Blick nach Brüssel: Wofür steht die neue EU-Kommission?
Ob EU-Parlament, Europäische Kommission oder Rat der EU: Europapolitik beeinflusst maßgeblich die deutsche Gesetzgebung – und damit auch den Handlungsrahmen für die Wirtschaft. Nach der Europawahl im Frühjahr nimmt nun eine neu zusammengesetzte Kommission die Arbeit auf. Wer sind die Vertreter, die die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre mitbestimmen?
Zweieinhalb Monate hat es gedauert, bis Ursula von der Leyen nach der Europawahl als alte und neue Präsidentin der Europäischen Kommission ihr neues Kollegium vorgestellt hat. Ende September präsentierte sie die zehn Kommissarinnen und 16 Kommissare, mit denen sie in den kommenden fünf Jahren die Geschicke der EU lenken möchte. Die besondere Herausforderung bei diesem Personalpuzzle: Alle 27 Mitgliedstaaten sollten bedacht werden, ebenso politische Strömungen. Und jeder wünschte sich ein möglichst wichtiges Ressort.
Gelöst hat von der Leyen die Aufgabe, indem sie den Zuschnitt vieler Ressorts verändert hat. Zudem sollen sechs Exekutiv-Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen Themen wie technologische Souveränität, Dekarbonisierung, Industrie und Innovationen, die Stärkung des europäischen Zusammenhalts sowie europäische Außenpolitik übergreifend verantworten. „Wir wollen interaktiver und vernetzter agieren“, begründet von der Leyen. „Was die Wirtschaft beeinflusst, wirkt sich meist auch auf die Gesellschaft aus. Und was Klima und Umwelt beeinflusst, trifft am Ende auch Menschen und Unternehmen.“
Für Unternehmen in Deutschland werden insbesondere diese acht EU-Kommissarinnen und Kommissare eine Rolle spielen:
Wettbewerb, Energie und Klima
Als neue Exekutiv-Vizepräsidentin für Wettbewerbspolitik und die Umsetzung des European Green Deal wurde Teresa Ribera Rodríguez berufen. Die 55-Jährige gibt für den Wechsel nach Brüssel ihre Position in der spanischen Regierung auf. Als Stellvertreterin des Ministerpräsidenten Pedro Sánchez verantwortete sie dort bisher den ökologischen Wandel. Genau das soll sie nun auf europäischer Ebene tun. Ursula von der Leyen verknüpft auch in ihrer zweiten Amtszeit europäische Wirtschaftspolitik eng mit dem European Green Deal. Als „Kommissarin für sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Wandel“, so der offizielle Titel, muss Ribera Rodríguez Klimaschutz und Wirtschaft unter einen Hut bringen. Wobei die Sozialistin als konsequentere Klimapolitikerin gilt. In Spanien hat sie Initiativen wie den Ausstieg aus dem Kohleabbau durchgesetzt. Wirtschaftsverbände sind deshalb ob ihrer Personalie skeptisch. In vielen Fragen wird sie sich jedoch eng mit den Kommissaren Wopke Hoekstra für Klimaschutz und Net Zero und Dan Jørgensen für Energie und Wohnungswirtschaft abstimmen müssen.
Der Niederländer Hoekstra war schon in der vorherigen Kommission für die europäische Klimapolitik zuständig, nachdem sein Vorgänger Frans Timmermans im August 2023 seinen Rücktritt eingereicht hatte, muss aber noch beweisen, ob er in der Lage ist, seine Ankündigungen umzusetzen. Unter anderem kritisiert er etwa noch immer bestehende Subventionen für fossile Energieträger.
Den Titel, den Dan Jørgensen erhält, hat es so in der EU noch nie gegeben. Als Kommissar für Energie und Wohnungswesen wird er erstmalig ein Ressort führen, das explizit für Bauen und Wohnen zuständig ist. Kombiniert mit der Zuständigkeit für Energie soll der Däne den Ausbau der Erneuerbaren sowie die Gebäudesanierung in Europa vorantreiben.
Binnenmarkt, Bürokratie und Handel
Einen vergleichbar wichtigen Posten wie Theresa Ribera Rodríguez wird der Franzose Stéphane Séjourné ausfüllen. Er folgt auf den im Streit mit Ursula von der Leyen zurückgetretenen französischen EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Séjourné gilt als enger Vertrauter von Emmanuel Macron und wird dafür sorgen, dass Frankreichs Einfluss in der EU gewahrt bleibt. Er wird nicht nur Binnenmarktkommissar, sondern hat als Exekutiv-Vizepräsident auch die Kommissare für Wirtschaft und Produktivität, Valdis Dombrovskis, und Handel, Maroš Šefčovič, unter sich.
Valdis Dombrovskis ist ein erfahrener EU-Politiker. Der Lette gehörte bereits zwei EU-Kommissionen an. Im neuen Kollegium von Ursula von der Leyen wird er gemeinsam mit Séjourné und dem Slowaken Šefčovič als Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit eine neue europäische Industriestrategie entwickeln müssen, die darauf abzielt, dass europäische Produkte nachgefragt werden. Unter anderem nannte von der Leyen die Entwicklung eines europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit (European Competitiveness Fund), der sicherstellt, dass Europa in die richtigen Innovationen und Technologien investiert, um die Wirtschaft nachhaltig und zukunftsfähig aufzustellen.
Digitalisierung und Innovation
Kern der neuen Industriestrategie wird neben der Dekarbonisierung die Digitalisierung sein. Für diesen Bereich hat Ursula von der Leyen die Finnin Henna Virkkunen vorgesehen. Die 52-Jährige sitzt seit zehn Jahren im EU-Parlament und war Bildungsministerin in der finnischen Regierung. Nun wird sie Exekutiv-Vizepräsidentin für Sicherheit, Demokratie und Werte. Im sogenannten Mission-Letter, mit dem jedes neue Kommissionsmitglied berufen wird, umfasst die Beschreibung ihrer künftigen Aufgaben vier Seiten. Virkkunen soll sicherstellen, dass digitale Technologien im Einklang mit europäischen Werten entwickelt werden, sie soll die Cybersicherheit verbessern, gegen Desinformation vorgehen und die demokratischen Institutionen der EU schützen.
Zur Seite stehen wird ihr dabei unter anderem Ekatherina Zaharieva aus Bulgarien. Sie rückt als Kommissarin für Startups, Forschung und Innovation an die Spitze der europäischen Forschungspolitik. Der Bereich Bildung fehlt in ihrem Ressort, das anders gestaltet ist als das ihrer Vorgängerin, damit sich Zaharieva voll auf Forschung und Innovationen konzentrieren kann. Unter anderem soll sie einen Forschungsrat für Künstliche Intelligenz aufbauen und eine Strategie entwickeln, wie europäische Forschende KI schneller aufnehmen können.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke
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