Ein Bremsklotz namens Fachkräftemangel
Deutschlands Wirtschaft geht es schlecht. Neben schwacher weltweiter Nachfrage und hohen Energiepreisen bremst auch der Fachkräftemangel Unternehmen aus – wie sehr, wird oft allerdings noch unterschätzt.
Im August haben wir unsere Konjunkturprognose für das Jahr 2023 nach unten korrigiert. Während wir im Frühjahr noch davon ausgingen, dass das Bruttoinlandsprodukt um rund 0,25 Prozent steigen wird, erwarten wir inzwischen einen Rückgang von fast einem halben Prozent. Auch die anderen großen Institute glichen ihre Prognosen an. Dass die Wirtschaftsleistung schrumpfen wird, gilt als ausgemacht. Die Gründe sind vielfältig: Die weltweite Nachfrage ist schwach, Energie ist sehr teuer, die hohen Zinsen machen Investitionen unattraktiv. Hinzu kommen Langzeitprobleme wie der Fachkräftemangel, der den Unternehmen zu schaffen macht.
Ende 2022 haben wir über 2.500 Unternehmen gefragt, was ihre Produktion in diesem Jahr erschweren könnte. 38 Prozent von ihnen gaben an, dass fehlende Arbeitskräfte einen mittleren Effekt auf ihre Produktion haben, weitere 39 Prozent sprachen von einem starken Effekt. Damit ist der Mangel an Kolleginnen und Kollegen für 77 Prozent der Unternehmen das größte Produktionshemmnis. Zum Vergleich: Hohe Energiekosten, das zweitgrößte Hemmnis, haben für 61 Prozent einen mindestens mittleren Effekt.
Wo die größten Lücken sind
Während die schwächere Wirtschaftsleistung aufgrund des Fachkräftemangels für viele nur eine abstrakte Folge ist, macht der Blick auf einzelne Berufe die Probleme greifbar. 2022 konnten etwa von rund 30.000 offenen Stellen im Bereich Kinderbetreuung und -erziehung rechnerisch 22.000 Stellen nicht besetzt werden. Die Folge: 2023 fehlen laut neuen IW-Berechnungen fast 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Für Eltern wiederum bedeutet das: Wird das Kind nicht betreut, ist Arbeit kaum möglich. Insbesondere alleinerziehende Frauen, die in Teilzeit arbeiten, würden gerne mehr arbeiten, doch die Betreuungssituation lässt das nicht zu – zeitgleich verschlimmert sich dadurch der Fachkräftemangel.
Auch im Bereich der regenerativen Energietechnik fehlt Personal. Auf 100 offene Stellen kamen im Juni nur 35 qualifizierte Arbeitslose. Wenn wir die ökologische Transformation ernsthaft angehen wollen, brauchen wir mehr Menschen, die in der Lage sind, mit anzupacken. Das gilt nicht nur für den Bau von Windrädern und Photovoltaikanlagen, sondern auch im Bahnverkehr. Als Berufspendler kenne ich – wie viele Millionen Menschen in Deutschland – die gewaltigen Probleme der Bahn. Auf 100 offene Stellen in der Überwachung und Steuerung des Eisenbahnverkehrsbetriebs kommen gerade einmal zwölf qualifizierte Arbeitslose.
Und während die Probleme an vielen Stellen immer größer werden, sinnieren manche über ein bedingungsloses Grundeinkommen oder die Viertagewoche. Dabei zeigen die Daten, dass wir das Arbeitszeitvolumen vergrößern müssen. Insbesondere die unfreiwillige Teilzeit, die häufig Eltern betrifft, muss reduziert werden. Aber auch über einen späteren Renteneintritt oder längere Wochenarbeitszeiten müssen wir offen reden. Nur so können wir unsere volkswirtschaftliche Basis und den Wohlstand bewahren.
Prof. Dr. Michael Hüther
leitet seit 2004 als Direktor und Mitglied des Präsidiums das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Mit seinem Team forscht und veröffentlicht er zu Themen wie dem aktuellen Strukturwandel, Ordnungspolitik, aktuellen und vergangenen Wirtschaftskrisen wie auch zur Regulierung der Kapitalmärkte.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Prof. Dr. Michael Hüther
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