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Solar plus X
Jedes Gebäude wird zum Kraftwerk. Mit immer besseren PV-Anlagen, Batteriespeichern, Wärmepumpen, BHKW lässt sich der eigene Strom- und Wärmebedarf zu einem immer größeren Teil decken. Nicht nur das: Die damit erzeugte Energie kann ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sein.
Geht es um die Abkehr von fossilen Brennstoffen, fackelt Tatjana Horst nicht lange. Wenn die Innovationsbeauftragte der Handwerkskammer für Unterfranken ihre Klienten davon überzeugen will, alternative Energiequellen zu nutzen, fährt sie sie dorthin, wo diese zum Einsatz kommen. Busse voller Handwerksbetriebsinhaber hat sie bereits zu den Vorzeigeprojekten der Region chauffieren lassen, zu Unternehmen, die bereits den größten Teil des Strom- und Wärmebedarfs selbst aus regenerativen Quellen decken. Akquise müsse sie keine machen, sagt Horst. „Die Unternehmen kommen von sich aus zu mir – und das immer wieder.“
Gut so. Denn bis zum Jahr 2030 müssen gewaltige Kraftanstrengungen unternommen werden, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Dann sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien stammen. 2022 waren es 46,2 Prozent. Doch Klimaschutz ist nur ein Grund, warum das Thema auf die Agenda von Unternehmen gehört. ESG-Vorschriften, die zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten, sowie das Bestreben, sich unabhängiger zu machen, spielen auch eine Rolle. Ebenso der Wunsch, Energiekosten zu reduzieren und besser kalkulieren zu können. Und: Für Nicht-Wohngebäude, die neu gebaut werden, besteht die Pflicht, eine PV-Anlage einzubauen.
Das erzählt auch Tatjana Horst den Unternehmern in ihrem Bus. Noch lieber zeigt sie es. Ein Betrieb, den die Innovationsbeauftragte regelmäßig ansteuert, heißt Adites. Er liegt in Bad Neustadt an der Saale, 32 Kilometer von Schweinfurt entfernt. Firmenchef und Gründer Dieter Esau ist ein Überzeugungstäter. 2011 habe er gemerkt, die Erneuerbaren werden erschwinglich, sagt der Ingenieur, und er habe begonnen, sich auf energieeffiziente Gebäudetechnik und Photovoltaik zu spezialisieren. Heute setzt er mit seinen 35 Mitarbeitern Projekte für Unternehmens- und Privatkunden um.
Einspeisung finanziert Gebäudekosten
Das Spezialgebiet von Adites sind Plus-Energie-Gebäude – Plus-Energie genannt, weil die verbaute PV-Anlage mehr Energie liefert, als gebraucht wird. Ein Speicher- und Steuerungssystem stellt den Strom für Heizung, Warmwasser, den Betrieb elektrischer Geräte sowie das Laden von E-Autos zur Verfügung. Produziert die Anlage bei gutem Wetter mehr Solarstrom als benötigt, wird zunächst der gesamte Energiebedarf abgedeckt, dann die hauseigene Batterie aufgeladen. Wenn immer noch ein Überschuss vorliegt, fließt der Strom ins öffentliche Stromnetz und wird über eine feste Einspeisevergütung beglichen. Adites-Chef Esau hat auch für sich selbst gebaut. Er wohnt in einer Plus-Energie-Siedlung mit 14 Einheiten. Eine der Einheiten wird als Geschäftsraum genutzt, bei den 13 weiteren handelt es sich um Miet- beziehungsweise Eigentumswohnungen. „Unsere Bewohner genießen immer noch einen Strompreis von 25 Cent“, sagt Esau. Und nicht nur das: „2021 erwirtschafteten wir dank der Einspeisungen einen Überschuss von 10.000 Euro. Den konnten wir nutzen, um andere Kosten wie Versicherungen und Entsorgung zu decken.“
Knapp zwei Autostunden entfernt von der Adites GmbH, bei der Deutschen Börse in Eschborn nahe Frankfurt am Main, setzt man neben einer PV-Anlage noch auf eine andere Technologie. Die auf dem Dach installierten und mit Biogas betriebenen Blockheizkraftwerke liefern eine elektrische Leistung von 1.600 Kilowatt und decken etwa 60 Prozent des Strombedarfs im Gebäude. Die thermische Leistung der Anlage von 1.700 Kilowatt deckt 90 Prozent der Grundwärmelast. Die dort genutzte Anlage kann noch nicht mit Wasserstoff betrieben werden. Hersteller Viessmann zufolge können bei den Nachfolgemodellen aber bis zu 30 Prozent Wasserstoff hinzugemischt werden.
In den Energiewende-Plänen der Bundesregierung spielen auch Wärmepumpen eine Rolle. Ab 2024 sollen 500.000 davon im Jahr installiert werden – nicht nur in Wohngebäuden, sondern auch in Gewerbeimmobilien. Was sie leisten können, lässt sich in der rheinlandpfälzischen Gemeinde Dreis-Brück bei der Spedition Ludwig bewundern. Die dortige, 7.500 Quadratmeter große Logistiklagerhalle wird von acht Luft-Wärmepumpen beheizt oder gekühlt, je nachdem, was notwendig ist. Der Strom für die Pumpen stammt von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach – die Pumpen sind so programmiert, dass sie die meiste Arbeit dann verrichten, wenn PV-Strom zur Verfügung steht, so Pumpenhersteller Ochsner.
Akteure im Energiesystem
Tatjana Horst ist viel unterwegs – nicht nur im Bus. Viele Stunden ihrer Arbeitswoche verbringt sie damit, von Betrieb zu Betrieb zu fahren und über die neuen Möglichkeiten aufzuklären. Der sich oft ändernde politische Rahmen, etwa bei den Einspeisevergütungen, verursache Unsicherheit und Missmut bei ihren Klienten, sagt sie. Ebenso der hohe bürokratische Aufwand. Trotzdem versucht sie, Mut zu machen: „Große Herausforderungen können auch große Chancen bedeuten – und Freiheiten“, betont Horst mit Blick auf die Vorteile, die der Umstieg auf selbst erzeugte Energie mit sich bringt: Unabhängigkeit sowie geringere und kalkulierbare Energiekosten. Gefragt, wo ihre Klienten aktuell stünden, lautet ihre Einschätzung: „Der Großteil hat Energieeffizienzmaßnahmen bereits umgesetzt, auch erneuerbare Energien kommen fast überall dort zum Einsatz, wo geeignete Flächen vorhanden sind.“ Nun folgten die aufwendigeren Schritte in Richtung Energieautarkie (siehe Kasten rechts).
Was genau folgen könnte – damit hat sich das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) befasst. Es hat untersucht, wie die Industrie und der Gewerbe-, Handel- und Dienstleistungssektor in die Energiewirtschaft eingebunden werden können und somit selbst zu Akteuren im Energiesystem werden. Das Ergebnis: Durch eine ganzheitliche Energiesystembetrachtung könne auch in mittelständischen Organisationen ein Transformationspfad in eine treibhausgasneutrale Zukunft gefunden werden. Dabei kann der Grad der Eigenversorgung vor allem durch Photovoltaik in Kombination mit Wärmepumpen oder thermischen beziehungsweise elektrischen Speichern gesteigert werden. Dies reduziere die Energiekosten sowie CO2-Emissionen.
In fünf Schritten zum passenden Förderprogramm
Die wichtigsten Schritte zur Energiekostenreduktion und zur Autarkiesteigerung beschreibt Expertin Tatjana Horst von der Handwerkskammer für Unterfranken so:
1. Status quo und Energiebedarf analysieren
Bei der Energieautarkie geht es nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern um eine ganzheitliche Sichtweise und Umgestaltung der Prozesse. Zuerst erfolgt eine Analyse des Bedarfs und der Gegebenheiten.
2. Energieeffizienz steigern
Im nächsten Schritt wird die Energieeffizienz angegangen, Verschwendung wird eliminiert, Energiequellen und -senken werden möglichst miteinander kombiniert.
3. Zunehmend erneuerbare Energien einsetzen
Dann wird der restliche Energiebedarf erneuerbar aufgestellt. Der schnellste Weg zur Energiekostenreduktion und Autarkiesteigerung ist eine PV-Anlage*.
4. Zum Stromproduzenten für andere werden
Den überschüssigen Strom kann man entweder selbst speichern, ins Stromnetz einspeisen oder zum Beispiel an befreundete Betriebe mittels eines Direktliefervertrags (PPA) weiterverkaufen.
5. Höheren Energiebedarf im Winter decken
Die Kür ist, auch die letzte Energiebedarfsspitze im Winter abfedern zu können. Realistisch ist eine 60- bis 70-prozentige Autarkie möglich – auch im Winter.
* Auch für Betriebe mit beschränkten Flächen oder mit Denkmal-/Ensembleschutzeinschränkungen gibt es Möglichkeiten ihre Energieautarkie zu steigern – zum Beispiel mithilfe von PV-Ziegeln oder Energie aus Abwasser.
Text: Tanja Könemann