Deutschland braucht mehr gute Gründer

Wo sind sie, die mutigen Gründer, die Startups mit innovativen Ideen? Sie werden immer weniger. Die Zahl der Unternehmensgründungen sinkt, zuletzt um 7 Prozent. Ursachen gibt es viele – die Demografie, die unsichere Konjunktur. Aber es gibt auch Hoffnung, sagt Sandra Gottschalk. Die Wirtschaftswissenschaftlerin forscht am ZEW in Mannheim zu Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik und erklärt, warum die deutsche Wirtschaft gerade jetzt junge Unternehmen mit guten Ideen braucht.

Sandra Gottschalk (Wirtschaftswissenschaftlerin am ZEW) erklärt im Gespräch mit Jana Samsonova (Handelsblatt Media Group), warum die deutsche Wirtschaft gerade jetzt junge Unternehmen mit guten Ideen braucht. Ihre aktuelle Studie zum Gründungsgeschehen in Deutschland, die in Kooperation mit Creditreform entstanden ist, erscheint Mitte Mai.

Episodenbild: © Anna Logue Fotografie

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Jana Samsonova [00:00:00] Eine erfolgreiche Volkswirtschaft ohne Unternehmensgründer oder Startups? Kaum vorstellbar. Denn genau sie sind es, die neue, innovative Produkte schaffen und die Arbeitskultur verändern. Im besten Fall wachsen sie rasant zu größeren Organisationen heran und schaffen viele neue Arbeitsplätze. Es gibt aber auch eine andere Seite. Ein Unternehmen zu gründen, ist immer auch ein Wagnis. Und immer weniger Menschen sind bereit, dieses Wagnis auf sich zu nehmen. Zum Vergleich: Zwischen 1995 und 2004 wurden jedes Jahr im Schnitt 240.000 Unternehmen gegründet. Seit 2012 sind es jährlich nur noch 170.000 Neugründungen. Mein heutiger Gast beobachtet das Gründungsgeschehen in Deutschland seit vielen Jahren. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin am Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und sagt: Der Standort Deutschland muss aufpassen, dass er den Anschluss nicht verliert. Und zwar gerade in Zeiten wie diesen, in denen Energiekrise, Inflation, Fachkräftemangel und Co. Gründern das Leben zusätzlich schwer machen. Mein Name ist Jana Samsonnova und bei mir begrüße ich Sandra Gottschalk. Herzlich willkommen!

Sandra Gottschalk [00:01:10] Hallo!

Jingle: Gute Geschäfte. Business Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform-Podcast.

Jana Samsonova [00:01:29] Frau Gottschalk, Sie forschen ja seit vielen Jahren zu Unternehmensgründungen und Startups. Der Ukraine-Krieg hat dem ohnehin schon rückläufigen Gründungsgeschehen einen zusätzlichen Dämpfer versetzt. Hat es eine Situation wie im vergangenen Jahr eigentlich schon einmal gegeben?

Sandra Gottschalk [00:01:43] Nein, in den letzten zwei Jahrzehnten eigentlich nicht. Die Gründung sind jetzt, 2022 um 7 % zurückgegangen. Das ist ein relativ starker Abfall. Die letzte Finanzkrise, die wir hatten oder die Wirtschaftskrise, die war ja 2008, 2009. Damals gab es ja einen ähnlichen wirtschaftlichen Einbruch. Allerdings sind damals die Gründungszahlen nicht so stark zurückgegangen. Im Gegenteil, sie sind sogar um fast 6 % gestiegen. Und damals führten wir diesen Anstieg zurück auf die besondere wirtschaftliche Situation und auch die Konjunkturpakete, also die Wirtschaftsförderinstrumente, die damals aufgesetzt wurden. Also so gab es in dieser Zeit zum einen Chancengründungen, die ein bisschen durch die damalige Förderpolitik verursacht worden. Also man denke zum Beispiel an die Abwrackprämie. Andererseits stieg auch die Anzahl der sogenannten Notgründungen. Das sind Gründungen, die stattfinden, wenn Unternehmensgründereinnen und -gründer mangelnde Beschäftigungsalternativen haben. Das heißt, sie finden nicht so leicht eine Anstellung in abhängiger Beschäftigung. Und dann kommt es sozusagen aus der Not heraus zu einer Gründung. Und diese Art von Gründung haben wir damals vielfach beobachtet. Es gab aber zu dem Zeitpunkt auch noch einen anderen Effekt. Die Gründungen wurden damals erleichtert durch die Initialisierung der sogenannten Unternehmergesellschaft. Das ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Allerdings muss dabei nur ein Startkapital von einem Euro angesetzt werden. Und das führte damals denke ich auch zu einer erhöhten Gründungstätigkeit. Aber die jetzige Krise ist eigentlich sehr stark beeinflusst durch die schlechte wirtschaftliche Situation. Also wir haben unsichere Konjunkturaussichten, wir haben eine hohe Inflation. Ferner beobachten wir aber auch längerfristig einen Rückgang des Gründungsgeschehens und das führen wir im Wesentlichen auf den demografischen Wandel zurück.

Jana Samsonova [00:04:07] Sie haben eben schon das Stichwort Konjunktur genannt. Was genau macht das Gründen denn aktuell so schwer, wenn Sie es einmal konkretisieren würden?

Sandra Gottschalk [00:04:14] Ja, das sind natürlich zum einen die steigenden Energiekosten und dann auch Inflation, die ist vor allem auf unterbrochene oder verzögerte Lieferprozesse von Materialien oder Vorprodukten zurückzuführen. Und das alles beeinflusst das Gründungsgeschehen sehr stark, dabei natürlich insbesondere in energieintensiven Branchen das verarbeitenden Gewerbes. Ferner beobachten wir auch - das hängt auch mit dem demografischen Wandel zusammen - einen Fachkräftemangel, und das in allen Branchen. Also die Unternehmen und das Gründungsgeschehen werden auch gehemmt dadurch, dass es einfach nicht genügend Fachpersonal gibt. Und jüngere Unternehmen leiden dann insbesondere unter Fachkräftemangel, weil sie ja mit den anderen größeren Unternehmen um diese Fachkräfte konkurrieren. Und oftmals schneiden sie dabei schlechter ab, denn größere Unternehmen können eigentlich höhere Löhne bieten und oftmals auch bessere Arbeitsbedingungen. Das heißt, jüngere Unternehmen müssen sich eigentlich was einfallen lassen, um Fachkräfte zu gewinnen und auch zu halten. Und dann gibt es natürlich auch noch ein gestiegenes Finanzierungsrisiko. Also jetzt sind ja gerade die Zinsen gestiegen, das heißt auch Kreditkosten werden höher. Das heißt, die Gründung ist mit hohen Opportunitätskosten verbunden. Also das Gründen wird risikoreicher durch die gestiegenen Kosten. Auf der anderen Seite wird eine abhängige Beschäftigung immer attraktiver, weil die Lohnaussichten zumindest zurzeit noch sehr gut sind.

Jana Samsonova [00:05:54] Mit Blick auf die grüne und die digitale Transformation braucht Deutschland neue Unternehmen mit frischen und innovativen Ideen. Wie sehr muss uns denn die aktuelle Entwicklung beunruhigen?

Sandra Gottschalk [00:06:06] Ja, Deutschland kann in dieser Transformationsphase tatsächlich Impulse von Gründerinnen und Gründer gut gebrauchen. Also wir brauchen sowohl einen Schub im Bereich der Digitalisierung als auch im Bereich nachhaltiger Technologien und nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Und genau das ist jetzt gerade ein Problem. Wir beobachten einen Rückgang bei Hightech Gründungen im verarbeitenden Gewerbe, aber auch bei Dienstleistungen in der Informations- und Kommunikationsbranche. Und das ist natürlich kontraproduktiv. Auch im Fahrzeugbau ist die Gründungstätigkeit 2021 zwar wieder leicht angestiegen, nachdem sie eine längere Zeit auf einem geringen Niveau stagnierte. Das trägt möglicherweise der Situation im deutschen Automobilbau Rechnung, die die zögerliche Reaktion dieses Industriebereichs auf die Umweltschutzbedingte Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren widerspiegelt. Und ja, in der jetzigen Zeit bräuchten wir eigentlich genau in diesen Branchen mehr Gründungen. Und diese Art von Gründungen wurden ausgerechnet jetzt sehr stark ausgebremst. Aber wir haben auch einen Gewinner der derzeitigen Krisensituation. Also das ist der Sektor Energieversorgung. In diesem Bereich sehen wir ja jetzt gerade deutlich mehr Gründungen. Das sind dann zum Beispiel Gründung im Bereich Photovoltaikanlagen, Windkraftanlagen.

Jana Samsonova [00:07:33] Noch ein Stichwort. Was jetzt öfter gefallen ist, ist das Stichwort demografischer Wandel. Langfristig bremst ja auch dieser das Gründungs geschehen. Welche Trends beobachten Sie?

Sandra Gottschalk [00:07:43] Ja, die gründungsaffinen Altersgruppen, 30 bis 45 Jahre, die werden immer kleiner. Also der demografische Wandel verstärkt also nicht nur den Fachkräftemangel, den ich schon erwähnt habe, sondern leider auch die die Anzahl der Personen in diesen Altersgruppen, die eigentlich eine hohe Gründungsneigung traditionell haben. Zum Teil wird dieser Abschwung kompensiert dadurch, dass der Anteil der Gründerpersonen in der Gruppe der älteren Personen größer wird. Das heißt der Anteil der 50 bis 59 -Jährigen zum Beispiel, der steigt aber auch überproportional in der Gruppe der Gründerpersonen. Das heißt, diese Gruppe wird immer gründungsaffiner. Wir führen das im Wesentlichen darauf zurück, dass natürlich Personen in diesen Altersgruppen viel gesünder sind als in früheren Generationen. Sie sind viel fitter. Gleichzeitig sind diese Personen aber auch vermögender als in anderen in früheren Kohorten. Das heißt, das Gründen wird für diese Personen eigentlich attraktiver. Gleichzeitig gründen diese Personen auch häufiger mit jüngeren Gründern zusammen. In einem Team, also in der Literatur bezeichnet man ältere Personen häufiger als Founding-Angels. Das heißt, sie unterstützen attraktive Gründungsprojekte besonders von innovativen Gründungen durch ihr Kapital und machen solche Gründungen damit dann auch erfolgreicher. Das heißt, wir haben hier gegenläufige Trends. Zum einen den Rückgang von gründungsaffinen Gruppen und gleichzeitig das Älterwerden im Durchschnitt der Gründungsteams. Ich glaube allerdings nicht, dass der zweite Effekt den ersten Effekt aufwiegen kann. Also am stärksten wirkt hier tatsächlich der demografische Wandel und der Fachkräftemangel auf das Gründen.

Jana Samsonova [00:09:44] Und wenn wir jetzt auf lange Sicht nicht mehr Gründungen sehen werden, was ist denn dann die Alternative? Also brauchen wir nicht schlicht bessere Gründungen oder solche, die sich schneller am Markt durchsetzen und die entscheidenden Wirtschaftsbereiche besetzen?

Sandra Gottschalk [00:09:57] Grundsätzlich würde ich sagen, dass das in den letzten Jahren schon passiert ist. Also die Schließungsrate von Gründungen ist zurückgegangen in den letzten beiden Jahrzehnten. Also es ist schon sehr gut. Also die Überlebenswahrscheinlichkeit von Gründungen ist gestiegen, insbesondere im Industriebereich. Also nach drei Jahren existieren immer noch gut 80 % der Gründungen im Durchschnitt. Grundsätzlich würde ich eher sagen, dass eine Volkswirtschaft auch davon profitiert, wenn Innovationen von großen Unternehmen generiert werden. Aber: Gründungen sind besonders wertvoll, besonders da, wo eine hohe Nachfrage ein Gründungsprojekt sinnvoll macht. Außerdem können Gründungen bisherige Nischen besetzen, wenn etablierte Unternehmen dies nicht tun. Also wünschenswert aus volkswirtschaftlicher Sicht sind gerade zurzeit vor allem Gründungen, die innovative Produkte und Dienstleistungen im Markt einführen und damit zur Transformation der Wirtschaft beitragen. Solche Gründungen sind eher in den sogenannten forschungsintensiven Industriebranchen oder den technologieorientierten Dienstleistungssektoren wie zum Beispiel bei der Softwareentwicklung zu verorten. Gerade vieldiskutierte Stichworte wären hier die künstliche Intelligenz und smarte Industrieproduktion. Ein Stichwort ist da Industrie 4.0. Und natürlich Umwelttechnologien bei der Energieversorgung. Photovoltaikanlagen, Windkraftanlagen, Wärmepumpen fallen mir dazu noch ein. Aber gerade diese Gründungsprojekte sind ganz besonders risikoreich, weil bei einer Innovation, insbesonders wenn es sich um eine radikale Innovation handelt, nicht immer eindeutig vorausgesagt werden kann, ob die Nachfrage groß genug ist oder ob sie die gewünschten Effekte erzielt. Und deshalb beteiligen sich Banken auch eher zögerlich an solchen riskanten Gründungsprojekten. Da springen dann oft Privatinvestoren oder Venture Capital, also Wagniskapitalgesellschaften ein. Sie füllen häufig diese Lücke bei bei Finanzierungsengpässen. Es gibt aber auch eine Reihe von staatlichen Förderprogrammen, die innovative Unternehmensgründungen fördern.

Jana Samsonova [00:12:19] Von den Gründungen überleben 80 %. Was können Sie denn über die 20 % sagen, die es nicht schaffen? Immerhin haben die Gründer ja schon einmal Risikobereitschaft bewiesen. Verdienen die nicht auch eine zweite Chance?

Sandra Gottschalk [00:12:33] Bedingt. Hier ist ein differenzierter Blick nötig. Wir haben in einer Studie analysiert, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Neugründung von gescheiterten Gründern das erste Jahr überlebt, 3,8 Prozentpunkte unter der von Erstgründern liegt. Dabei haben wir unterschiedliche weitere unternehmensspezifische Faktoren berücksichtigt. Das sind zum Beispiel die Branche und natürlich dann die Beschäftigung, die Unternehmen schaffen, Innovationsaktivitäten, die Finanzierung und aber auch die Eigenschaften der Gründer. Wir haben nämlich herausgefunden, dass gescheiterte Gründerinnen und Gründer bei vielen Merkmalen von Erstgründern abweichen, etwa bei ihrem Alter, beim Bildungsabschluss, Erfahrung mit Leitungsfunktion, aber auch bei der Branche der Neugründung. In unserer empirischen Analyse haben wir allerdings gesehen, wenn wir für diese Unterschiede kontrollieren, dass die nicht ausschlaggebend sind für den Erfolg der Unternehmensgründung. Daher stellen wir mit dieser Studie Förderprogramme für gescheiterte Unternehmensgründerinnen und Gründer in Frage. Also oftmals werden solche Programme aufgesetzt, die keine grundsätzliche Prüfung des Vorhabens vornehmen, oder dass das heißt, dass man nicht mehr differenziert zwischen verschiedenen Gründungsvorhaben. Die Bundesregierung hat zum Beispiel in ihrem Koalitionsvertrag Erleichterungen für Gründer vorgesehen, die neben einer Unterstützung bei der Start-up-Finanzierung eine Kultur der zweiten Chance etablieren wollen. Also unsere Studie weist darauf hin, dass hier eine differenziertere Herangehensweise sinnvoller wäre. So wäre es lohnend, geeignete Unternehmerinnen aus der Gruppe der gescheiterten Gründerinen herauszufiltern und so zielgerichtet zu unterstützen. Die gesamte Gruppe der gescheiterten Gründerinnen bei weiteren Neugründungen zu unterstützen, wäre demnach eine Ressourcenverschwendung, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden könnte. Also das würde sowohl den einzelnen Unternehmerinnen und Unternehmern als auch der Gesellschaft insgesamt schaden.

Jana Samsonova [00:14:47] Ich halte fest Die zwei großen Themen, die uns in Zukunft noch weiter beschäftigen werden, sind die Themen Fachkräftemangel und demografischer Wandel. Und wenn es darum geht, Gründern, die bereits gescheitert sind, eine zweite Chance zu geben, lautet die Antwort, dass es bedingt sinnvoll ist.

Jana Samsonova [00:15:07] Frau Gottschalk, vielen Dank für das Gespräch und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danke ich fürs Einschalten.

Jingle: Gute Geschäfte. Business Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform-Podcast.



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