaktivität“.
Insbesondere kommt es vermehrt zu sogenannten Distressed Carve-outs. Dabei geht es darum, das Kernunternehmen vor existenziellen Schwierigkeiten zu bewahren. Firmen wollen defizitäre Sparten ausgliedern oder abstoßen. „Die einzelnen Unternehmensteile werden immer kleiner, um agiler zu sein“, sagt Jens Ekopf, Partner der auf den Mittelstand und Familienunternehmen spezialisierten Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner in München.
Ein Carve-out kann aber auch einfach dazu dienen, „sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, nicht mehr zur Geschäftsstrategie passende Bereiche auszugliedern und sich zukunftsfähig und wettbewerbsorientiert neu auszurichten“, sagt Nils Koerber, M&A-Berater und Gründer von Kern – Zukunft für Lebenswerke am Standort Bremen. Die Gesellschaften wollen ihre Profitabilität verbessern und ihre Risiken minimieren. Einzelne Unternehmensteile werden mit dem Ziel herausgelöst, langfristig den Unternehmenswert zu steigern. „Ein Carve-out muss nicht immer zum Verkauf führen. Diesen denkt man zwar meistens bei den Vorbereitungen mit. Aber eine Ausgliederung in eine neue Gesellschaft kann ausreichen, um die finanzielle Unabhängigkeit dieses Bereichs, eine agile Portfoliosteuerung und eine bessere Ergebnissteuerung zu erreichen“, sagt Ekopf.
Hintergrund: In vielen Unternehmen konkurrieren einzelne Bereiche miteinander. „Man segmentiert den Markt und trennt sich von einer Sparte, die strategisch nicht mehr passt“, so Ekopf. Wenn verlustbringende Bereiche abgestoßen werden, setzt das liquide Mittel frei, die Finanzierungsstruktur verbessert sich. Man wird entweder Schulden los oder man generiert Liquidität. Carve-outs sind zwar mit hohen Kosten verbunden und bringen gravierende Veränderungen in der Organisation des Unternehmens, aber die Ausgliederung generiert Wertschöpfungspotenziale – sofern das Projekt sorgfältig vorbereitet und konsequent umgesetzt wird.
Betriebsübergang vorbereiten
Berater Ekopf ermittelt im ersten Schritt in einem Strategie-Workshop mit den Anteilseignern, den Vorständen sowie den Beiräten, welches Ziel sie mit einem Carve-out grundsätzlich verfolgen. Das Team modelliert verschiedene mögliche Szenarien, wobei hier sofort arbeitsrechtliche, steuerliche und gesellschaftsrechtliche Folgen ins Kalkül zu ziehen sind. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Fachanwälte für Arbeits- und Gesellschaftsrecht sind daher in der Regel bereits beim ersten Workshop mit im Boot.
Die Verträge mit den Mitarbeitern sind zum Beispiel regelmäßig ein großes Thema. „Mitarbeiter sind bei einem Betriebsübergang vor Kündigungen geschützt“, sagt Olaf Lüke, Rechtsanwalt und Senior Partner der Kanzlei DHPG in Bonn. Bei großen Unternehmen sind deshalb regelmäßig intensive und oft langwierige Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu führen. „Passieren Fehler bei der Planung, drohen arbeitsrechtliche Ansprüche der Beschäftigten gegen beide Gesellschaften“, warnt Lüke.
Genauso bestehen steuerliche Risiken. Bei einem Carve-out muss man genau überlegen, welche Werte gebündelt auf eine andere Gesellschaft übergehen sollen. „Man kann einen Teilbetrieb als eine funktionierende Einheit steuerneutral übertragen, einzelne Vermögenswerte in der Regel nicht“, so Lüke. Zur Unterscheidung: Das Finanzamt versteht unter einem Teilbetrieb einen organisatorisch in sich geschlossenen Bereich des Unternehmens, der alle Merkmale eines Betriebes aufweist. „Inwieweit die Kriterien erfüllt sind, subsumieren Steuerexperten vorab im jeweiligen Einzelfall“, so Lüke. Im Zweifel bedarf es einiger Umstrukturierungen, „um das Erfordernis eines Teilbetriebes zu erfüllen“, erläutert Lüke.
Nur: Es können bei einem Verkauf oder einer Übertragung auf eine eigene Gesellschaft stille Reserven aufzudecken sein, was Steuerzahlungen zur Folge hat. Bei einer Ausgliederung oder Abspaltung kann sich gesellschaftsrechtlich auch keine Partei der Haftung für bestehende Verbindlichkeiten entziehen. „Die Gläubiger können sowohl auf die übertragende als auch auf die übernehmende Gesellschaft zugreifen“, so Lüke. Die Frist beträgt nach der Abspaltung fünf Jahre. Heißt: Wenn ein Unternehmen einen Teilbetrieb auf eine neu gegründete Gesellschaft ausgliedert, haften Verkäufer und Käufer gemeinsam für deren Altverbindlichkeiten. „Das kann ein Dealbreaker sein, weshalb dann ein Asset Deal interessant sein kann“, so Lüke. Dabei würden nur einzelne Vermögenswerte separiert.
Das Problem mit den Schulden besteht dann nicht. „In der aktuellen Krisensituation erfolgen Carve-outs nach unseren Erfahrungen deshalb häufiger in Form eines Asset Deals“, beobachtet Lüke. Aber das Risiko bleibt, dass stille Reserven frei werden. Ein Grund, warum ein Asset Deal vor allem dann infrage kommt, wenn der Betriebsbereich nicht profitabel wirtschaftet und „daher keine stillen Reserven hat“, so Lüke. In solchen Fällen vereinbaren die Parteien in der Regel einen sehr niedrigen Kaufpreis. Möglicherweise ist dieser sogar negativ. Der Verkäufer gibt Geld, damit der Übernehmer überhaupt einsteigt. Der Verkäufer hat den Vorteil, den nicht profitablen Bereich aus seiner Bilanz lösen zu können.
Käufer finden
Auf jeden Fall sollte es derzeit keine Schwierigkeit bereiten, einen Interessenten zu finden – so die Erfahrung der Experten. Ansprechpartner sind in der Regel Unternehmensberater, Private-Equity-Gesellschaften oder Investmentbanken. „Wir haben relativ lange Listen, falls wir einen Käufer suchen. Häufiger sprechen uns Investoren sogar selbst an, wenn sie sich für eine bestimmte Sparte oder konkret für eine Firma interessieren und expandieren wollen“, berichtet Jens Ekopf von Dr. Wieselhuber & Partner. M&A-Berater Nils Koerber arbeitet häufiger mit sogenannten Marktwertverfahren. „Wir erstellen zuerst anonymisierte Exposés, aus denen sich nicht erkennen lässt, um welche Firma es sich handelt. Wir verfälschen bewusst manchmal sogar die Standorte und die Regionen und verwenden nur Stock-Fotos“, sagt er. So lässt sich ermitteln, was der Markt neutral bereit wäre zu zahlen. „Via Blindtest können die Unternehmer entscheiden, ob sie den Prozess in der aktuellen Situation weiterführen wollen oder abwarten und ihre Wertsteigerungsstrategien voranbringen“, so Koerber.
Phasen des Carve-outs
Für einen Teilverkauf müssen Unternehmer in der Regel mehrere Monate oder sogar Jahre einplanen. Die Vorbereitungen folgen einem definierten Ablaufplan. So geht die Unternehmensberatungsgesellschaft Dr. Wieselhuber & Partner vor:
- Strategische Unternehmensanalyse
Im ersten Schritt erfolgen eine Analyse der Ist-Situation sowie eine Risikobewertung des Teilbereichs. Man eruiert alternative Szenarien und entscheidet dann, ob der Verkauf oder eine Ausgliederung in eine neue Gesellschaft überhaupt interessante Optionen sind.
- Sondierung des Marktes
Bei einem Verkauf folgt die Marktanalyse, also die Beantwortung der Frage, für welche Investoren sich ein Engagement anbieten kann. Es folgen Sondierungsgespräche mit möglichen Käufern. Wichtig ist in dieser Phase bereits eine Moderation unterschiedlicher Interessen von Management, Mitarbeitern und Gesellschaftern – gegebenenfalls auch Kunden und Lieferanten. Arbeitnehmervertretungen wären möglicherweise auch frühzeitig einzubinden.
- Carve-out
Die Unternehmensberater erstellen zwei Strukturorganisationen des jeweiligen Unternehmens – alt und neu. Die einzelnen Vermögensgegenstände, die Übertragung von immateriellen Assets und Lieferverträgen, aber auch neue Produktportfolien, Vertriebswege und Marketingauftritt werden jetzt zugeordnet. Gleichfalls sind vor allem die Mitarbeiterkapazitäten entsprechend zu allokieren.
- Begleitung des Deals bis zum Abschluss
Der Käufer erhält alle notwendigen Due-Diligence-Unterlagen zur Bewertung und zur Prüfung des Unternehmensbereichs. Man berät sich über die Details des Kaufvertrags.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger
Bildnachweis: Getty Images