Hinter den Kulissen der Überschuldung
Eine Nachricht, die zunächst überrascht: Die Überschuldung der Verbraucher in Deutschland ist 2023 gesunken.
Angesichts wieder anziehender Insolvenzen, einer anhaltenden Rezession und immer noch hoher Preise, insbesondere bei Gas und Elektrizität, löst diese Meldung auf der Basis des von Creditreform erstellten SchuldnerAtlas Deutschland zunächst Erstaunen aus. Auch wenn in vielen Regionen das einmal vorherrschende Rot einer tiefgrünen Färbung gewichen ist, zeigen die gewohnten Hotspots der Überschuldung im Ruhrgebiet, in den größeren Städten ehemaliger Industrieregionen, aber auch in ländlichen Gebieten Norddeutschlands weiterhin eine anhaltend rote bis orange Überschuldungslage der Anwohner im zweistelligen Prozentbereich.
„Harte“ und „weiche“ Überschuldung
Im fünften Jahr in Folge ist die Überschuldung der Verbraucher in Deutschland zurückgegangen. Sie erreichte damit den niedrigsten Wert seit Beginn der Überschuldungsanalyse im Jahr 2004. Bei 69,4 Millionen Erwachsenen sind 5,65 Millionen Personen zu zählen, die nicht in der Lage sind, ihre Außenstände zu begleichen. Damit wurde im Herbst 2023 eine Überschuldungsquote von 8,15 Prozent gemessen – knapp 2,8 Millionen Haushalte sind betroffen. 2019 wurde eine Überschuldungsquote von 10 Prozent errechnet und insgesamt waren 6,92 Millionen Menschen von einer nachhaltigen Zahlungsstörung betroffen. Zum aktuellen Stichtag 1. Oktober 2023 waren 233.000 Personen weniger als im Vorjahr als überschuldet zu bewerten. Dieser Rückgang fiel nicht so deutlich aus wie 2022 mit einem Minus von 274.000 Betroffenen und 2021 mit einer Abnahme von sogar 695.000 Fällen. Deutlich wird, dass der Rückgang der Überschuldung in der Corona-Epidemie sehr viel markanter war. Wie die Kurve des Rückgangs der Fälle zeigt, nimmt die Überschuldung zwar weiterhin ab, dies jedoch in geringerem Maße. So war im September 2023 tatsächlich wieder eine Zunahme von 57.000 Betroffenen zu registrieren.
Wie ein genauerer Blick auf das Überschuldungsgeschehen über eine zunächst positiv erscheinende Entwicklung tiefere Erkenntnisse zu Tage fördert, zeigt auch das Verhältnis von „harter“ und „weicher“ Überschuldung. Harte Überschuldung bedeutet, dass die Zahlungsmisere bereits gerichtsnotorisch geworden ist. Juristische Merkmale sind aber nun zurückgegangen. 3,14 Millionen Privatpersonen weisen diese – also beispielsweise ein Verbraucherinsolvenzverfahren – noch auf. Vor vier Jahren waren mehr als 4 Millionen Überschuldete in einer so intensiven Schuldensituation. Die eher geringe (weiche) Überschuldung hat gegen den gesamten Trend 2023 sogar zugenommen. Nahm sie 2021 noch um 470.000 Personen ab, so flachte dieser Rückgang bereits 2022 mit einem Minus von 54.000 Überschuldeten ab, um dann 2023 wieder um 3.000 Fälle zuzunehmen. Von weicher Überschuldung ist zu sprechen, wenn Rechnungen von mehreren Gläubigen unbezahlt bleiben. Es kommt in vielen Fällen zur gefürchteten „Überschuldungsspirale“ und mit dem Anwachsen der offenen Beträge verengen sich die Perspektiven, die schwierige Finanzierungssituation zu verlassen. Weiche Überschuldung geht schließlich in harte Überschuldung über. Die Gründe für diese Zunahme liegen wohl im sogenannten „Nachholkonsum“. Angesichts der massiven Krise und dem Lockdown übten die Verbraucher Konsumverzicht. Die wirtschaftliche Erholung 2022 war nur kurzzeitig, reichte aber wohl den Konsumenten, um dann doch erneute Zahlungsverpflichtungen, etwa für einen Urlaub, einzugehen.
Sich wieder etwas leisten
Die Creditreform Tochter microm erstellt eine Überschuldungstypologie, mit deren Hilfe bestimmte Persönlichkeitsmerkmale entsprechenden Überschuldungssituationen zugeordnet werden können. Und so zeigen sich Zugänge bei der Überschuldung von „dauerüberschuldeten“ Menschen aus prekären sozialen Milieus, die nicht in der Lage sind, geringes Einkommen mit ihren Ausgaben in Übereinstimmung zu bringen. Diese geraten aktuell angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise in einer Schieflage. Selbst staatliche Unterstützungsmaßnahmen, wie sie in der Krise zur Verfügung gestanden haben, helfen nicht, die Überschuldung zu beenden. Eine weitere Gruppe, die sog. „Überschuldungsvermeider“, ist nicht in der Lage, die offenen Rechnungen zu begleichen. Diese Verbraucher machen selten Schulden und sind um eine schnelle Rückzahlung bemüht. Auch hier zeigt sich, wie gegen den positiven Gesamttrend eine Umkehr einsetzt. Beide Gruppen der Typologie weisen mit ihren Zunahmen auf, wie die gesamtwirtschaftliche Krise im Zeichen von Teuerung und Rezession wohl in Zukunft zu einer Änderung der (noch) recht positiven Erholung bei der Überschuldung führen wird. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist von der Krise bisher wenig betroffen. Arbeitslosigkeit ist der Hauptgrund für Überschuldung und es bleibt zu hoffen, dass sich auch angesichts von Auftragsrückgängen an der Stabilität des Arbeitsmarktes nichts ändert.
Noch hält der Arbeitsmarkt
Die leichte Zunahme der weichen Überschuldung auf Basis eines wieder zunehmenden Konsums belegen weitere Strukturmerkmale des SchuldnerAtlas. Auf der einen Seite ist die Überschuldungsquote insgesamt nur in sechs von 400 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten gestiegen. Dem steht gegenüber, dass in mehr als der Hälfte der Regionen die weiche Überschuldungsquote angestiegen ist. Und auch die Differenzierung nach den Geschlechtern zeigt zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen einen Rückgang der Überschuldungsquote, allerdings wurde bei Frauen ein Anstieg der weichen Überschuldung registriert. Gegen den Trend und im Zusammenhang mit der Konsumaffinität sind auch die Altersklassen zu sehen. So weist die Personengruppe der jungen Erwachsenen bis 29 Jahre erstmals seit 2013 einen Zugang bei der Überschuldung auf. Schließlich zeigt die Betrachtung der ältesten Gruppe (über 70 Jahre) unter allen Generationen den geringsten Rückgang auf (minus 3,0 Prozent).
Die positive aktuelle Entwicklung bei der Überschuldung in Deutschland zeigt bei näherem Hinsehen, wie sich angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Gesamtsituation ein Anspringen des Konsums bereits jetzt in Ansätzen negativ auswirkt. Fallende Zinsen, geringere Inflation und vor allem eine wirtschaftliche Konjunkturerholung können hoffentlich eine Trendumkehr bei der Überschuldung verhindern.
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