ENTSCHEIDUNGEN

„Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist groß“

In wirtschaftlich unsicheren Zeiten wächst die Furcht vor Fehlern. Eine berechtigte Sorge, weiß Verhaltenswissenschaftler Michael Zürn. Er forscht am Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) und verrät, was Führungskräften hilft, die richtigen zu treffen.

Sie sagen, die Scheu vor Risiken sei bei Führungskräften größer als in anderen Teilen der Bevölkerung. Wie haben Sie das herausgefunden?

In einem Experiment haben wir 400 Entscheider aus den größten US-amerikanischen Unternehmen vor die Wahl gestellt, ob sie eine Innovation auf den Markt bringen oder nicht. Das Experiment haben wir mit Personen wiederholt, die keine Führungsposition innehaben. Letztere votierten deutlich häufiger für die Innovation als die Topmanager. Besonders bei schwierigen Rahmenbedingungen – im Experiment hatte ein Wettbewerber die Innovation bereits auf den Markt gebracht, und für unsere Entscheider ging es darum, ob sie nachziehen oder nicht – entschieden sich die Führungskräfte häufiger dafür, den Status quo zu wahren.

US-Amerikaner gelten als offener, was das Scheitern angeht, und werden auch oft als risikobereiter wahrgenommen. Inwiefern lassen sich die Ergebnisse auf deutsche Führungskräfte übertragen? Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, aber wir beziehen unsere Ergebnisse auf grundlegende Prozesse der menschlichen Psychologie. Zudem ist sowohl die Ausbildung von Führungskräften als auch die Zusammensetzung von Teams zunehmend international.

Also unabhängig vom Standort: Wenn es brenzlig wird, scheuen sich Manager eher, etwas Neues auszuprobieren …

Ja. Unsere Ergebnisse lassen diese Schlussfolgerung zu.

Woher kommt die Risikoaversion?

Oft wollen sie nicht riskieren, eine Entscheidung im Nachhinein zu bereuen. Dieses Verhalten basiert auf dem sogenannten Status-quo-Bias. Das bedeutet, Menschen wählen lieber den Status quo als etwas Neues, weil sie fürchten, den aktiven Eingriff in das Bestehende stärker zu bereuen als Untätigkeit, sollte die Sache am Ende schiefgehen. 

Ist die Sorge vor Fehlentscheidungen denn berechtigt? 

Bei Entscheidungen ist es so, dass wir uns zwar wünschen – und auch erwarten –, dass sie auf Fakten basieren. Unser Urteilsvermögen ist aber oft getrübt.

Wie kann ich mir das vorstellen?

Es gibt Einflüsse, die Urteile unbewusst verzerren – wie der zuvor erwähnte Status-quo-Bias, die Präferenz für das Bestehende. Wir merken oft nicht, wenn wir uns beeinflussen lassen. Deshalb ist es auch so schwer, es nicht zu tun. Auch sogenannte Ankereffekte wirken sich oft unbemerkt auf unser Urteilsvermögen aus. Stellen Sie sich vor, man fragt Sie, ob ein Bundesbürger durchschnittlich mehr oder weniger als 80.000 Euro für einen Neuwagen ausgibt. Die meisten werden sagen, dass es weniger ist, doch wird die Schätzung wahrscheinlich höher ausfallen, als wenn zuvor gefragt worden wäre, ob es mehr oder weniger als 8.000 Euro sind. 

Sie haben auch herausgefunden, dass Manager Entscheidungen oft unnötig herauszögern. Woran liegt das?

Gerade in einer Zeit wie der aktuellen müssen Entscheider in den Unternehmen so viele Einflussgrößen berücksichtigen – Konjunktur, Inflation, Kriege, Klimakrise, Fachkräftemangel und vieles mehr. Es ist nachvollziehbar, wenn sie warten, in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann alle nötigen Informationen vorliegen. Eine perfekte Informationsbasis wird es aber praktisch nie geben, weil es in einer komplexen Welt wahnsinnig viele Faktoren gibt, die sich auf den Erfolg oder Misserfolg von Geschäftsmodellen und Innovationen auswirken. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Risiken, die von Fehlentscheidungen ausgehen, häufig sehr groß sind. 

Was können Entscheider gegen unbewusste Einflüsse tun?

Jeder Mensch unterliegt je nach Situation anderen Urteilsverzerrungen. Es ist daher sinnvoll, Entscheidungen in Teams und in verschiedenen Settings zu diskutieren, um zu vermeiden, dass die Urteilsverzerrungen Einzelner Entscheidungen bestimmen. Und es hilft, sich überhaupt erst mal bewusst zu machen, dass unsere Urteile oft von systematischen Verzerrungen geprägt sind. Dann kann man vor der Entscheidung noch nachjustieren.

Urteilsverzerrungen, die Sie kennen sollten

Ankereffekte: Ein Urteil (etwa über die erwarteten Kosten eines Projekts) wird unbewusst von Informationen aus der Umgebung beeinflusst – selbst wenn sie gar nichts mit dem eigentlichen Urteil zu tun haben.

Ähnlichkeitsprinzip: Die Entscheidung für etwas Neues benötigt oft ein anderes Denken im Unternehmen als die Überzeugungen, die gerade vorherrschen. Doch Menschen mögen eher das Vertraute. Beispiel: Manager tendieren dazu, Personen einzustellen, die ihnen ähnlich sind, was dazu führt, dass sich auch die auf der Führungsebene vorherrschenden Meinungen ähneln.

Attentismus: Die Tendenz, im Gewohnten zu verharren, in dem Glauben, ein Problem werde sich schon von alleine lösen. Bringt etwa ein Wettbewerber eine Innovation hervor, könnte das Unternehmen, dass die Innovation verschlafen hat, dazu tendieren, abzuwarten, ob der Konkurrent scheitert.

Bedrohungsstarre: Menschen, die sich bedroht fühlen, scheuen Innovationen eher – eine verständliche Emotion bei Führungskräften, die Entscheidungen abwägen müssen. Was sollen sie beispielsweise tun, wenn neue Regularien das bisherige Geschäftsmodell bedrohen? Die Innovation könnte der Ausweg sein oder auch noch die letzten rentablen Bereiche aufs Spiel setzen.

Katastrophisieren: Die Tendenz, zu glauben, das Schlimmste trete ein, nur weil es vorstellbar ist. Wenn sich eine Führungskraft, die ein Risiko abwägen muss, vornehmlich mit der Sorge befasst, die Investition könnte ein Fehler und die dafür eingesetzten Mittel könnten verloren sein, geraten rationale Gründe wie Marktanalysen in den Hintergrund.

Status-quo-Bias: Menschen sind eher geneigt, nicht aktiv in Bestehendes einzugreifen. So wollen sie das Risiko verringern, eine Entscheidung zu bereuen.

Verlustaversion: Verluste wiegen schwerer als Gewinne. Dementsprechend wird zum Beispiel ein Umsatzwachstum von drei Prozent weniger intensiv wahrgenommen als ein Umsatzrückgang von drei Prozent, obwohl die Änderung objektiv betrachtet gleich groß ist.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
Bildnachweis: schmitt-photodesign



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