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Die Alten halten
Auf dem Arbeitsmarkt zieht ein Sturm auf. Mit den Babyboomern verabschieden sich die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in den Ruhestand – Nachwuchs ist kaum in Sicht. Aus Perspektive der Unternehmen dürfte daher nichts näher liegen, als die Alten länger zu halten. Doch darauf haben noch zu wenige Lust.
Bei Bosch gehören ältere Mitarbeiter nicht zum alten Eisen. Schon 1999 gründete der Stuttgarter Konzern die Bosch Management Support GmbH als Tochterunternehmen. Seitdem werden Mitarbeitende ein halbes Jahr vor ihrem Renteneintritt auf Empfehlung ihres Vorgesetzten und nach Abstimmung mit der Personalabteilung angesprochen, ob sie weiterarbeiten möchten. Sagen sie Ja, stehen sie fortan als Seniorexperten in der Kartei und übernehmen innerhalb des Unternehmens Aufträge. Sie beraten jüngere Kollegen, begleiten Projekte, geben ihr Wissen weiter. Unter ihnen sind viele Mittsechziger, aber auch zahlreiche über 70. „Die älteste Expertin ist 80 Jahre alt“, sagt Geschäftsführer Manfred Baden.
Nach Angaben des Unternehmens leisteten gut 2.400 Bosch-Rentner auf der ganzen Welt im vergangenen Jahr 63.500 Expertentage. Auf die 800 Seniorexperten in Deutschland entfielen 23.500 Tage. „Dadurch, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, kommt es innerhalb des Unternehmens zu einem erhöhten Bedarf an Seniorexperten, die ausscheidendes oder fehlendes Know-how ersetzen können“, sagt Baden.
Nicht erst handeln, wenn es brennt
„Bosch ist für mich das Leuchtturmprojekt“, sagt Frank Leyhausen. Der Kölner hat im vergangenen Jahr die Agentur Ageforce1 gegründet. Künftigen Ruheständlern und Unternehmen steht er seitdem beratend zur Seite, will beide Seiten glücklich und produktiv halten. „Der demografische Wandel ist wie der Klimawandel“, sagt Leyhausen „Man sieht ihn kommen, aber handelt erst, wenn es brennt.“
Ausnahmen gibt es nur wenige. Nivea-Hersteller Beiersdorf etwa und Versandhändler Otto, die in den vergangenen Jahren Interessenvertretungen für ihre Beschäftigten jenseits der 50 gründeten. Und womöglich auch Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der öffentlichkeitswirksam garantiert, alle seine Mitarbeiter über das Renteneintrittsalter hinaus weiter zu beschäftigen, wenn sie das möchten.
Ob sie das auch möchten, verrät Trigema auf Anfrage jedoch nicht. Auch Inovex in Hamburg scheint sich um ältere Mitarbeiter zu bemühen. Das legen positive Bewertungen in Internet-Portalen wie Kununu nahe, die den Umgang des IT-Dienstleisters mit Senior-Beschäftigten loben. „Uns ist wichtig, dass alle gleichermaßen die Möglichkeit haben, das Unternehmen mitzugestalten. Das geschieht in gemischten Teams aus erfahrenen und jungen Mitarbeitenden“, sagt Sprecherin Silvia Hinse. „Es herrscht ein respektvoller Umgang und es wird auf Augenhöhe miteinander gearbeitet – da ist das Alter eigentlich egal.“ Doch tatsächlich sind graue Haare bei Inovex eher selten. Von insgesamt 500 Mitarbeitenden sind lediglich acht älter als 55 Jahre. Das Renteneintrittsalter überschritten hat keiner.
Wertschätzung fürs Alter fehlt
Der Großteil der Unternehmen hat die Jugend im Blick. Bei einer Personalleiterbefragung des ifo-Instituts und der Zeitarbeitsfirma Randstad sagten 63 Prozent, dass sie ihr Augenmerk hinsichtlich Beschäftigung und Weiterbildung in den kommenden Jahren stärker auf die Altersgruppe der unter-40-Jährigen richten werden.
Das liegt auch am vorherrschenden Gesellschaftsbild, in dem Ältere nicht als weise, sondern eher als gebrechlich, überkommen, entbehrlich gelten. Fast jeder Dritte stimmt der Aussage zu, dass alte Menschen „Platz machen“ sollten für die jüngere Generation, indem sie wichtige berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Altersdiskriminierung müsse mit allen möglichen Mitteln bekämpft werden, mahnen Arbeits- und Organisationspsychologen der Uni Gießen in einer Studie. Andernfalls würden Ältere ihr Wissen nämlich nicht an die Jüngeren weitergeben. Wertschätzung ist demnach die Basis für Zufriedenheit im Job, ohne sie würden alle anderen Maßnahmen, die sich an reifere Semester richten, wirkungslos verpuffen – von Weiterbildung über Mentoring bis Jobsharing. „Das Alter müsste in den Unternehmen mehr Wertschätzung erfahren“, sagt auch Frank Leyhausen. „In den vielen Diversity-Diskussionen, die geführt werden, spielen Ältere kaum eine Rolle, da geht es mehrheitlich um Frauen und Migranten.“
Hilfe vom Gesetzgeber
Und welche Zukunft wünschen sich die angehenden Rentner? Die Frührente ab 63 ist populär, dennoch arbeitet in der Altersgruppe von 65 bis 69 mittlerweile fast jeder fünfte Deutsche. Der Gesetzgeber unterstützt: Zum 1. Januar kippte die Bundesregierung die sogenannte Hinzuverdienstgrenze und gab Unternehmen damit ein weiteres Argument an die Hand, mit dem sie ältere Fachkräfte zum Bleiben überreden können.
Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass sich Ältere vor allem Beweglichkeit bei der Arbeitszeit wünschen. „Viele wollen nicht mehr den Vollzeitjob weitermachen, aber sie wollen auch nicht nichts machen“, sagt Leyhausen. Vielversprechend seien auch Weiterbildungsmöglichkeiten für eine neue Tätigkeit, die körperlich weniger belastend ist. Mit einer Gehaltserhöhung oder Prämien dagegen ließen sich nur wenige ködern, so der Experte.
Noch tun sich beide Seiten schwer. Selbst das Vorzeigeprojekt von Bosch wächst nur langsam: Im Jahr 2012 beinhaltete die Seniorexperten-Kartei in Deutschland 598 Personen, 2021 waren es 690. „Das graue Gold wird noch nicht geschürft“, sagt Leyhausen. „Aber das wird sich ändern.“ Wer nicht gleich Ja sagt zum Job im Alter, ist für die Firma nicht unbedingt verloren. „Wir empfehlen, nach einigen Monaten bei ehemaligen Beschäftigten nachzufragen, wie es ihnen im Ruhestand ergeht“, rät der Experte. „Falls es nicht so gut läuft, kann man Angebote machen.“ Viele Menschen würden voller Elan in den neuen Lebensabschnitt starten und nach einiger Zeit feststellen, dass ihnen etwas fehlt – und dann womöglich gern zurückkommen.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Sebastian Wolking
Bildnachweis: Gsorbetto / iStock