Kommen die Bots, wenn die Boomer gehen?

Zwei Megatrends formen die Arbeitswelt der kommenden Jahre: Automatisierung und Fachkräftemangel. Wie gut passt beides zusammen? Können Cobots, Chatbots und KI tatsächlich fehlendes Personal ersetzen?

Der Wirtschaft fehlen Arbeitskräfte. Überall. Im Verarbeitenden Gewerbe, im Handel und Baugewerbe sind rund ein Drittel der Betriebe betroffen, im Dienstleistungssektor sogar mehr als 75 Prozent. Ein Grund: Die Generation der Baby-Boomer geht in Rente. Um die Lücken zu schließen, versuchen viele Betriebe, auch kleine und mittelständische, Arbeitskräfte aus Fleisch und Blut durch „Kollegen“ zu ersetzen, die ihre Stärke aus Algorithmen und Datenbanken ziehen: Roboter.

Ein Beispiel ist Bakisto, ein kollaborativer Roboter (Cobot), der in Backstuben frühmorgens selbstständig mit dem Backen beginnt. Später berechnet er mithilfe von Künstlicher Intelligenz, wie viele Brötchen, Croissants und Ciabatta-Brote im Tagesverlauf voraussichtlich nachgefragt werden. Dann bereitet Bakisto die Backwaren dafür vor und holt sie zur richtigen Zeit aus dem Ofen. Weitere Beispiele: Ein Logistikbetrieb nutzt Cobots für den Transport schwerer Waren vom Lagerregalturm zur Versandstation, eine Maschinenbaufirma setzt sie in der Fertigung zum Schrauben, Bohren, Schweißen und Kleben ein, Versicherungsunternehmen und Pflegeheime beschäftigen Serviceroboter in der Kantine, ein Landwirt lässt einen auf seinem Acker arbeiten. Und sogar die Deutsche Bahn, nicht gerade als „Innovations-Lokomotive“ bekannt, hat unlängst angekündigt, KI bei der Wartung von Zügen einzusetzen, um die schrumpfende Belegschaft zu unterstützen. An sechs Standorten sollen Roboter Züge inspizieren, Radsätze vermessen und mithilfe von Kameras und KI-Software Schäden erkennen.

 

Hilfe beim Ausbau der Produktion

Ein Blick in die mittelständische Industrie: Das niedersächsische Green-Tech-Unternehmen Stiebel Eltron braucht dringend neue Fachkräfte, weil die Nachfrage nach umweltfreundlichen Wärmepumpenheizungen hoch ist. Im Stammwerk in Holzminden soll die Produktion ausgebaut und die Belegschaft in der Fertigung bis 2027 von 400 auf rund 1.200 Mitarbeiter verdreifacht werden. Ob Letzteres angesichts des Fachkräftemangels gelingt, steht allerdings in den Sternen. „Auch deswegen arbeiten wir parallel daran, die Fertigung effizienter zu machen“, berichtet Geschäftsführer Kai Schiefelbein. Ein Meilenstein dabei sei der Einsatz von noch mehr Robotern. Schon jetzt entlasten sie Monteure bei „schmutzigen, langweiligen und gefährlichen Arbeiten, etwa beim Fräsen, in der Verpackung und bei Schweißarbeiten“, sagt Schiefelbein. Zudem hilft die jüngste Generation kollaborierender Roboter, die Produktivität ohne zusätzliches Personal zu steigern. Sie sind beispielsweise darauf programmiert, Hand in Hand mit anderen Industrierobotern hinter Zäunen traditionelle Werkzeugmaschinen mit Fertigungsteilen zu bestücken. An den KI-gesteuerten Produktionsprozess sind auch autonome Transportsysteme für die Lieferung der Werkstücke von Station zu Station angeschlossen.

Für Susanne Bieller, Generalsekretärin der International Federation of Robotics (IFR), ist der Cobot-Einsatz bei Stiebel Eltron beispielhaft. Vor allem größere Mittelständler seien in Sachen Roboter und KI schon relativ weit: „Aber auch viele kleinere Betriebe beschleunigen im Zuge des Fachkräftemangels die Automation, haben auf diesem Weg allerdings häufig noch Wissenslücken.“ Das gelte vor allem für Firmen aus Branchen, die bisher noch nicht mit Bots gearbeitet haben. Ihnen bietet die IFR deshalb auf der Online-Plattform go4robotics.com Unterstützung an. Entscheider erfahren dort anhand von Anleitungen und Checklisten, wie sie die ersten Schritte zur modernen Automation gehen können. Außerdem werden neue Trends erläutert und leicht zu programmierende Roboter vorgestellt.

Je einfacher, desto besser

Apropos: Dass Roboter heute so einfach zu bedienen sind wie ein Smartphone, hat dem Trend „Bots statt Babyboomer“ kräftigen Rückenwind gegeben. Auch kleinere Betriebe können jetzt Bot-Lösungen nutzen. Sie steigen in die Automation häufig mit einfachen Anwendungen wie Palettieren oder Pick-and-Place ein. Programmierungsexperten werden dafür in der Regel nicht mehr benötigt, denn der mit einer grafischen Oberfläche ausgestattete Roboter lernt die gewünschten Bewegungsabläufe über Drag-and-Drop. Früher existierende Berührungsängste im Mittelstand sind zurückgegangen, Know-how ist entstanden.

Für den weiteren Ausbau der Welt der nützlichen Maschinen sind aber kontinuierliche Investitionen notwendig. Diese allerdings sollten keinen Unternehmer mehr schrecken, denn die Anschaffungskosten für Robotik sind in den letzten Jahren erheblich gesunken. Außerdem gibt es downgesizte Produkte, also abgespeckte Varianten großer, komplexer Roboter, die auch für kleinere Firmen sinnvoll und erschwinglich sind.

Das gilt auch für das Auftragsforschungsinstitut Alcedis in Gießen, das als Dienstleister für Pharmaunternehmen und Kliniken medizinische Studien plant, durchführt und elektronisch dokumentiert. Prozessmanager Josias Plock sagt: „Für das manuelle Erstellen der Leistungslisten brauchte ein Mitarbeiter früher bis zu zehn Stunden im Monat.“ Doch gerade wissenschaftliche Mitarbeiter sind teuer und rar. Deshalb hat Plock einen Softwareroboter angeschafft, der selbstständig alle Excel-Tabellen durchforstet, in denen für die Dokumentation benötigte Daten hinterlegt sind. Nach 30 Minuten ist die Sisyphosarbeit erledigt. Johannes Hofmann vom IT-Lieferanten Hovi sagt: „Robotic Process Automation, kurz RPA, erledigt manuelle, repetitive, zeitintensive oder fehleranfällige Tätigkeiten überall dort, wo es sonst keine Schnittstellen zwischen Programmen gibt.“ Er hat mit seinen Softwarerobotern schon Mitarbeiter in Energieversorgungs-, Reise- und Logistikunternehmen ersetzt. „Wir sparen durch RPA bis zu 20 Prozent Arbeitszeit. Dadurch hat sich das Investment von rund 10.000 Euro schon nach eineinhalb Jahren amortisiert“, rechnet Prozessmanager Plock vor.

 

Security nicht vernachlässigen

Es tut sich etwas. Not macht erfinderisch. Und sorgt für Kooperationen wie zwischen den Softwareriesen Microsoft und SAP. Sie wollen ihren Kunden auf indirektem Weg helfen, mit dem Personalmangel fertigzuwerden, indem sie Microsoft 365 Copilot – eine Assistentenfunktion mit KI – mit der SAP-HR-Software Success-Factors kombinieren. So sollen Personalverantwortliche in Betrieben das Potenzial von KI besser nutzen können, um Fachkräfte zu gewinnen und Teams weiterzubilden.

Aber: Mehr Digitalisierung durch Robotik und KI ­erhöht auch die Sicherheitsrisiken für die IT-Landschaft. Tim Berghoff vom Bochumer Security-Unternehmen G Data warnt: „Die kriminelle Szene probiert vieles aus. Dazu zählen auch neue Angriffsmodelle, die auf die Daten abzielen, die die KI zum Lernen benötigt. Wenn sie manipuliert werden, kann es passieren, dass Systeme nicht mehr zuverlässig arbeiten.“ Das Motto laute: Garbage in, garbage out (Müll rein, Müll raus). Diese Methode kann auch in Architektenbüros, Energieunternehmen und Labors katastrophale Folgen haben, zum Beispiel zur Veränderung von Texten oder von Messergebnissen führen. Berghoff: „Wir brauchen immer noch Menschen, um zu kontrollieren, ob das Ergebnis tatsächlich richtig ist.“ Robotik und KI seien eben nur Hilfsinstrumente, die zwar nutzbringend zum Einsatz kommen können, aber noch immer von Fachleuten überwacht werden müssen.

Zehn perfekte Aufgaben für Ro- und Cobots

Materialhandling: auch schwere und unhandliche Güter und in gefährlichen Umgebungen

Schweißen: gleichmäßig, materialsparend, an schwer erreichbaren Stellen

Lackieren: gleichmäßiger, materialsparender, keine Gesundheitsgefährdung

Montieren: wiederholgenau und ermüdungsfrei schrauben, kleben, stecken etc.

Greifen und packen: akkurat, schnell, sicher, auch in großen und hohen Lagern

Inspizieren: Suche nach Defekten, Produktionsfehlern, auch an unzugänglichen Stellen

Maschinen bestücken: wiederholgenau, ohne Sicherheitsrisiko

Schneiden und schleifen: hohe Konstanz, gleichbleibende Präzision

Testen: etwa von Drücken und Dichtigkeit, Materialstärken, elektrischen Komponenten.

Verpacken: schnell, effizient, ermüdungsfrei und produktschonend


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
Bildnachweis: glamstock imazins/ Getty Images



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