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Jedem Land seine Schulden

Europa macht Schulden – und das hat mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie noch zugenommen. Die Maastricht-Kriterien waren ausgesetzt worden, 2024 sollen sie wieder greifen.

Die EU ruft nun nach Veränderungen, sie wünscht sich individuelle Anpassungen bei den Defizitkriterien und beim Schuldenabbau. Man spricht in Brüssel von der „Bilateralisierung“ der Maßnahmen, die nicht für alle gelten sollen, sondern der Situation und den Möglichkeiten des einzelnen Landes in der Europäischen Gemeinschaft angepasst wären.

Nach der Krise ist vor der Krise

Es war ja nicht nur der Lockdown und die Unterstützungen der Wirtschaft, die viel Geld gekostet haben; der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise machten „Deckelungen“ der Preise notwendig und zwangen zu weiteren Schulden. Und dies vor dem Hintergrund einer schwächelnden Konjunktur, welche die Währungshüter der EZB zur Zurückhaltung beim Aufschlag zu den Leitzinsen aufforderte. So lag Deutschland 2022 beim Bruttoinlandsprodukt noch bei einem Wachstum von 1,8 Prozent – für das laufende Jahr lautet die Prognose plus 0,2 Prozent. Eine Null findet sich auch bei den meisten anderen Staaten der Gemeinschaft – nur kleinere Volkswirtschaften wie Malta mit 3,1 Prozent oder aber Irland mit einem Wachstum von 4,9 Prozent zeigen ein Anspringen der Konjunktur in 2022.  Die Inflation fällt in den Ländern höchst unterschiedlich aus. Während man hierzulande darauf setzt, dass sie sich auf 6,3 Prozent verringert, werden wohl gerade die Länder Osteuropas – das Baltikum, Ungarn und Polen – weiter zweistellige Preissteigerungen hinnehmen müssen. Wider Erwarten zeigten Frankreich und Spanien, die bisher glimpflich davongekommen waren, jüngst wieder deutliche Steigerungen bei den Preisen.

Das BIP wächst kaum, die Schulden steigen – entscheidend ist das Verhältnis der Gesamtschulden einer Volkswirtschaft zu ihrem Bruttoinlandsprodukt. Hier geben sich vor allem die Länder des Baltikums oder Osteuropas solide. Estland etwa hat nur 19,3 Prozent seines BIP an Schulden. Auch Dänemark (32,8 Prozent) hat wie andere nordeuropäische Staaten ein verhältnismäßig geringes Schuldenaufkommen. Dabei ist das Verhältnis von Schulden zur wirtschaftlichen Leistungskraft in Europa festgelegt: Die Grenze liegt bei 60 Prozent. Diese aber wird von den südeuropäischen Staaten Griechenland, Italien und Spanien, aber auch von Frankreich notorisch überschritten. Griechenland hat Fortschritte gemacht und lag 2022 bei gut 171 Prozent, Italien weist 145 Prozent aus, aber auch Frankreich immer noch 112 Prozent. Und auch Deutschland, das sich gerne als Vorbild für solides Wirtschaften darstellt, riss die Latte mit einem Wert von über 67 Prozent im Jahr 2022.

Die Vorgaben des Maastrichter Vertrages werden nicht eingehalten und die Gemeinschaft sieht darüber hinweg. Das soll nun anders werden, die Finanzminister treffen sich, um Lösungen zu finden. Ausgesetzt worden sind die Regeln bereits 2020 und außerplanmäßig hatte man sich für 2023 darauf geeinigt, sie weiter außer Kraft zu lassen. Nun aber ist der Handlungsdruck groß, 2024 wird eine Lösung gebraucht. Es sind ja nicht nur die 60-Prozent-Regeln, sondern auch die Forderung, dass die jährliche Neuverschuldung 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten darf. All das wurde bereits 1997 in Amsterdam festgeschrieben. Klar ist, der Wildwuchs ist zu beschneiden. Dabei ist allerdings bereits der Ansatz zweifelhaft: Die Rede ist nämlich davon, dass es darum geht, den einzelnen Staaten mehr Spielraum beim Schuldenabbau zu geben. Tatsächlich aber geht es wohl eher darum, manchem Mitglied der Gemeinschaft mehr Toleranz bei der Aufnahme von Schulden zuzugestehen. Während Deutschland von verbindlichen Regeln zur Haushaltsdisziplin spricht, führen andere Staaten ins Feld, dass sie ihr schwaches Wirtschaftswachstum fördern müssten und eine Schuldenaufnahme notwendig sei. Klar ist: Werden Regelverstöße nicht geahndet, ist für die „Problemstaaten“ die Tür zu noch höheren Schulden weit geöffnet.

Grüner Umbau kostet

Geld wird in Europa aber nicht nur zur Bewältigung der Krisen benötigt, die möglicherweise bereits beendet sind oder deren Ende zumindest in der Nähe scheint. Teuer wird der Umbau der Wirtschaft, die nachhaltig werden soll und den Erfordernissen des Schutzes der Umwelt anzupassen ist. Die Förderung für E-Automobile und der Umstellung weg von fossilen Energien sind nur zwei Beispiele für Bereiche, wo der Umbau nicht kostenlos zu haben ist. Jede Vorgabe einer „grünen Wirtschaft“ hat sich mit den Hürden für die Betroffenen auseinanderzusetzen. In Deutschland wird der Einsatz neuer Heizungen in den privaten Haushalten ebenso aktuell diskutiert wie der Stromdeckel, der die Industrie in Deutschland im Zeichen teurerer Energie wettbewerbsfähig halten soll. Der Klimaschutz soll unbedingt umgesetzt werden und die EU spricht vom „Green Deal“, von dem man nicht lassen werde. Gerade für Deutschland als Industrie-Nation Nummer eins in Europa wird es schwer werden. Das Klimakommissariat spricht von „grünem Stahl“ für die Zukunft und hält die Umstellung etwa auf Wasserstoff für unbedingt notwendig. Timmermanns sagt dazu, die Welt kommt nicht mehr zurück, wie sie vor der Corona-Krise war. Die Hoffnung ist groß und in der Wirtschaft wüsste man, dass nur nachhaltiges Wirtschaften auf Dauer Gewinne und Jobs liefert. Es ist in diesem Zusammenhang viel von den Kindern die Rede, deren zuliebe man Investitionen in Nachhaltigkeit (auch auf Schuldenbasis) tätige. Festzuhalten bleibt bei diesem Verweis auf Kinder und Enkel aber, dass auch eine nachhaltige Schuldenaufnahme deren zukünftiges Leben deutlich beeinträchtigen werden wird.

Die EU-Finanzminister haben dies im Auge zu behalten und sie müssen jetzt zu einer Lösung finden, die eben nicht geprägt ist von Sonderregeln für einzelne Staaten. Diese sind immer als Ausnahme möglich. Das war auch in der Vergangenheit schon ein Thema Will die Gemeinschaft aber tatsächlich zusammenbleiben, braucht sie ein gemeinsames Regelwerk – auch im Hinblick auf Schuldenaufnahme und -abbau.

Quellen: Destatis, Presseerklärungen der EU



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