Kommt die Insolvenzwelle?
Überrollt uns eine Insolvenzwelle im Herbst oder wird alles doch „nicht so schlimm“? Es soll hier nicht darum gehen, eine klare Antwort auf diese Frage zu geben, sondern das Umfeld und die bisherige Entwicklung zu skizzieren, um Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, was uns im Hinblick auf die weitere Insolvenz-Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte erwartet.
War man vor der Krise noch davon ausgegangen, dass Deutschland im Hinblick auf seine konjunkturelle Entwicklung für 2020 mit einem Plus von etwa 0,3 Prozent rechnen könnte, so ist seit dem Frühjahr klar, dass der Einbruch, wenn überhaupt nur mit der Finanzkrise vor gut zehn Jahren vergleichbar, deutlich massiver sein würde. Immerhin war es bereits seit dem Sommer 2019 zu gesamtwirtschaftlichen Rückgängen gekommen. Jetzt verschärfte sich die Lage durch die Corona-Pandemie entscheidend. Für das zweite Quartal gehen Experten von einem deutlich zweistelligen Minus beim Bruttoinlandsprodukt aus, für das Gesamtjahr erreicht die Rezession wohl ein Minus von fünf bis acht Prozent.
Die Folgen in den Griff bekommen
Die Bundesregierung hat gegengesteuert. Das reicht von der Reduzierung der Mehrwertsteuersätze und dem Kinderbonus bis zu Überbrückungshilfen für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige. Den Unternehmen werden Steuererleichterungen angeboten, die Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 Prozent „stabilisiert“ sowie die Energieumlagen begrenzt. In Deutschland wurde ein Hilfspaket im Wert von 130 Mrd. Euro auf den Weg gebracht – in Europa werden 750 Mrd. Euro als Kredite und als Zuschüsse an die Länder verteilt.
Schon zwei Wochen nach dem Shutdown Mitte März kamen am Ende des Monats Änderungen beim Insolvenzrecht, die verhindern sollten, dass die Schließung der Betriebe durch die Pandemie zu einer Vielzahl von Insolvenzen führen würde. Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung wurde ausgesetzt, wenn die Zahlungsunfähigkeit eine Folge der Pandemie war. Im Rahmen der gesetzlichen Änderungen wurden auch die Regelungen zur Insolvenzanfechtung außer Kraft gesetzt. Wer also an ein Unternehmen in akuter Corona-Gefährdung Kredite vergab oder Leistungen zur Verfügung stellte, musste nicht befürchten, dass ihm eine Anfechtung und die Rückabwicklung drohen würden. Tatsächlich blieb die Insolvenzentwicklung bei den Unternehmen stabil – es kam im ersten Halbjahr 2020 sogar zu einem Rückgang. Die „Abmilderung“ (Altmeier) scheint sich bewährt zu haben, auch wenn bei den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme vielfach mit Vermutungen gearbeitet wurde, ob es sich tatsächlich um Auswirkungen der Pandemie handelte oder der Betrieb einfach nicht marktgerecht war.
V, U oder L?
Für die Zahl der Insolvenzen ist aber letztendlich nicht der rechtliche Rahmen alleine, sondern prinzipiell die wirtschaftliche Entwicklung des einzelnen Betriebes entscheidend. Wie wird sich die Konjunktur erholen? Sehr plakativ ist da von einem V, einem U oder einem L die Rede. Letztlich ruhen die Hoffnungen darauf, dass es nicht zu einer L-Entwicklung, also einer langfristigen Stagnation kommen werde, sondern dass ein V am besten den plötzlichen Einbruch mit einer kurzfristig folgenden Erholung darstellt.
Fraglich ist aber dennoch, ob diese Hoffnungen auf eine schnelle konjunkturelle Erholung tatsächlich die Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt. Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass viele der Hilfen nur Kredite sind, die schließlich die weitere Tätigkeit behindern, weil sie letztendlich zurückzuzahlen sind. Das gleiche gilt für Moratorien bei Zahlungen, die schließlich doch irgendwann zu leisten sind. So führen die gutgemeinten Hilfen zu einer Belastung der Bilanz. Auch wenn die Überschuldung bisher als Insolvenzgrund nur noch eine geringe Rolle gespielt hat, könnte sich dies dann ändern. Die Hilfen sind also ein zweischneidiges Schwert – eine Arznei, die akut in der Krise helfen mag, deren Nebenwirkungen aber später umso deutlicher werden.
Sanierung ermöglichen
Es rächt sich nun auch, dass, nicht zuletzt bedingt durch die langen Zeiten einer positiven Insolvenzentwicklung, die Umsetzung der Möglichkeiten einer Sanierung in der Insolvenz noch immer zu wenig genutzt werden. Auch die langen Zeiträume, die man sich gegeben hat, um das europäische Sanierungsrecht in Deutschland umzusetzen, sind jetzt kontraproduktiv, wenn es darum geht, die Betriebe nach der akuten Krise zu retten. Eine Rolle spielt außerdem, dass sich in der Schönwetterperiode der Insolvenzen in der vergangenen Dekade die Insolvenzverwalter-Szene ausgedünnt hat.
In den Zeiten rückläufiger Insolvenzen hat Creditreform auf der Basis verschiedener Analysen bereits gewarnt, dass Unternehmen bei wirtschaftlichen Rückgängen aufgrund ihrer dürftigen Ertragslage und ihrer Verschuldungs-Situation einer Krise nicht gewachsen seien. Den Hinweis auf die „Zombies“ unter den Unternehmen hört keine Regierung gerne. In der akuten Pandemie steigt die Sensibilität noch. Dabei ist klar, dass viele Branchen, die bereits vor der Krise von Insolvenzen betroffen waren, jetzt nur noch deutlicher anfällig geworden sind. Das reicht vom Tourismus und dem Flugverkehr über den Einzelhandel und die Gastronomie bis zu vielen Sektoren des Konsum- oder Unternehmens-Dienstleistungssektors. Insolvenzen sind auch in der Automobilbranche zunehmend. Der Export, für Deutschland überlebenswichtig, wird auch in Zukunft unter Restriktionen, Embargen und politischen Krisen zu leiden haben.
Also kommt tatsächlich eine Insolvenzwelle im Herbst? Die deutsche Regierung wird alles tun, um die Folgen der Pandemie weiterhin zu mildern. Es ist davon auszugehen, dass die Maßnahmen im Insolvenz- und Sanierungsrecht verlängert werden und dass die Hilfen weiterhin zur Verfügung stehen. Auch wenn dies angesichts deutlich geringerer Steuereinnahmen zu einer starken Verschuldung führen wird. Im nächsten Jahr sind Wahlen – kein Politiker wird sich mit vielen Insolvenzen und großer Arbeitslosigkeit konfrontiert sehen wollen. Die Insolvenzen von Unternehmen werden im Herbst auch bei wirtschaftlicher Erholung zunehmen. Die derzeitige Lage ist für kleine und mittelständische Unternehmen viel gefährlicher als nach der Weltfinanzkrise von 2008, da die ganze Breite der Wirtschaft betroffen ist. Damals stiegen die Unternehmenspleiten alleine in Deutschland um rund zwölf Prozent. Abhängig von der Dauer der Krise wird diese Zahl wahrscheinlich übertroffen werden. Für das Gesamtjahr 2020 wird aufgrund der aktuellen Krisenlage eine Zunahme von rund 20 Prozent gegenüber 2019 erwartet. Dabei wird es vielleicht gelingen, größere Unternehmen in Eigenverwaltung und vor dem akuten Insolvenzeintritt zu sanieren. Treffen aber wird es eine Vielzahl kleinerer und mittelständischer Betriebe – es sei denn, sie nutzen die Krise und die Liquiditätsspritzen, um sich innovativer und solider finanziert neu aufzustellen.
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