Gefährdung nimmt zu - Insolvenzen nehmen ab
Mit 82.100 Gesamtinsolvenzen lag die Zahl der Verfahren 2020 auf dem niedrigsten Stand seit 2001. Betroffen waren rund 16.300 Unternehmen von einer Insolvenz – das ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr von 13,4 Prozent. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen nahm noch stärker ab: 45.800 Entschuldungsverfahren wurden beantragt (minus 27,1 Prozent). Bei den „sonstigen" Insolvenzen kam es zu einer Abnahme der Fälle gegenüber dem Vorjahr von minus 12,0 Prozent.
Scheinbar ohne Schäden
Auf dem ersten Blick stellt diese Entwicklung eine Überraschung dar. Bereits 2019 hatten sich gesamtwirtschaftliche Abschwächungen gezeigt, die erwarten ließen, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2020 nach vielen Jahren wieder ansteigen würde. Dann kamen noch die Corona-Epidemie und der Lockdown hinzu, womit viele Betriebe an den Rand der Pleite gedrückt wurden. Vor allem die Gastronomie, der Einzelhandel, Messe-, Reise-, und Eventveranstalter gerieten durch Schließungen ins Abseits. Doch die Regierung hat gegengesteuert: Überbrückungsgelder, Kurzarbeitergeld und eine Vielzahl finanzieller Hilfen halfen manchen (kleinen) Betrieben, die Umsatzausfälle zu kompensieren. Aber auch große Unternehmen, etwa aus den Bereichen „Tourismus“ oder „Transport“, wurden unterstützt.
Entscheidend aber für das Insolvenzgeschehen war die Aussetzung der Pflicht zum Insolvenzantrag. Wer deutlich machen konnte, dass die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid zu Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung geführt haben, brauchte nicht den Weg zum Insolvenzrichter anzutreten. Dazu kommt ein weiteres: Geschäftsstellen der Amtsgerichte waren durch die Pandemie in personelle Engpässe geraten und mit dem Abwickeln der Verfahren überlastet. Es gilt also abzuwarten, bis formalrechtlich und bürokratisch die Gerichte im Hinblick auf die Insolvenzen wieder in den „Normalbetrieb“ gehen werden. Deutlich ist darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung bei den Unternehmensinsolvenzen, aber auch bei den Verbrauchern, nicht die tatsächliche Situation und die Schwierigkeiten der aktuellen Lage wiedergeben.
Die Großen nutzen Sanierungsoptionen
Die Insolvenzen des Jahres 2020 sind gekennzeichnet durch eine Zunahme größerer Unternehmen, die in eine Schieflage gerieten. Entsprechend hat die Zahl von Betrieben zugenommen, die ein Schutzschirmverfahren oder eine Insolvenz in Eigenverwaltung auf der Basis eines ausgearbeiteten Insolvenzplans und in Abstimmung mit den Gläubigern vornahmen. Diese Veränderungen in der Größenstruktur der Unternehmensinsolvenzen schlägt sich bei den Arbeitsplatzverlusten und den Insolvenzschäden für die Gläubiger nieder. Insgesamt betragen die zu erwartenden Forderungsverluste für die Gläubiger 2020 rund 34 Milliarden Euro – im Vorjahr waren es noch 23,5 Milliarden Euro. Im Durchschnitt der Fälle beträgt die Höhe der offenen Forderungen 2,1 Millionen Euro – ein Rekordwert in den letzten Jahren. Vom Verlust ihres Arbeitsplatzes sind rund 332.000 Personen bedroht. Diese Zahl übertrifft den Vorjahreswert von 218.000 Betroffenen deutlich. Nur im Jahr 2012, als es zur Großinsolvenz einer Einzelhandelskette kam, war die Zahl mit 346.000 bedrohten Arbeitsplätzen größer.
Ein Blick auf die Umsatzgrößenklassen und die Beschäftigtenzahlen insolventer Unternehmen bestätigt die These, das 2020 das „ausgedünnte“ Insolvenzgeschehen stark von größeren Unternehmen geprägt wurde. So hat sich die Zahl der Betriebe mit einem Umsatz größer 50 Millionen Euro von 90 (2019) auf 180 vergrößert. Abnahmen gab es dagegen bei den Umsatzgrößenklassen bis 500.000 Euro von fast 20 Prozent. Ähnlich ist die Situation bei den Beschäftigten: Betriebe mit mehr als 100 Mitarbeitern haben ihren Anteil am Insolvenzgeschehen verdoppelt. Anzumerken ist, dass das Insolvenzvorkommen allerdings immer noch eindeutig von kleinen Unternehmen geprägt wird. Gut 60 Prozent aller Insolvenzanträge kommen von Betrieben, die höchstens 500.000 Euro Umsatz im Jahr verbuchen können und 80 Prozent der Unternehmenspleiten stellen Unternehmen mit höchstens fünf Beschäftigten. Gerade diese kleinen Unternehmen, etwa Soloselbstständige, Gewerbebetriebe und Freiberufler sind aber durch den Lockdown besonders gefährdet. Es ist fraglich, ob sie überleben können, wenn das Insolvenzrecht ohne Ausnahmen wieder in Kraft tritt und die unterstützende Finanzierung entfällt.
Einzelhandel nicht betroffen?
Auch ein Blick auf das Branchengeschehen bei den Insolvenzen zeigt nicht das Ausmaß der Gefährdungen durch den Lockdown. Die Zahlen sind über alle Wirtschaftsbereiche rückläufig. Während der Bau, dem die Pandemie bisher dank eines weiteren Booms noch nichts anhaben konnte, ein Minus von 16,4 Prozent registrierte, zeigen sich auch der Handel und die Dienstleister mit abnehmenden Insolvenzzahlen. Beim Handel nahmen die Insolvenzen um 16,3 Prozent ab, bei den Dienstleistungen um mehr als 12 Prozent. Gerade der Einzelhandel und die konsumnahen Dienstleister sind aber besonders in der Krise gefährdet.
Die Insolvenzen des Vorjahres sind kein Spiegel des Wirtschaftsgeschehens, das unter anderen Umständen geprägt ist von Marktein- und -austritten. Auch hier zeigen die Register bei den Gewerbeämtern nicht das, was zu erwarten ist. Die Löschungen nahmen nicht zu. Eine Prognose für das beginnende Jahr ist schwierig – alles hängt davon ab, wie sich die Pandemie und die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Bürger auswirken. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Folgen des Lockdowns auf die Unternehmensstabilität und damit die Insolvenzen massiv negativ auswirken werden.
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