Creditreform Magazin

„Made in Germany verliert an Wettbewerbsfähigkeit“

Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), über die Perspektiven deutscher Exporteure, neue Hürden im Auslandsgeschäft und die Notwendigkeit, mit Handelsabkommen Märkte zu öffnen.

Der Export lahmt und eine spürbare Besserung scheint nicht in Sicht. Liegt das allein an der schwachen Weltkonjunktur, von der Deutschland in besonderem Maß abhängt, oder gibt es auch andere Bremsfaktoren? 

Tatsächlich belastet vor allem das schleppende Wachstum der Weltwirtschaft. Zwar haben sich die internationalen Lieferketten inzwischen deutlich stabilisiert und auch die Energie- und Rohstoffpreise sowie Inflationsraten sind rückläufig – wenngleich weiter über dem langjährigen Schnitt. Auch das Zinsniveau ist nach wie vor hoch – weshalb die Nachfrage in wichtigen Märkten, insbesondere in der Eurozone, aber auch den USA, anhaltend schwach ist. Und China war als Nachfrager in seinem ersten Post-Corona-Jahr ein großer Ausfall. In diesem Umfeld haben es deutsche Exporteure schwer. 

Wer leidet besonders? 

Vor allem leiden alle energieintensiven Wirtschaftszweige wie die Metall-, Papier- und Kunststoffindustrie. Auch die Chemie und die ihr nachgelagerten Branchen haben im Auslandsgeschäft aktuell sehr zu kämpfen. Aber wir dürfen die Gründe für die Flaute nicht allein bei teurer Energie und hohen Zinsen suchen. 

Sondern, wo noch? 

Die schwache Exportentwicklung ist auch Ausdruck der gesunkenen und weiter sinkenden preislichen Wettbewerbsfähigkeit von Gütern „Made in Germany“. Die Kosten sind für viele Unternehmen hierzulande deutlich zu hoch geworden. Immer mehr Betriebe fragen sich, ob Deutschland noch der Standort ist, an dem es sich lohnt, zu investieren. Mit den gestiegenen Energiepreisen hat eine neue Realität Einzug gehalten. Deutsche Unternehmen können die damit verbundenen Belastungen nur abfedern, indem sie bei anderen Standortfaktoren wettbewerbsfähiger werden. Sonst verlieren sie weltweit den Anschluss. In diesem Zusammenhang wäre zum Beispiel zu fragen, ob die Initiativen der Politik zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums etwa durch Steuererleichterungen ausreichend sind. Nach meiner Überzeugung ist das nicht der Fall. Da müsste mehr passieren. 

Mit anderen Worten: Deutschland ist zu teuer. Die Relation zwischen Bruttoarbeitskosten und Produktivität stimmt nicht mehr? 

In den vergangenen Jahren hat sich die Produktivität nicht nennenswert erhöht. Dagegen sind die Arbeitskosten, befeuert auch durch die Entwicklung der Verbraucherpreise, erheblich gestiegen. Bei den Erzeugerpreisen, die ein guter Indikator für die Kostenentwicklung sind, haben wir 2022 in der Spitze ein Plus von 47 Prozent gesehen. Ähnliche Aufschläge verzeichneten die Importpreise, während die Exportpreise deutlich moderater zulegten. Das zeigt: Unsere Terms of Trade haben sich verschlechtert. Für ein Exportgut erhalten wir weniger Importware als in der Vergangenheit. Das meine ich mit erodierender Wettbewerbsfähigkeit. 

Ziehen viele deutsche Unternehmen bereits die Konsequenz und investieren bevorzugt im Ausland – aus Sorge, mit einer Produktion in Deutschland auf Dauer nicht wettbewerbsfähig zu sein? 

Wir registrieren in unseren Umfragen Signale, die uns aufrütteln müssen: Normalerweise freuen wir uns über Auslandsinvestitionen, weil sie im weitesten Sinne mit Markterschließungen einhergehen und im Produktionsverbund mit dem Standort Deutschland auch bei uns zu Wertschöpfung führen. So war das zumindest in den vergangenen 20, 25 Jahren. Eine Win-win-Situation. Doch inzwischen ist es anders. Heute gehen Unternehmen sehr viel häufiger als früher vor allem ins Ausland, um Kosten zu sparen. In einer aktuellen Umfrage im Zusammenhang mit der Energiewende haben 31,7 Prozent der befragten Industrieunternehmen angegeben, wegen der Energiepreis- und Energieversorgungssituation in Deutschland zumindest Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern zu wollen oder dies bereits getan zu haben. Deutsche Unternehmen, die bereits über Standorte im Ausland verfügen, stocken ihre Investitionsbudgets ebenfalls massiv auf, weil die Kostensituation im Inland im Verhältnis zur Produktivität so prekär ist. Das sollte uns zu denken geben. 

Somit dürfte der Außenhandel auch 2024 kaum in Schwung kommen, oder? 

Großer Optimismus ist nicht angebracht. Aber wir erwarten zumindest eine Stabilisierung. Eine schwarze Null oder sogar ein schwaches Wachstum von vielleicht einem Prozent sind möglich. Laut DIHK-Umfragen wird sich die Konjunktur im Jahr 2024 im Ausland besser entwickeln als im Inland. Deutschland gehört sicherlich bis auf Weiteres zu den wachstumsschwächsten Industrieländern.  

Die Auslandsmärkte werden sich voraussichtlich in sehr unterschiedlichem Tempo erholen. China zum Beispiel wird nach allgemeiner Einschätzung nicht so rasch an die gewohnten Wachstumsraten anknüpfen. Ergeben sich damit auch Verschiebungen in der Rangliste der wichtigsten deutschen Handelspartner? 

China schwächelt tatsächlich und wird als Exportmarkt für deutsche Unternehmen an Bedeutung verlieren. Gleichwohl bleibt das Land unser wichtigster Handelspartner, denn die Chinesen unternehmen sehr viel, um lieferfähig zu bleiben. Dass China nicht mehr importiert, liegt an eigenen strukturellen Problemen auf der Nachfrageseite. Mit Protektionismus hat das, anders als manche glauben, weniger zu tun. Ein weiterer Grund ist, dass wir in Deutschland mitunter übertrieben zögerlich waren, nach China zu liefern. Das ändert sich gerade. Es gibt eine wohltuende Normalisierung. Aber wir sind noch nicht so weit, dass sich dieser Trend in einer spürbar positiven Entwicklung unseres Außenhandels mit China niederschlägt. 

Und der Handel mit anderen Ländern? 

Die USA werden ihre Position als wichtigste Exportdestination der deutschen Wirtschaft 2024 voraussichtlich ausbauen. Auch als Standort für Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen bleibt das Land die Nummer eins, nicht zuletzt auch aus geopolitischen Gründen. Viele Unternehmen investieren aber auch wegen der Anreize, die der Inflation Reduction Act (IRA) ausländischen Unternehmen verspricht. Erfreulich ist, dass sich der Handel mit Großbritannien Stück für Stück erholt. Der lang wirkende Brexit-Schock scheint verdaut. Auch osteuropäische Länder wie Polen, Rumänien oder Tschechien werden 2024 zu immer wichtigeren Handelspartnern für deutsche Unternehmen. Dagegen bleibt der Euro-Raum belastet, insbesondere von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und den mit dem europäischen Green Deal zusammenhängenden Unsicherheiten.  

Wie lässt sich das Dilemma vieler Unternehmen lösen, die ihre Lieferketten nicht zuletzt aus geopolitischen Erwägungen diversifizieren wollen, aber im Auslandsgeschäft auf immer neue Barrieren stoßen? 

Die EU sollte dringend darauf hinarbeiten,weltweit neue Märkte zu öffnen, etwa durch Freihandelsabkommen mit Indien, Indonesien, Thailand, den Philippinen, Malaysia und Australien. Mehr als Lippenbekenntnisse hat es dazu zuletzt nicht gegeben. Beschlossen haben wir lediglich Abkommen mit eher kleinen Partnern wie Neuseeland und Kenia. Enorm wichtig wäre auch eine Vereinbarung mit den Mercosur-Staaten. Die EU ist mitunter zu streng mit Anforderungen, die sie an unsere potenziellen Handels- und Wirtschaftspartner stellt, wie zum Beispiel bei der Formulierung und Sanktionierung von Nachhaltigkeitsstandards.   

Zur Person 

Volker Treier ist seit 2019 Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK. Zuvor war der promovierte Politikwissenschaftler unter anderem für des Netzwerks der Auslandshandelskammern verantwortlich.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber
Bildnachweis: Treier / DIHK



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