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Logistik im Dreiklang der Digitalisierung
Mehr Effizienz, mehr Transparenz und mehr Resilienz – diese drei Ziele motivieren immer mehr Unternehmen in der Logistikbranche, ihre Prozesse zu digitalisieren. Technisch möglich ist bereits vieles. Doch bis Papier gänzlich Geschichte ist, wird es noch einige Jahre dauern.
Ein Lkw, der gerade im Hamburger Hafen beladen wurde, ist auf dem Weg nach Süddeutschland. Sechs Wärmepumpen sollen zu einem Heizungsbetrieb nach Stuttgart, acht Kisten mit Werkzeug sind für eine Fabrik in Göttingen bestimmt. Als die entladen sind, bekommt der Fahrer von seinem Disponenten den Hinweis, in Darmstadt noch drei Paletten Papier für einen Verlag in Heidelberg aufzunehmen. Dass dafür im Laderaum noch Platz ist, weiß der Disponent vom Digitalsystem Smart Load. Es besteht aus einer Kamera und einer Telematikeinheit und errechnet mithilfe Künstlicher Intelligenz in Sekundenschnelle frei gewordene Flächen und Möglichkeiten, diese optimal zu nutzen. „Bisher bleiben laut Kraftfahrt-Bundesamt nahezu 60 Prozent der Lkw-Laderaumflächen ungenutzt“, sagt Matthias Feistel, Geschäftsführer der Hamburger Firma Luis Technology, die das innovative Beladungsmanagementsystem zusammen mit den beiden KI-Innovatoren Nicolas Hoyer und Stephan Hotto entwickelt hat. Die Unterauslastung sorgt jährlich für Kosten von mehr als elf Milliarden Euro. Smart Load sorge für eine höhere Auslastung und damit für weniger CO2-Emissionen: „Zudem kann der Disponent von der Zentrale aus überprüfen, ob sich unerlaubte Personen im Laderaum befinden, und per Bild dokumentieren, dass der Empfänger die Ladung erhalten hat.
Das Beladungsmanagementsystem ist ein Paradebeispiel für die Digitalisierung der Logistikwirtschaft. Sie befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, der alle Segmente von Lagerverwaltung bis Transport betrifft. Es geht um die Verbesserung von Effizienz, Transparenz und Resilienz. Ohne Digitalisierung unvorstellbar. Die Instrumente reichen von Dokumentenmanagementsystemen über SAP-Rechner, KI und Augmented Reality bis zu einer komplett vernetzten Infrastruktur. Wer zu träumen wagt, hat gar selbstfahrende Transporteinheiten und autonome Drohnen vor dem inneren Auge. Die Realität indes sieht vielerorts noch anders aus. „Es gibt zwar sehr viele Bemühungen im Bereich des datengestützten Arbeitens, also zum Beispiel KI und Big Data, aber die Erfolge sind bisher überschaubar“, sagt Andreas Rükgauer, Professor für Produktion und Industriebetriebslehre an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an derselben Uni, pflichtet ihm bei: „Auch die Fälle, in denen Datenbrillen bei der Kommissionierung zum Einsatz kommen, lassen sich an einer Hand abzählen.“
Beladungsmanagement: Luftfahrt war Vorreiter
Nach Überzeugung der beiden Wissenschaftler wird sich die Digitalisierung in der Branche nicht revolutionär, sondern langsam entwickeln, weil sich viele Tätigkeiten in der Logistik aufgrund zu hoher Vielfalt schwer automatisieren lassen. Am ehesten für eine Automatisierung eigneten sich administrative Prozesse. So arbeitet etwa jeder dritte Betrieb mit digitalen Frachtbriefen und Signaturen. Das spart Kosten und beschleunigt den Vorgang. Etwa jedes zweite Unternehmen der Branche nutzt die Echtzeitübermittlung des Status von Gütern und Containern (Track & Trace). Vorteile: Transparenz entlang der Lieferkette und Verbesserung der Kundenbeziehung und Lagerlogistik. Auch fahrerlose innerbetriebliche Transportsysteme gewinnen an Bedeutung.
Ein Blick zurück: Schiffe, Züge, Flugzeuge und Autos gibt es seit 100 Jahren und länger, elektronische Datenverarbeitung seit 65 Jahren. Die erste Internetverbindung wurde 1969 aufgebaut, die kommerzielle Phase des Netzes begann 1990. Knapp zehn Jahre später nahm die Digitalisierung in der Logistik Fahrt auf. Innovative Startups ermöglichten mit digitalen Frachtvermittlungsplattformen und cloudbasierten Systemen höhere Auslastungen der Transportmittel. Außerdem wurden Versandaufträge nicht mehr auf Papier, sondern am PC in Onlinemasken geschrieben und per Klick ins IT-System des Spediteurs übermittelt. Um eine Sendung zu verfolgen, musste nicht mehr telefonisch
nachgefragt werden, die Tracking-Daten waren im Internet verfügbar. Am weitesten fortgeschritten in Sachen Digitalisierung war zur Jahrtausendwende die Luftfracht. „Die Fluggesellschaften waren früh gezwungen, auch durch Bestrebungen der International Air Transport Association (IATA), sich zu internationalisieren, damit zu standardisieren und zu digitalisieren“, erinnert sich Armin Weigand, Experte für Supply Chain Solutions beim IT-Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen DXC Technology. Raoul Wintjes vom DSLV Bundesverband Spedition und Logistik bestätigt das: „Cargo-Airlines waren damals schon IT-Unternehmen mit Flugzeugen.“ Kleinere und mittlere Logistikbetriebe dagegen arbeiteten vor 20 Jahren noch mit Fax und Telefon. Ihre Integration in die neue Digitalwelt habe erst mit dem Erfolg der Plattformökonomie begonnen.
Rückenwind nach der Finanzkrise
Frauke Heistermann, Sprecherin der Initiative Die Wirtschaftsmacher und stellvertretende Beiratsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL), sagt: „Pioniere bei der Digitalisierung der Logistik waren vor allem Konzerne. Die Mittelständler zogen immer Stück für Stück nach.“ In den ersten Nullerjahren hätten sich die Neuerungen in der Branche verbreitet, berichtet die Mitgründerin der Softwarefirma Axit, die 2015 an Siemens verkauft wurde: „Viel mehr ist zunächst nicht passiert.“ Erst die weltweite Finanzkrise 2008 habe die Digitalisierung erneut beschleunigt, „weil alle Unternehmen nach Kostensenkungsmöglichkeiten suchten“. Es wurden sämtliche Glieder einer Liefer- oder Versandkette digital vernetzt, etwa vom Motorteilehersteller in China über das Zwischenlager, das Containerschiff, den Empfangshafen und Lkw-Spediteur bis zum Empfänger: „Durch die Zusammenführung der Daten aller Beteiligten gewann die Cloud an Bedeutung und Nutzen“, so Heistermann.
Es folgten die Siegeszüge von Big Data und Data Analytics, beispielsweise für die Routen- und Laderaumoptimierung, von Blockchain-Technologie, die insbesondere für teure Ware mehr Transparenz und Sicherheit schafft und zeitintensive und komplexe Arbeitsschritte wie Zollabfertigung und Bezahlung vereinfacht und sicherer macht, und schließlich die Einführung von KI. „Sie kann den Logistikern viele Planungsaufgaben abnehmen und Vorschläge unterbreiten, zum Beispiel welche Routen und Verkehrsträger für einen Transport unter verschiedenen Gesichtspunkten – etwa Wetter, Preis, Schnelligkeit – am besten geeignet sind“, sagt Heistermann. „Der Mensch hat dadurch viel mehr Zeit für andere Dinge.“
KI-Systeme kosten viel Geld
Fehlende Fachkräfte sind ein Treiber der Digitalisierung in der Logistik. Auch beschleunigen ein wachsender Transportbedarf, Umweltschutz und das Thema Sicherheit die Transformation. Luis Technology hat etwa auch eine Security-Lösung mit KI-Unterstützung entwickelt: Turn Detect. Eine kleine intelligente Kamera auf der Beifahrerseite warnt den Lkw-Fahrer beim Abbiegen vor Fußgängern, Fahrrad- und Rollerfahrern. „Die Netze sind so trainiert, dass sie Menschen auch liegend, kniend, gebückt, mit Warnweste, Helm und sogar halb verdeckt identifizieren können“, verspricht Luis-Geschäftsführer Feistel. Ein Anwender ist die Hamburger Stadtreinigung. Sie hat die Turn-Detect-Systeme in allen 420 Müllfahrzeugen ab 7,5 Tonnen installiert. Nach Überzeugung von Rüdiger Siechau, Chef der Stadtreinigung, macht der digitale Abbiegeassistent den Straßenverkehr „ein Stück weit sicherer“.
Doch die Entwicklung und Implementierung von KI-Systemen kostet die Logistikunternehmen Geld. Viele schauen sich deshalb nach Allianzen und möglichen Zukäufen um, auch um außerhalb ihres Kerngeschäfts „ihr Geschäftsmodell resilienter zu machen“, sagt Ingo Bauer, Leiter des Bereichs Transport & Logistik bei PwC Deutschland. „Das erklärt auch den hohen Anteil strategischer Investoren, die mehr Einfluss auf die Supply Chains gewinnen wollen.“ Wie Bauer erwartet auch Mark Miller, Managing Partner bei der Hamburger Investmentbank Carlsquare, die als Merger & Acquisitions-Berater Firmen und ihre Gesellschafter bei strategischen Kapitalmaßnahmen betreut, steigende Investitionen in Digitalisierung und veraltete Infrastruktur: „Ziel muss sein, das Risiko von Unterbrechungen von immer fragmentierteren Distributionsketten zu mindern und gleichzeitig die Geschäftstätigkeiten nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten. KI ist dabei ein Gamechanger.“ Miller empfiehlt vor allem mittelständischen Betrieben, sich frühzeitig gezielt mit KI zu beschäftigen, „um schnellstens von bereits vorhandenen Lösungen zu profitieren“.
eFTI-Plattform soll Papier verbannen
Die Investitionssummen in die Logistik-Digitalisierung werden größer. Viele Unternehmen wollen vor allem das Risiko einer Unterbrechung von Lieferketten in Zukunft mindern. Rückenwind kommt zudem von der Nachhaltigkeitsdiskussion. Armin Weigand sagt: „Die zunehmende Regulierung durch neue Gesetze und Verordnungen erfordert von Unternehmen ressourcenschonendes Verhalten und kontinuierliches Reporting. Ohne digitale Tools ist das nicht zu bewältigen.“ Der DXC-Berater verweist aber darauf, dass durch solche Checks auch die Transparenz erhöht „und damit die unternehmerische Sicherheit verbessert wird“. Betriebe bekämen die Chance, „ihre Prozesse effizienter zu gestalten, schneller zu werden und mögliche Strafen etwa für zu hohe CO2-Emissionen zu vermeiden“. Weigand ist sicher, dass in den nächsten fünf Jahren zwei Probleme angegangen werden: „Es wird die fehlende Brücke gebaut werden zwischen der leistungsstarken unternehmensinternen IT-Welt und der operativen Geschäftswelt, die Digitalisierungs-Nachholbedarf hat. Außerdem wird es zu einer länderübergreifenden Standardisierung bei allen vier Verkehrsträgern Schiene, Schifffahrt, Straße und Luftfahrt kommen. Das wird der Logistikbranche helfen, Optionen zu vergleichen, und es wird eine nahtlose Verbindung entlang der Transportkette ermöglichen.“
Einen weiteren Entwicklungsschub erwartet Raoul Wintjes vom DSLV von der Einführung der eFTI-Plattform (Electronic Freight Transport Information). Die Verordnung zur elektronischen Übermittlung gesetzlich vorgeschriebener Informationen über den Warentransport könnte ab 2025 für die vollständige Abschaffung von Papier im Güterverkehr sorgen. „Wenn die 27 Kontrollbehörden der EU-Mitgliedstaaten standardisiert kommunizieren müssen, wird das auch die Kommunikation der Transportunternehmen untereinander verbessern“, ist Wintjes überzeugt. Der DSLV empfiehlt, sich frühzeitig an dem Verfahren zu beteiligen, da Prozesse beschleunigt und Kosten gespart werden können. Wintjes sagt: „Papier ist dann Geschichte.“
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
Bildnachweis: Gremlin / Getty Images