Führungskräfte in Teilzeit: Zufriedene Pioniere
Führungskräfte, die ihre Arbeitszeit reduzieren, sind in Deutschland noch selten. In Industrieunternehmen sind sie eine echte Rarität. Die Wegbereiter dieses Modells bereuen ihren Schritt nicht – auch wenn er ihnen oft nicht leichtfällt.
Ein Pionier, das ist gemeinhin jemand, der einen neuen Impfstoff entwickelt, eine unbekannte Spezies erforscht oder ein einzigartiges Geschäftsmodell etabliert. Nichts davon trifft auf Ludger Huntemann zu. Und doch ist auch er ein Pionier. Huntemann hat als erste männliche Führungskraft bei seinem Arbeitgeber, dem norddeutschen Energie- und Telekommunikationsunternehmen EWE, die Arbeitszeit reduziert und seine Vollzeitstelle in eine Teilzeitstelle umgewandelt. Das war 2017 – und kam im Unternehmen einer kleinen Revolution gleich.
Huntemanns Motiv hing entscheidend mit der Familiensituation zusammen. Einige Jahr zuvor kam seine erste Tochter zur Welt. „Bevor sie aufwachte, war ich aus dem Haus. Wenn ich zurückkam, schlief sie schon“, erzählt der Ingenieur, der bei der EWE-Tochter EWE Netz ein Team von zehn Mitarbeitern führt.
Bis Huntemann aber seinem Chef den Teilzeit-Wunsch vortrug, verging Zeit. Acht Monate kreisten seine Gedanken darum. „Meine Befürchtung war, dass ich nicht weiter als Führungskraft arbeiten darf“, sagt er. Tatsächlich erbat sich sein Vorgesetzter vier Wochen Bedenkzeit. Das Ergebnis: Huntemann durfte auf 80 Prozent reduzieren, zunächst auf ein Jahr befristet. Seitdem arbeitet er nach dem sogenannten Jahresteilzeitmodell: Unter der Woche arbeitet er Vollzeit, aber durch die Teilzeitregelung erhält er einen zusätzlichen Urlaubsanspruch. Statt auf 30 Tage Urlaub im Jahr kommt Huntemann auf 70 Tage.
Huntemanns Chef meldete sich bereits nach sechs Monaten zurück und gab grünes Licht für die Zukunft. „Mir wurde gesagt, dass es keinen Unterschied in meiner Arbeitsleistung gebe, ich wurde sogar als noch präsenter wahrgenommen“, sagt der heute 45-Jährige. Wie macht er das? Er setzt auf persönliche Effizienzsteigerung. Er übt sich zudem darin, die Teilnahme an so manchem Sonderprojekt abzulehnen und bezieht viel stärker als zuvor seine Mitarbeiter ein. „Früher habe ich jeden Termin selber wahrgenommen, heute benenne ich Mitarbeiter, um sie in ihrer Verantwortung zu stärken“, sagt Huntemann.
Teilzeit für Führungskräfte noch sehr selten
Das Beispiel Ludger Huntemann hat in Deutschland immer noch Seltenheitswert. Während fast 40 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit beschäftigt sind, haben nur rund elf Prozent der Führungskräfte einen Vertrag mit einer Arbeitszeit unter 30 Stunden pro Woche – trotz des Rechtsanspruchs auf Teilzeit, den es seit 2001 gibt. Deutschland liegt damit im EU-Vergleich auf einem Platz im Mittelfeld. Obwohl das Thema wissenschaftlich noch nicht tiefgehend erforscht ist, gibt es einige Ergebnisse aus verschiedenen Studien: Frauen arbeiten deutlich öfter auch mit einer Vorgesetztenfunktion in Teilzeit als Männer. Je höher man in der Hierarchie von Unternehmen nach oben schaut, desto kleiner fällt der Anteil aus. In Industriebetrieben ist die Quote der Teilzeitführungskräfte besonders gering, weil der Männeranteil in der Belegschaft höher ist.
Diese Zahlen stehen im Widerspruch zum Wunsch vieler Angestellter, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zufolge zeigt sich dieser Wunsch insbesondere bei Beschäftigten mit einem hohen Bildungsniveau. Die Autoren wissen aber auch einzuordnen, dass diese Gruppe im Durchschnitt ein höheres Einkommen hat und daher weniger stark von möglichen Einkommenseinbußen betroffen ist.
Wunsch versus Wirklichkeit. Auch für Andreas Hoger ist das ein großes Thema. Sogar bis heute, sodass er nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden möchte. Auch bei ihm hing das Motiv, seine Arbeitszeit zu reduzieren, mit der Familiensituation zusammen. Er und seine Frau leben eine gleichberechtigte Partnerschaft. Bis zur Geburt des zweiten Kindes hatte sie ihrem Mann beruflich den Rücken freigehalten. Zugunsten ihrer beruflichen Karriere hat Andreas Hoger, Teamleiter in einem Industrieunternehmen, 2018 seine Arbeitszeit auf 80 Prozent gesenkt. Seitdem hat er freitags frei. Mulmig war ihm bei dem Schritt trotzdem. „Es gab im Unternehmen bis dahin keine Vorbilder“, sagt er rückblickend. Die Reaktion seines Chefs sei aber positiv gewesen. „Er hat mich von Anfang an unterstützt.“
Aufteilung in Fach- und Führungsaufgaben sinnvoll
Auch Dorothee Maier war Wegbereiterin für „Führen in Teilzeit“. 2012 machte die Leiterin der Personalentwicklung beim Käsehersteller Hochland ihrem Chef den Vorschlag, in Teilzeit mit 80 Prozent zu arbeiten. „Ich wollte nicht nur arbeiten, sondern auch Zeit für darüber hinausgehende Interessen haben, wie etwa freiberufliches Coaching oder das Tanzen“, sagt die heute 44-Jährige, die mit ihrem Mann im Allgäu lebt. „Ich habe eine Vier-Tage-Woche. So kann ich zum Beispiel auch meine Mutter in Hamburg mal an einem verlängerten Wochenende besuchen.“ Maiers Vorgesetzter gab schnell seine Zustimmung. Das lag auch daran, dass Maier ihm skizziert hatte, wie die künftige Aufgabenteilung im Team aussehen könnte. Trotzdem brauchte die Diplom-Psychologin einige Zeit, sich ganz auf das Modell einzulassen. „Am Anfang hat das schon meinen Puls hochgetrieben, wenn ich wusste, ich bin am Freitag nicht im Haus und die Kollegen werden in meiner Abwesenheit Entscheidungen treffen“, sagt Maier. Das hat sich aber längst eingespielt. „Führen heißt für mich auch loslassen, Eigenverantwortung im Team stärken, das geht mit Teilzeitarbeit wunderbar“, sagt Maier.
Kerstin Stöver kennt Fälle wie Huntemann, Hoger und Maier. Seit 2017 berät sie Unternehmen bei der Umsetzung. Stövers Kunden sind Mittelständler, zumeist mit 500 bis 5.000 Mitarbeitern. Manchmal, so Stöver, gehe die Initiative vom Unternehmen aus. Eine Firma habe ihren Führungskräften über die Mitarbeiterzeitschrift das Angebot gemacht, auf 80 Prozent zu reduzieren und für sechs Monate trotzdem 100 Prozent Gehalt zu bekommen. „Auch danach, mit dem angepassten, geringeren Gehalt ist keiner abgesprungen“, berichtet Stöver. Einer könne jetzt seine Angehörigen besser pflegen, andere sich besser um die Kinder kümmern, Dritte ein Hobby intensiver ausüben.
Experten wie Stöver zufolge ist eine Reduzierung bei Führungskräften auf 80 Prozent am häufigsten und am praktikabelsten. Sie rät dazu, mindestens einen Stellvertreter zu berufen sowie klare Absprachen und Kommunikationswege vorher festzulegen. Sie kennt auch Fälle, in denen Trainees höherwertige inhaltliche Aufgaben des Chefs übernommen hätten und so in eine Führungsrolle hineinwüchsen. Mitunter werde aber auch das Team vergrößert, um die Arbeit zu verteilen. Stöver rät außerdem dazu, Fach- und Führungsaufgaben aufzuteilen, sodass die Führungskraft überwiegend der Führungsaufgabe nachgeht und die Mitarbeiter das Fachliche übernehmen. So wächst das gesamte Team zusammen und alle sind involviert.
Führungskräfte in Teilzeit müssen Zeitfresser erkennen
Industriemanager Hoger sieht seine Rolle hauptsächlich im Sparring. „Ich habe ein sehr heterogenes Team, sodass ich in den Themen nicht in der Tiefe drin sein kann – ich stehe vor allem als Sparringspartner den Kollegen zur Seite.“ Jede Führungskraft müsse für sich klären, was die Hauptaufgaben seien, müsse die Strukturen überprüfen und Zeitfresser identifizieren. Dazu gehöre es auch, sich in Besprechungen vertreten zu lassen und darauf zu vertrauen, dass die eigenen Interessen berücksichtigt werden. Hoger taxiert den Kern seiner Aufgaben auf 20 Stunden pro Woche, weitere Zeit benötigt er für Sonderthemen – und denkt mittlerweile über die nächsten Karriereschritte nach. „Wenn meine jüngste Tochter auf der weiterführenden Schule ist, könnte ich wohl wieder Stunden erhöhen“, sagt er.
Bei EWE hat Ludger Huntemanns Beispiel inzwischen Schule gemacht. Heute arbeiten 35 EWE-Führungskräfte von mehreren Hundert in Teilzeit, ein Viertel davon sind Männer, sogar ein Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft ist dabei. Seit Ende 2020 schreibt der EWE-Konzern zudem alle neuen Führungsstellen auch als teilzeitgeeignet aus. Das käme in anderen Unternehmen immer noch einer kleinen Revolution gleich.
Anspruch auf Teilzeit
Auch für Arbeitsrechtler steigt der Beratungsbedarf beim Thema „Führen in Teilzeit“. Kira Falter, Partnerin der Rechtsanwaltskanzlei CMS Deutschland, skizziert Trends und rechtliche Rahmenbedingungen:
- Seit 2001 gibt es einen Rechtsanspruch auf Teilzeit in Unternehmen ab einer Größe von 15 Mitarbeitern. Mit der Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zum 1. Januar 2019 wurde zudem der Anspruch auf die sogenannte Brückenteilzeit geschaffen.
- Damit ist bei der Reduzierung der Arbeitszeit nun zwischen dem Anspruch auf unbefristete Teilzeit (gemäß § 8 TzBfG) und dem Anspruch auf befristete Teilzeit (gemäß § 9a TzBfG) zu unterscheiden.
- Mehr noch als der rechtliche Aspekt dominieren kulturelle Veränderungen in den Unternehmen das Thema. Immer mehr Angestellte trauen sich, diesen Anspruch geltend zu machen.
- Allerdings schauen viele Chefs immer noch verdutzt, wenn Männer eine Elternzeit über zwei Monate hinaus beantragen. Eine Elternzeit mündet nicht selten in eine Teilzeitbeschäftigung.
- Konkreter Beratungsbedarf entsteht, Falter zufolge, wenn die jeweiligen Arbeitsplätze neu strukturiert werden sollen.
- Im Kommen sind Tandem-Modelle, bei denen sich zwei Führungskräfte eine Stelle teilen. Häufig sind dann die Führungskräfte jeweils mit 60 oder 70 Prozent angestellt, sodass sie genügend Zeit haben, sich abzustimmen und Themen einander zu übergeben.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Martin Scheele
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