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Westeuropa: Die Insolvenzen sind zurück

Die Corona-Pandemie schien im Griff zu sein, da kam es für die Wirtschaft zwei Jahre später zum nächsten Schock. Der Lockdown war beendet und die Konjunktur wieder angesprungen, als im Februar 2022 russische Truppen in der Ukraine einmarschierten.

Weltweit kam es in der Folge zu Energie-Engpässen, Russland als ein wichtiger Lieferant für Öl und Erdgas (gerade für Deutschland) wurde sanktioniert und in der Folge stiegen die Preise für die Industrie und die privaten Verbraucher in bisher unbekannte Höhen. Dies löste in den westeuropäischen Ländern vor allem für Lebensmittel einen weiteren Preisschock aus. Die Inflationsraten lagen bei einem Plus im zweistelligen Bereich, immer noch sind sie drei bis viermal so hoch wie gewohnt und von der EZB als Richtlinie gewünscht. Die Wachstumsraten dümpeln um die Nulllinie. Mit einem großen Aufgebot steuerten die westeuropäischen Länder gegen die Krise an. Man befürchtete eine Insolvenzwelle und setzte Teile des Insolvenzrechts aus und gewährte Unterstützung in Milliardenhöhe. Tatsächlich ging die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in fast allen westeuropäischen Ländern trotz der beiden Krisenherde seit 2020 deutlich zurück.

Markantes Plus

Jetzt ist es im Jahr 2022 zu einem deutlichen Wiederanstieg der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa gekommen – ein Plus von 24 Prozent ist zu registrieren. Damit bewegt sich die Zahl wieder deutlich in Richtung des letzten Vorkrisenjahres 2019. 140.000 gegenüber 112.700 Insolvenzfälle im Jahr 2021 sind allerdings kein Zeichen der vielbeschworenen Insolvenzwelle, sondern eher eine Rückkehr zu gewohnten Zahlen. So waren es 2019 rund 160.000 Pleiten, die hinzunehmen waren und 2018 sogar knapp 163.000. Ursache ist nicht nur, dass manche Maßnahmen zur Stützung der Betriebe in der Krisensituation der Pandemie-Zeit zurückgefahren wurden, der Wiederanstieg ist auch Ausdruck der Schwächung durch die Krise, die jetzt nicht mehr zu verbergen ist. Es ist ein Kennzeichen des Auf und Ab der Konjunktur, dass gerade im Wiederaufschwung nach einer Rezession viele Unternehmen zahlungsunfähig werden. Sie haben zu viel Substanz, Eigenkapital und Liquidität eingebüßt, um wieder in den marktwirtschaftlichen Wettbewerb eintreten zu können.

Die Belastungen der Unternehmen bis zur Zahlungsunfähigkeit sind in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Während in Österreich, Großbritannien und Frankreich eine Zunahme zwischen 50 und 60 Prozent erreicht wurde, zeigt sich in Griechenland, Italien und Portugal ebenso ein Rückgang wie in Luxemburg und Dänemark. Diese Entwicklungen gehen aber nicht nur auf das Konto der beschriebenen Unterstützungsmaßnahmen, sondern sind auch Ausdruck des unterschiedlichen Insolvenzrechts in den einzelnen Ländern. Während die Mittelmeer-Anrainer immer eine vergleichsweise niedrige Zahl von Unternehmensinsolvenzen vorzuweisen hatten, waren Frankreich, Deutschland und Großbritannien die Staaten, die den Löwenanteil des Insolvenzgeschehens in Westeuropa trugen. Das ist auch im Jahr 2022 der Fall: Frankreich liegt mit über 40.000 Insolvenzen an der Spitze – es folgen Großbritannien mit 23.000 Fällen und Deutschland mit knapp 15.000 betroffenen Unternehmen.

Insolvenzen unterschiedlich in den Ländern

Insgesamt hat sich der Anteil der einzelnen Länder oder Ländergruppen am westeuropäischen Insolvenzaufkommen in den letzten zehn Jahren teilweise deutlich verändert. Während Frankreich, das die meisten Insolvenzen zählt, 2012 auf einen Anteil von 31,1 Prozent kam, waren es 2022 mit 29,4 Prozent etwa ebenso viele Pleiten. Großbritannien dagegen hat in den zehn Jahren markant von 11,1 Prozent auf 16,5 Prozent zugelegt, während Deutschland in diesem Zeitraum weniger Insolvenzen beigesteuert hat – der Anteil sank von 15 auf gut 10 Prozent.

Ein Blick auf die betroffenen Hauptwirtschaftsbereiche zeigt, dass alle Branchen gleichermaßen von Steigerungen in 2022 gegenüber 2021 betroffen sind. Der Dienstleistungssektor ist in Deutschland und ganz Westeuropa der Bereich mit den meisten Unternehmensaufgaben. Und gerade er hat im Zeichen der beiden Krisen gegenüber dem Wert von 2013 noch einmal zugelegt – damals betrafen 38,7 Prozent aller Insolvenzfälle Dienstleister, 2022 waren es 41,3 Prozent. Dabei liegt die eigentliche Brisanz im Handelsbereich bei der allgemeinen Zunahme der Insolvenzen in 2022. Hier hat sich das Geschehen beim Wiederanstieg der Insolvenzfälle markant beschleunigt: Die Zahl der gemeldeten Insolvenzfälle legte um 34,5 Prozent zu. Die Dienstleister meldeten ein Plus von 20 Prozent, der Bau eins von knapp 25 Prozent und das Verarbeitende Gewerbe eins von rund 13 Prozent. Entscheidend ist, dass zum Dienstleistungsbereich auch der arg betroffene Gastronomiesektor gehört. Durch den Lockdown sowie die gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise sah sich mancher Gastronomiebetrieb zur Aufgabe gezwungen. Die Probleme am Bau, der betroffen ist von der teureren Finanzierung im Zeichen der Zinssteigerungen und der Zunahme bei den Einkaufspreisen, hatten über die letzten fast zehn Jahre beim Anteil allerdings (noch) keine Auswirkungen gezeigt. Hatte er 2013 noch gut 20 Prozent Anteil am Gesamtaufkommen, so sind es 2022 noch 18,8 Prozent.

Die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa ist 2022 deutlich gestiegen. Ob es sich dabei um eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens auf das Vor-Krisen-Niveau handelt oder ob die rezessiven Tendenzen, verstärkt möglicherweise durch die strikte Geldpolitik der EZB, zu einer Vielzahl von Unternehmenszusammenbrüchen führen, lässt sich noch nicht absehen. Gegenüber den Zeiten vor den beiden Krisen der 20er-Jahre ist jedenfalls bei den Insolvenzzahlen noch Spielraum. Für Panik bietet der aktuell deutliche Anstieg keinen Grund.



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